Oligarchen im Ukraine-Krieg: Abramowitsch „packt die Geschenke aus“

Auch im ZDF-Talk von Markus Lanz geht es um den Ukraine-Krieg. Diesmal stehen die russischen Oligarchen im Mittelpunkt, besonders Roman Abramowitsch.
Es sind Tage der Trauer hierzulande. Nicht nur wegen des russischen Angriffskriegs, der eine große Welle des Mitgefühls in unserer Bevölkerung mit der um ihre Freiheit und ihr Überleben ringenden Ukraine hervorgerufen hat, sondern auch im deutschen Fußball. Erst starb mit Fußball-Weltmeister und Eintracht-Frankfurt-Legende Jürgen Grabowski am 10. März 2022 im Alter von 77 Jahren ein wahrer Gentleman auf dem Platz und außerhalb des Rasens, was alle bestätigen werden, die die Ehre hatten, ihn persönlich zu kennen.
Dann hieß es am gestrigen Mittwoch (16.03.2022) Abschied nehmen von Ex-DFB-Präsident Egidius Braun, der immer den Frauenfußball förderte und sich in seiner nach ihm benannten Stiftung um Not leidende Jugendliche kümmerte. Er erreichte immerhin ein biblisches Alter von 97. Diese beiden Größen wurden in Markus Lanz’ mitternächtlicher Sendung mit keiner Silbe erwähnt, obwohl bei den Themen Geldwäsche und Korruption im Profifußball beide als positive Gegenentwürfe zur immer weiter voran schreitenden bedenklichen Entwicklung bei der einst „schönsten Nebensache der Welt“ bezeichnet werden können. Zudem war mit Sebastian Kneißl ein ehemaliger Spieler von Eintracht Frankfurt zu Gast in der Sendung.
Ukraine-Krieg ist Thema im ZDF-Talk von Markus Lanz: Abramowitsch in Nahaufnahme
Letztgenanten Namen haben Sie nie gehört? Dabei galt er zur Jahrtausendwende als eines der vielsprechendsten Nachwuchstalente. Über den FC Bensheim kam der Mittelfeldspieler 1998 zur Sportgemeinde Eintracht Frankfurt (kurz SGE), absolvierte mehrere Spiele für die U-15-Nationalmannschaft und wechselte danach erfolgreich in die U-18-Mannschaft. Von Frankfurt ging er im Jahr 2000 nach London, zum Chelsea FC. Will man es überspitzt formulieren, verhinderte ausgerechnet Roman Abramowitsch den nächsten deutschen Weltstar.
Er sei gerade auf dem Sprung in die erste Mannschaft gewesen, erzählt der jetzige Experte beim Streaming-Dienst DAZN. Doch mit der Übernahme des Vereins durch den russischen Oligarchen wurden viele teure, bereits berühmte Kicker eingekauft, so dass man ihn nicht mehr berücksichtigte. Dass Kneißl, der schnell zum schottischen Verein FC Dundee und dann nach Belgien zum KVC Westerlo verliehen wurde, den endgültigen Durchbruch auch anderswo nicht schaffte, erwähnt der hier schlecht vorbereitete Moderator nicht. Vielleicht interessiert es ihn auch nicht. Wichtiger ist ihm eine Nahaufnahme von Abramowitsch durch den ehemaligen Profispieler: „Es war auf Anhieb einer von uns. Das war schön. Auf der anderen Seite haben wir gedacht: Jetzt packt einer seine Geschenke aus!“
Die Gäste im ZDF-Talk von Markus Lanz (16.03.2022)
Diana Zimmermann | Journalistin |
Dietrich Schulze-Marmeling | Autor |
Sebastian Kneißl | Ex-Fußballprofi |
Der aus Saratov stammende 55-jährige Milliardär bekommt gerade immer schärfere Sanktionen Großbritanniens und der EU zu spüren, vor allem in seiner Eigenschaft als Eigentümer des aktuellen Champions League-Titelträgers Chelsea FC, der sich am Mittwochabend durch einen 2:1-Auswärtssieg beim Lille OSC wieder fürs Viertelfinale der laufenden Saison qualifizierte. Dabei ist Abramowitsch aufgrund der Auflagen nicht mehr im operativen Geschäft beim englischen Traditionsclub tätig.
