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„Putin hat sich gewaltig geirrt“

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Von: Tina Waldeck

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Markus Lanz im (ZDF): Die Talkrunde vom 23. Februar 2023
Markus Lanz im (ZDF): Die Talkrunde vom 23. Februar 2023. © Screenshot ZDF

Der erste Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine ist auch Thema im ZDF-Talk „Markus Lanz“. Eine TV-Kritik.

Frankfurt – Am Freitag, dem 24. Februar 2023, jährt sich der Beginn des Angriffskrieges von Russland in der Ukraine. Margarete Klein (Osteuropa-Expertin) erzählt bei Markus Lanz im ZDF, wie „Mord und Totschlag“ und „Medienmanipulation“ in Russland an der Tagesordnung sind. Der Journalist Michael Thumann hat ein Buch über Wladimir Putin geschrieben, während Adrian Geiges (Journalist) ein Buch über Xi Jinping veröffentlicht hat: Beide geben eine Einschätzung, wie gefährlich es werden kann, wenn sich China in den Ukraine-Krieg einmischen sollte. Und Norbert Röttgen (CDU-Außenpolitiker) übt sich in trefflichen Vorhersagen.

„Markus Lanz“ im ZDFDie Gäste der Sendung vom 23. Februar 2023
Norbert RöttgenCDU-Außenpolitiker
Margarete KleinPolitologin
Michael ThumannJournalist
Adrian GeigesAutor

Markus Lanz (ZDF): „Es wird Zeit brauchen“

Vor ziemlich genau einem Jahr sagte Norbert Röttgen bei Markus Lanz (ZDF), dass es ein langer Krieg werden – und die Ukraine „jeden Zentimeter ihres Landes verteidigen“ würde. Eine Notwendigkeit, „dass wir, die Europäer, unsere Friedensordnung wieder herstellen“. Heute nickt er immer noch zustimmend zu seinen vergangenen Worten, das ist immer „noch das Thema.“ Es gab im letzten Jahr „ein kollektives wir“ in der Ukraine, die damit „für alle überraschend, viel erfolgreicher“ und auch „militärisch überlegen“ waren. „Wladimir Putin hat sich gewaltig geirrt“ und sich „in seiner eigenen Armee verschätzt“. Doch was kann von einem Menschen erwartet werden, der „sein Smartphone nur als Telefon benutzt“: einer Rückkehr zu „einem traditionellen Konzept von Masse“ und altmodischer Kriegsführung.

Adrian Geiges sieht da die Fortsetzung im Sinne des Augustputsches von 1991, wo Funktionären der Kommunistischen Partei der Sowjetunion versucht hatten, Michail Gorbatschow abzusetzen und russische Panzer durch Moskau rollten. Ein Land, das immer noch nicht verschmerzt hat, „dass sie diesen Staat mit diesem gewaltigen Territorium“ „verloren haben“ – und nun wieder die alte Größe von einst herstellen wollen. Michael Thumann fügt das Zitat von Wladimir Putin hinzu: „Die Grenzen Russlands enden nirgendwo.“ Das sieht er als das Identitätsproblem des Landes: Es geht hier nicht nur um die Ukraine. Die Aussage „gib ihm ein bisschen und er hört auf“ betrachtet er als äußerst gefährlich, denn dann rücken die nächsten Ziele ins Auge und schüren den Größenwahn.

Markus Lanz (ZDF): „Das ist alles im freien Flug“

Sowohl bei Wladimir Putin als auch um Xi Jinping entsteht ein hoher Personenkult, sodass andere Menschen sich „zehnmal überlegen“, was sie sagen, denn beide Machthaber haben „wenig Respekt vor einem Menschenleben“, stimmt Margarete Klein zu. Beide denken nicht an die einzelnen Personen, sondern nur an das Kollektiv, das sich für ein bestimmtes Ziel auch opfern kann. Da „kritische Stimmen in Russland nicht vorhanden“ sind, erzählt „man sich immer wieder dasselbe“, ohne zu bemerken, „dass man sich selbst belügt.“ In einer Diktatur an der Spitze zu sein, „da erfährst du nie mehr die Wahrheit“. So täuscht zum Beispiel das russische Staatsfernsehen – wo auch deutsche Politikerinnen und Politiker auftauchen, die sich über Russland äußern.

