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„Matrix Resurrections“ im Kino: Eine wahre Wiederentdeckung versteckt sich im Film

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Von: Daniel Kothenschulte

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„Matrix Resurrections“: „Wer kann schon widerstehen, wenn man gar nicht weiß, was wirklich ist?“ Foto: Warner Bros. 2021
„Matrix Resurrections“: „Wer kann schon widerstehen, wenn man gar nicht weiß, was wirklich ist?“ © Warner Bros. 2021

In einem überraschenden Revival erneuert Lana Wachowski noch einmal die Realitäts- und Identitätsdebatten ihres Science-Fiction-Klassikers: „Matrix Resurrections“.

Unter den metaphysischen Science-Fiction-Hits der Postmoderne war „Blade Runner“ die schwere Sinfonie und „Matrix“ das eingängige Popalbum. Wie eingängig brachen die Geschwister Wachowski zum Ende des Jahrtausends noch einmal auf einfache Formeln herunter, was als poststrukturalistische Realitätsdebatte bereits zum Abiturwissen gehörte: Wenn auf der Leinwand verkündet wurde, die Wirklichkeit gebe es gar nicht, machte es Spaß, sich vorzustellen, wie ein Jean Baudrillard im Publikum seinen Platznachbarn anstieß und flüsterte: „Siehst Du – das hab‘ ich doch immer gesagt!“

Und dann war da zugleich diese etwas messianisch vorgebrachte Botschaft über die Unmöglichkeit einer freien Willensentscheidung in einer entmenschlichten Welt. Jeder, der „Die unendliche Geschichte“ gelesen hatte, verstand ihre düstere Warnung. Das war es dann wohl mit Michael Endes „Tu was Du willst.“

Matrix Resurrections im Kino: mehr als nur ein Déjà-vu

Ihren Weltschmerz verpackten die Wachowskis freilich in kühl komponierte Bilder wie aus einem Anime. Heute wirken besonders die ersten beiden Teile geradezu visionär: Online-Gaming steckte Ende der 90er in den Kinderschuhen und war weit davon entfernt, virtuelle Realitäten zu erzeugen. Und auch mit ihrer Kapitalismus-Kritik beobachteten die beiden aufmerksam ihre Zeit.

Ebenso gehörten sie zu den ersten, die das westliche Blockbuster-Kino für chinesisch inspirierte Martial-Arts-Choreographien öffneten. Eine ethnisch diverse Besetzung unterstrich den globalisierten Handlungsraum – heute ein Standard in US-Genrefilmen. Zu einem Pop-Phänomen gehört natürlich auch der etwas enttäuschende Abstieg (Teil 3, „Matrix Reloaded“) und schließlich die Revival- und Reunion-Phase nach angemessener Pause. „Matrix Resurrections“ ist die perfekte Reunion, und man kann den Beteiligten nur gratulieren, dass sie damit nicht so lange wie Abba gewartet haben und sich nicht hinter digitalen skins verstecken müssen. Auch wenn es zum Thema gepasst hätte. Aber mit einem bloßen Déjà-vu gibt sich Lana Wachowski, die diesen Teil ohne ihre Schwester schrieb und inszenierte, nicht zufrieden.

Kino: Matrix Resurrections mit Keanu Reeves als Thomas Anderson

In einem hinreißend leichten Filmanfang begegnet uns Keanu Reeves’ Thomas Anderson an seinem Arbeitsplatz in einem Hochhaus in San Francisco. In der Multimedia-Firma seines ungeliebten Partners Smith (Jonathan Groff) steht er als Spielentwickler hinter einem Milliarden-Erfolg: Auf drei weltbekannte Teile hat es sein „Matrix“-Game gebracht, nun verlangt der Mutterkonzern nach einer Fortsetzung.

Spätestens wenn in einer Firmenkonferenz der Name „Warner Bros.“ fällt, erreicht die Selbstreferenz ihre verblüffende Pointe. Insbesondere wohl bei Fans, die um den Entstehungsprozess dieses Filmes wissen, den Warner mit oder ohne Lana Wachowski gemacht hätte. Wenn Anderson also nur der Erfinder eines Games ist, das hier stellvertretend für die uns bekannte Filmtrilogie steht, was ist dann mit seinen als Neo bestandenen Abenteuern in der digitalen Welt? Hat er sie nur erfunden? Der ermattete, mit leiser Stimme sprechende Bartträger sieht nicht gerade aus, als könnte er selbst diese Frage beantworten. Oder würde dem nächsten weißen Kaninchen hinterherlaufen, um das herauszufinden.