Wir erinnern uns: 2003 kaufte Abramowitsch für 210 Millionen Euro den Chelsea FC. Bis 2008 hatte er geschätzte 764 Millionen Euro in den Club investiert, hauptsächlich für Ablösesummen und Gehälter. Er selbst war häufig im Stadion an der Stamford Bridge anwesend. Sein Verein gewann 2012 nach zahlreichen Anläufen gegen den FC Bayern München erstmals die UEFA Champions League. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 übergab Abramowitsch die Verwaltung des Chelsea FC an die Treuhänder seiner gemeinnützigen Stiftung. Am 2. März 2022 ließ er verlauten, den Verein verkaufen zu wollen. Der Erlös solle Kriegsopfern des Ukraine-Konfliktes zugutekommen. Der Chelsea FC, auf dem ein Kredit von 1,5 Milliarden Pfund lastet, ist nach Schätzungen mindestens zwei Milliarden Pfund wert.
Markus Lanz (ZDF): Abramowitsch soll sich in Moskau aufhalten
All diese Informationen erfährt der geneigte Fernsehzuschauer bei Lanz übrigens nicht! Dafür aber von Diana Zimmermann, der ZDF-Korrespondentin aus „Londongrad“, die diesmal im Studio in Hamburg-Altona zu Gast ist, dass sich Abramowitsch nach einem Israel-Aufenthalt nun in Moskau aufhalten soll. In der „Not“ (reine Definitionssache!) sucht er scheinbar wieder die Nähe zu Putin. Nach nochmals verschärfter britischer Gesetzeslage dürfen sanktionierte russische Oligarchen, zu denen der laut Wirtschaftsmagazin Forbes auf Platz 107 der reichsten Menschen der Welt positionierte „Fußballfreund“ zählt, keine Geschäftsbeziehungen mehr mit Briten eingehen. Das heißt: ihnen auch kein Honorar mehr zahlen. Deshalb also sein Rückzug. Dabei hat der Chelsea FC monatlich 28 Millionen (!) britische Pfund Lohnkosten…
Deswegen „klopft Saudi-Arabien schon an die Tür“, weiß Sportjournalist Dietrich Schulze-Marmeling, der Dritte im Bunde von Lanz’ Gästen. Für den stets gut recherchierenden Autor, dessen Band „Der FC Bayern und seine Juden“ 2011 mit dem „Deutschen Fußball-Kulturpreis“ in der Kategorie „Fußballbuch des Jahres“ ausgezeichnet wurde, sind der der britische Profifußball, der europäische Fußball-Verband UEFA und auch der Weltfußballverband FIFA „stark abhängig von schmutzigen Geldern“, die aus Russland, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zu ihnen fließen. Während Schulze-Marmeling die Vermutung am Beispiel Abramowitsch äußert, er könne den Verein als eine Art „Lebensversicherung“ gekauft haben, etwa um im Notfall in England Asyl zu erlangen, stellt Zimmermann die einerseits spekulative, andererseits fast logische These auf, der zwielichtige Geschäftsmann könne den Chelsea FC in Wladimir Putins Auftrag gekauft haben. Denn im Sinne von „soft power“ sei es lange für den russischen Präsidenten hilfreich gewesen, „sympathische Russen in London sitzen zu haben“.
Der Fußball steht bei Markus Lanz (ZDF) im Fokus
Dann fährt Schulze-Marmeling volle Attacke gegen die von Markus Lanz als „etwas dumpf“ bezeichneten Fans von Newcastle United: Sie hätten kein Problem damit, dass sich ihr in den hinteren Regionen der Premier League herum dümpelnder Klub nun im Besitz des Königreichs Saudi-Arabien befindet. Fröhlich würden sie die saudische Nationalfahne, auf der ein Schwert zu sehen sei, schwenken. Sie hätten dies selbst am Tag getan, als in Saudi-Arabien 81 Menschen hingerichtet wurden. Nicht erst seit dem Brexit scheinen in einem anderen Königreich, nämlich dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Uhren anders zu ticken, vor allem in Menschenrechtsfragen. Denn: Ausländische Eigentümer von britischen Clubs würden zwar überprüft, „aber Menschenrechte spielen keine Rolle“, so Schulze-Marmeling.
