Überraschender Themenwechsel bei Markus Lanz: Gewalt im analogen und digitalen Raum

Bei Markus Lanz (ZDF) kommt es außerplanmäßig zu einer Diskussion zu Gewalttaten im analogen und digitalen Raum – unter anderem mit Innenministerin Faeser.
Hamburg – Am Vormittag des 8. Juni steuerte ein 29-Jähriger sein Auto am Berliner Breitscheidplatz in eine Menschenmenge hinein. „Ein Unfall oder eine vorsätzliche Tat?“, fragt Markus Lanz mal wieder empathielos polemisch. „Die Polizei weist darauf hin, dass es vorsätzlich gewesen sein könnte“, erklärt Nancy Faeser (SPD) da bedachter. Von der Berliner Polizeipräsidentin war zu hören, dass es keinen Verdacht auf einen „Extremismusbezug“ gäbe. Im Auto wurden Schriftstücke und „Flugblätter, die sich gegen die Türkei richten“ gefunden, die aber auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zur Tat hatten – und zumindest Nancy Faeser möchte nicht spekulieren.
Markus Lanz zeigt sich da überraschend zurückhaltend: „Was weiß man über die Opfer?“, fragt er und die Innenministerin nickt bekümmert, denn bei solchen Ereignissen sollten ihrer Meinung nach die Opfer im Vordergrund stehen und nicht die Täter. Eine Lehrerin aus Bad Arolsen ist gestorben, – die 10. Schulklasse war auf Abschlussfahrt in Berlin. Auch Journalist Michael Bröcker lebt in dieser Stadt und sein Sohn ist gerade auf Klassenfahrt. Da kann er sich sehr in die aufkommenden Gefühle hinein versetzen. Am bedenklichsten findet er jedoch, dass dieser junge Mann bereits „zwanzig Delikte in seiner Akte“ gehabt haben soll, die alle mit Körperverletzung zu tun hatten. „Wie lange muss einer etwas auf seinem Kerbholz haben, bevor was passiert?“ Wann läuten die Alarmglocken?
Diskussion bei Markus Lanz (ZDF): „Je mehr wir uns vernetzen, desto vulnerabler sind wir“
Gefahr schwebt immer im Raum. Auch bei den Geflüchteten aus der Ukraine, erklärt Journalist Michael Bröcker bei Markus Lanz (ZDF). Wie können sie denn „sicherstellen, wer die wo abholt?“ Viele werden nicht registriert. Sie bekommen für 90 Tage ein Visum, können frei einreisen und sich wie Touristen bewegen. Räume werden für Frauen mit ihren Kindern zur Verfügung gestellt, von „dubiosen privaten Leuten.“ Auch das macht ihm Sorgen.
Dagegen findet IT-Experte Linus Neumann die Vorstellung seltsam, immer nur misstrauisch zu sein, – sei es im analogen oder im digitalen Raum. Hat er doch selbst Geflüchteten geholfen, wie viele mit ihm, ohne einen Hintergedanken dabei zu haben. Doch wenn er beginnt, aus dem digitalen Raum zu erzählen, kann es einem schon mulmig werden: „Kriminelle greifen uns die ganze Zeit an.“ Geheime Informationen werden ausspioniert, neu verschlüsselt und gegen Lösungsgeld angeboten: eine Art „Geiselnahme von Daten“. „Millionenforderungen sind da relativ normal“ und im digitalen Raum „ist alles möglich.“
„Je mehr wir uns vernetzen, desto vulnerabler sind wir“, überlegt Michael Bröcker bei Markus Lanz (ZDF). Sind wir in der Gesellschaft so verletzlich oder wird durch den stetigen medialen Konsum ein Gefühl der Verletzlichkeit erst erzeugt, – stumpft die ritualisierte Medienkommunikation gar ab? Fast täglich verstrahlen Schlagzeilen, Ärger und Aufregung die Atmosphäre – und immer wieder passiert scheinbar aktiv nichts.
Gäste bei Markus Lanz am 8.6.2022 | |
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Nancy Faeser | Bundesinnenministerin |
Michael Bröckler | Journalist |
Julia von Weiler | Psychologin |
Linus Neumann | IT-Experte |
Tödlicher Vorfall in Berlin bei Markus Lanz (ZDF) thematisiert: Ein ständiges Déjà-vu?
In Wermelskirchen (NRW) kam ein 44-jähriger Täter jahrelang als Babysitter in die Wohnungen seiner Opfer: An 12 Minderjährigen soll er sich vergangen haben, das jüngste Kind war erst einen Monat alt. 30 TB Daten voller Gewaltanwendungen, welche er im Internet massiv teilte. Eine der schlimmsten Formen von Kriminalität, wettert Nancy Faeser bei Markus Lanz (ZDF). Auch für die Ermittler sei es „eine belastende und abscheuliche Arbeit“, sich durch diese Daten hindurchsehen zu müssen. Da bringt sich nun auch Psychologin Julia von Weiler mit gewagten Vergleichen in die Runde ein: „Die Digitalisierung bedeutet für das Phänomen der sexualisierten Gewalt an Kindern das ständige Bewerfen mit Molotowcocktails.“
Markus Lanz, Sendung vom 8. Juni
Hier können Sie die Talkshow im ZDF in der Mediathek anschauen.
Das Thema Gewalt hat sich ihrer Ansicht nach verstärkt, besonders zu Zeiten von Corona im digitalen Raum, erklärt sie weiter: Kinder werden live vor der Kamera so manipuliert, dass sie das machen, was die Täter wollen. In der Kontaktaufnahme für ein „online Grooming“ spielen längst soziale Netzwerke und Messenger eine große Rolle. Ist da nicht die Überwachung der Netzwerke eine gute Möglichkeit für Handlungen, wittert Markus Lanz seine Chance. Doch solche Verallgemeinerungen ärgern Julia von Weiler, denn diese schüren nur Wut, Angst und Panik.
Lieber sollte konstruktiv über Lösungsmöglichkeiten nachgedacht werden. Ganz sachlich erklärt sie, dass die EU die Anbieter gesetzlich dazu verpflichten will, genau hinzusehen, wie hoch das Risiko ist, über angebotene Dienste Kindesmissbrauch zu fördern. Denn eine Verantwortung liegt auch bei den Anbietern, ihre Räume so sicher wie möglich zu gestalten: Für die Zukunft sei bereits „ein europäisches Zentrum für Kinderschutz“ geplant. Da freut es sie fast, wenn wieder Fälle an die mediale Öffentlichkeit geraten: Denn dadurch werden immer wieder Dialoge neu angestoßen. Die Diskussionen sind immer erst dann so intensiv, „wenn wieder medial etwas passiert“, bestätigt auch Michael Bröcker diesen Eindruck. Aber „was das allerwichtigste ist, ist zu handeln“, beteuert Nancy Faeser. Wir werden sehen. (Tina Waldeck)