Matrix Resurrections im Kino: Morpheus nun gespielt von Yahya Abdul-Mateen II

Nur eine regelmäßige Besucherin des gesichtslosen Cafés um die Ecke scheint eine blasse Erinnerung zu wecken. Carrie-Anne Moss spielt diese uns wohlvertraute Erscheinung namens Tiffany. Als ein übereifriger Arbeitskollege unbedingt einen Kontakt herstellen muss, beschleicht auch die Latte-Macchiato-Trinkerin und Mutter zweier Kinder ein merkwürdiges Gefühl. „Kennen wir uns irgendwoher?“

Die bezwingende romantische Idee von Wachowskis „Matrix“-Déjà-vu sind zwei Liebende, deren Gefühle mitsamt ihrer Identität in jener falschen Welt versunken sind, die sie einmal bekämpften. Und lange spielt der 57-jährige Reeves den Recken, als könne man ihn nicht mal zum Jagen tragen. Wer es dennoch versucht, ist ein alter Bekannter: Morpheus, nun gespielt von Yahya Abdul-Mateen II statt Lawrence Fishburne. Wieder führt er Anderson ins weiße Zimmer unbegrenzter Möglichkeiten, spärlich ausgestattet mit zwei Lounge-Chairs im Eames-Design und einem 60er-Jahre-Fernseher.

Matrix Resurrections: Neo, Morpheus, die blaue und die rote Pille

Noch immer hat Morpheus die roten und blauen Pillen für den fliegenden Wechsel der Wirklichkeitsebenen zur Hand. Offensichtlich wird Andersons Hilfe in einer aus den Fugen geratenen Matrix-Realität dringend gebraucht. In einer Tour de Force führt er den wieder berufenen Neo und uns noch einmal durch ein Medley der größten Hits vor allem des ersten Teils. Wer wünscht sich etwas anderes in einem Reunion-Konzert?

Doch es ist mehr als eine Ausschnittparade. Raffiniert re-inszeniert Wachowski immer wieder ikonische Momente leicht verändert, als wollte sie noch einmal die Relativität jeder Darstellung betonen. Einiges wirkt reduzierter, wie die flüssigen Spiegel, die sie selbst aus einem Filmklassiker abgeschaut hat, Jean Cocteaus „Orpheé“; anderes opulenter: Wie der surreale Verwandlungsort, wo Neo in einem flüssigen Kokon aufwacht, umsorgt von fliegenden Metall-Insekten.

Matrix Resurrections

Matrix Resurrections. USA 2021. Regie: Lana Wachowski. 148 Min.

Eine neue Figur wurde liebevoll aus einer früheren Statistenrolle destilliert – aus der Fensterputzerin einer virtuellen Glasfassade erwächst eine neue Actionheldin. Dass die eigentlichen Kampfszenen noch verwirrender und chaotischer anmuten als im dritten Teil ist auch der stilistischen Entwicklung der Filmemacherin geschuldet: Seit „Cloud Atlas“ bricht der Wachowski-Stil mit dem früheren, streng komponierten Design von Anime-Hintergründen. Umso stringenter tritt nun die emotionale Linie hervor, eine Seltenheit im gegenwärtigen Blockbusterkino.

Matrix Resurrections: Will Trinity ihr bürgerliches Leben zurück?

Die eigentliche Virtualitätsdebatte ist die eines privaten Konjunktivs: Würde denn Trinity überhaupt ihr bürgerliches Leben eintauschen wollen für einen neuerlichen Ritt auf Liebe und Tod? Und verlernt man, anders als das Fahrradfahren, das Fliegen vielleicht doch?

Die 54-jährige Carrie-Anne Moss ist die wahre Wiederentdeckung dieses Films und lässt uns in einem wunderbar reduzierten Spiel lange über ihre mögliche Antwort rätseln. Oder, wie es Morpheus einmal formuliert: „Wer kann schon widerstehen, wenn man gar nicht weiß, was wirklich ist?“ (Daniel Kothenschulte)

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