Auf diese scheint auch FIFA-Chef Gianni Infantino keine Rücksicht zu nehmen: Der schweizerisch-italienische Funktionär sei „auf Fotos fast ausschließlich mit Autokraten und Oligarchen zu sehen“. Während für Lanz, den Moderator mit der eigenen Meinung, Jürgen Klopp, der deutsche Coach des Liverpool FC, selbstkritisch mit der Entwicklung zum „schmutzigen Geld“ im Profifußball umgehen würde, tue Thomas Tuchel, der Noch-Trainer des Chelsea FC, so, als ob ihn dies alles nichts anginge. Schuze-Marmeling verteidigt ihn: Tuchel wäre durch den Verein an Abramowitsch „gebunden“, während bei Liverpool „alles sauber“ ablaufen würde. Da könne man schon andere Statements raushauen. Hier hat er Recht, aber hat sich Tuchel eigentlich mal vor der Vertragsunterzeichnung beim Chelsea FC hinterfragt, auf was er sich da eingelassen hat? Oder stand für ihn nur das große Geld und der sportliche Erfolg im Vordergrund? Um dies zu erörtern, reicht die heute Nacht nur auf 45 Minuten beschränkte Sendezeit nicht.
Lanz-Talk im ZDF: Was es mit den Sanktionen gegen Abramowitsch auf sich hat
In den noch verbleibenden Minuten findet Zimmermann so mache Sanktion gegen Abramowitsch und Co. „populistisch“. Leider führt sie diesen diskussionswürdigen Gedanken nicht aus. Für Schulze-Marmeling hätte man Fußballspielern wiederum Jahrzehnte lang eingetrichtert: „Mischt euch nicht in die Politik ein!“ Als prominentes Beispiel führt er die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien an, bei der die restlichen Teilnehmer die Militärjunta einfach so hingenommen hätten. Wir erinnern uns an den unfassbar brutalen Satz von General Jorge Rafael Videla: „Es müssen so viele Menschen wie nötig in Argentinien sterben, damit das Land wieder sicher ist!“ Jürgen Grabowski, der Mittelfeldstratege der Frankfurter Eintrat nahm übrigens an dieser WM nicht teil, obwohl ihn Bundestrainer Helmut Schön förmlich dazu bekniet hatte.
Markus Lanz im ZDF
Sendung vom Mittwoch, 16.03.2022, Mediathek
Lanz glaubt ohnehin nicht an das „Klischee vom einfach gestrickten Fußballspieler“. Gestern nicht und vor allem nicht heute. Er lässt es sich nicht nehmen, den ehemaligen Kapitän der finnischen Nationalmannschaft, den er namentlich nicht nennt (oder kennt?), es ist übrigens Tim Sparv, positiv hervorzuheben. Dieser hatte letztes Jahr in einem bemerkenswerten Gastbeitrag in „The Players Tribune“ „an jeden, der sich für Menschenrechte interessiert“ appelliert. Er sprach in dem offenen Brief alle Spieler, Verbände, Fans und Journalisten an und bat sie, weiter über die Menschenrechtsverletzungen und die Arbeitsbedingungen in Katar zu sprechen. „Haltet die Diskussion in Gang. Bringt Eure Unterstützung für die Gastarbeiter weiter zum Ausdruck. Übt mehr Druck auf Katar und die FIFA aus“, schrieb Sparv. Nach einem Bericht des „Guardian“ sind, seitdem die WM nach Katar vergeben wurde, 6500 Arbeiter aus Pakistan, Indien, Nepal, Sri Lanka und Bangladesch dort gestorben.
Wenn es auch keine direkte Geldwäsche in der Bundesliga geben würde, so doch in Deutschland, versucht Lanz zum Schluss, die Brücke von der Korruption im Fußball zur globalen Geldwäsche zu schlagen. „Auch wir wollen nicht genau wissen, wer der Eigentümer ist“, kritisiert er mit Bezug auf ominöse Immobilien am Tegernsee. „Die Trickle-Down-Economy hat nicht funktioniert“, ist er sich mit Zimmermann, die zusammen mit Marcel Mettelsiefen den Adolf-Grimme-Preis 2015 und den Rory Peck Award 2016 für „Das Schicksal der Kinder von Aleppo“ erhielt, einig. Und der Rezensent möchte abschließend Egidius Braun zitieren: „Fußball ist mehr als ein 1:0.“ (Marc Hairapetian)