Michael Thumann erzählt, dass jede Demonstration, die sich gegen westliche Strukturen richtet, dort einen Platz zur „besten Sendezeit“ bekommt. Das Identifizieren von Verbündeten: Auch Sahra Wagenknecht erfreut sich dort „einer gewissen Beliebtheit“. In der Runde von Markus Lanz im ZDF entsteht kurz ein betroffenes Schweigen nach dieser Aussage. Doch durch den Filter der Propaganda genießt sie „eine bestimmte Aufmerksamkeit“, bekräftigt Michael Thumann: „Es ist erstaunlich, wie viele einfache Leute in Russland Sahra Wagenknecht kennen.“ Dabei werden die Aussagen auch oft so verbogen, wie sie im Ton für Russland gut zu gebrauchen sind, erklärt er weiter. Wladimir Putin versucht damit gezielt in den Westen hineinzuwirken und zu manipulieren. Und findet auch „in europäischen Nationalisten“ wie Viktor Orbán Verbündete.

Markus Lanz (ZDF): „Die russische Perspektive“

Die Vorstellung von „Russki Mir“ – einer russischen Welt, erklärt Margarete Klein, ist überall dort, wo Menschen leben, die sich der russischen Sprache, der russischen Kultur zugehörig fühlen – oder mit ihr sympathisieren. Auch in Deutschland. Und nach der russischen Militärdoktrin können die russischen Streitkräfte jederzeit „zum Schutz russischer Bürger im Ausland“ eingesetzt werden. Also weltweit. Bei so einem Wissen entsteht eine unbestimmte Angst und Sorge, dass vielleicht doch zu Recht Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg im Raum schweben.

Doch es liegt nicht unbedingt dort, sondern mehr in der Tradition russischer Kriege verwurzelt, die damals schon „mit unglaublich hohen Verlusten“, Disziplinlosigkeit und Gewaltexzessen „den Kaukasus im 19. Jahrhundert erobert“ haben. Die „Herrschaft der Großväter“ bezeichnet das Schikanieren von „jüngeren Soldaten durch Dienstälteste“ in Russland. Dortige Gewalterfahrungen sieht die staatliche Seite als erzieherisch und selbstverständlich an – schon in der Schule wird der „militärische Kampf“ als erstrebenswert gelehrt. Die Wagner-Gruppe sticht da mit ihrem brutalen Vorgehen besonders hervor: Deren Chef Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin entwickelt gezielt Desinformationskampagnen, damit Personen gestürzt und durch prorussische Kräfte ersetzt werden können. Ein „Repression Consulter“, – ein Berater für Unterdrückung von Kritik, politischen Bewegungen und Widerstand. Da hat er „ein breites Portfolio“, fügt die Osteuropa-Expertin hinzu.

Markus Lanz (ZDF): Alle sind nur auf ihren Nutzen aus

In dieser Situation hat es auch „nichts mit Frieden zu tun“, wenn sich Wang Yi, der chinesische Außenminister, in Moskau mit Wladimir Putin trifft, tätigt Norbert Röttgen die nächste Zukunftsvorhersage. Das ist nur „eine politische Parteinahme“, die eigene Interessen verfolgt und somit ein Schachzug, um die eigene „Reputation zu polieren“ und darauf zu hoffen, dass es „nützliche Idioten, zum Beispiel in Deutschland gibt“, die auf diesen Zug aufspringen. Die Klarsicht soll damit erneut verwirrt werden, – was auch zum Großteil gelingt.

Zur Sendung

Markus Lanz vom 23. Februar 2023: Zu den Perspektiven des Kriegs in der Ukraine, der sicherheitspolitischen Rolle Deutschlands, über die russische Militärdoktrin u. Kriegsführung sowie die jüngsten Auftritte Putins. Die Sendung in der ZDF-Mediathek.

Doch Xi Jinping kann auch „keine globale Wirtschaftskrise gebrauchen“. China hat im eigenen Land viele Probleme: Eine gescheiterte Null-Covid-Politik, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine Immobilienblase, die am Platzen ist. Auf dem G20-Gipfel hat dieser somit Wladimir Putin öffentlich belehrt: „Dies ist keine Zeit für Kriege.“ Doch Russland ist wie immer beratungsresistent und Margarete Klein glaubt nicht, dass der Krieg in diesem Jahr enden wird. Da ist noch „viel mehr Spaltungspotenzial.“ Sie sieht, dass im nächsten Jahr „die nukleare Frage“ noch mehr im Raum stehen wird. In der russischen Militärdoktrin dürfen nukleare Waffen eingesetzt werden, „wenn die Existenz Russlands in Gefahr ist“ und in der letzten Rede sagte Wladimir Putin explizit, „es gehe um die Existenz Russlands“. Nach ihrer Wahrnehmung stellt sich die Welt bereits darauf ein, dass es noch komplizierter werden wird und immer mehr Staaten versuchen werden, nukleare Waffen zu bekommen. Da hat auch Markus Lanz im ZDF nichts Positives mehr entgegenzusetzen: „So viel Apokalypse für heute.“ (Tina Waldeck)

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