Klima-Debatte bei Lanz: Habeck wird plötzlich dünnhäutig – und macht überraschendes Zugeständnis

Die Ampel-Koalition hat viel vor in Sachen Klimaschutz. Wie das aber vonstatten gegen soll, wissen auch die Gäste bei Markus Lanz im ZDF nicht so genau. Am Ende überrascht Vizekanzler Habeck dann doch noch.
Hamburg – Ist die FDP im Vergleich zu Bündnis 90/Die Grünen Markus Lanz nur ein Drittel der Sendezeit wert? Am späten Dienstagabend kommt Christian Dürr, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, jedenfalls erst in den letzten 24 Minuten der Talkshow zu Wort, während der ebenso aus Berlin zugeschaltete Robert Habeck 51 Minuten lang die Szenerie dominiert. Das mag daran liegen, dass man sich vom grünen Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, der auch das Vizekanzler-Amt bekleidet, wohl mehr Quote verspricht, als vom Fraktionsvorsitzenden der Liberalen. Letzterer war zudem schon am 3. März bei Lanz zu ähnlicher Thematik eingeladen: Klimaschutz versus neue Technologien.
Polit-Talk bei Markus Lanz: Wann macht die Ampel-Koalition Nägel mit Köpfen?
Diesmal geht es allerdings darum, dass die Regierung tatsächlich Nägel mit Köpfen machen will. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP haben nämlich kurz vor Beginn von Lanz’ Gesprächsrunde im ZDF nach dreitägigen Verhandlungen im Reichstag eine Einigung in mehreren Streitfragen erzielt. SPD-Chef Lars Klingbeil spricht nach Beratungen des Koalitionsausschusses von einem „Bündel an Maßnahmen“ bezogen auf einen schnelleren Ausbau der Infrastruktur, Anpassungen beim Klimaschutzgesetz und der Umrüstung von Heizungen. Grünen-Chefin Ricarda Lang und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner scheinen ebenfalls zufrieden mit den Ergebnissen. Also Friede, Freude, Eierkuchen auch bei Markus Lanz? Nicht ganz, denn der smarte Moderator hat mal wieder Ulrike Herrmann eingeladen. Für die „taz“-Wirtschaftsredakteurin sei nämlich nur „keine Autobahn eine gute Autobahn“. Das wirft ihr auch später der Technologie (und Auto) begeisterte Dürr vor. Und für Robin Alexander, ebenfalls ein Dauergast in der Talk-Runde, habe die Regierung beim Marathon-Koalitionsausschuss „ein Schauspiel geliefert, wie es das politische Berlin bisher noch nicht erlebt hat“.
Irgendwann wird die Debatte bei Lanz hitzig – „Welt“-Chefredakteur teilt aus
Und dann legt der „Welt“-Chefredakteur gallig nach: „Herr Habeck hat einen Sieg errungen, den er schon zwei Mal errungen hat!“ Der Koalitionsausschuss habe nichts wesentlich Neues beschlossen. Das gut 20-seitige Papiere sei „äußerst vage“. Auch Markus Lanz gibt zu, das Ganze nicht verstanden zu haben. Freundlich, ja geradezu siegessicher, sagt Habeck: „Ich helfe gern!“ Laut zuvor zirkulierenden Medienberichten habe er geplant, den Einbau von neuen Öl- und Gasheizungen in Zukunft zu verbieten. In dem Papier, das nach dem Koalitionsausschuss der Öffentlichkeit vorliegt, steht allerdings lediglich, dass man von den fossilen Energiequellen für Heizungsanlagen weg wolle. Und auch Habeck selbst wird bei Lanz nicht sehr konkret. Er verteidigt seine Pläne, von konventionellen Öl- und Gasheizungen wegzukommen. Details nennt er aber nicht.
Markus Lanz reagiert mit einem Haufen von Fragen und will dabei unbedingt wissen, wie man etwa den Einbau von Wärmepumpen finanziell stemmen möchte. Der Einbau von diesen Geräten als Alternative sei zudem technisch schwer realisierbar, auch weil Handwerker fehlten. „Dass wir einen Arbeitskräftemangel haben, wissen wir“, gibt der Bundeswirtschaftsminister zu. Man stehe allerdings mit Handwerksausbildungsbetrieben und der Handwerkskammer in engen Kontakt und habe bereits über 200.000 Wärmepumpen einbauen lassen. Als nächsten Schritt visiere man 400.000 bis 500.000 an. Außerdem gebe es Übergangsregelungen, niemand müsse seine noch funktionierende Öl- oder Gasheizung verschrotten. Habeck zeigt sich „in jeder Hinsicht maximal pragmatisch“: „Jede Übergangslösung, die hilft, kann genommen werden.“ Neben Wärmepumpen sollten Städte und Kommunen auch an Fernwärme arbeiten können. Ein ihm häufig in den Mund gelegtes „Gasheizungsverbot“ klingt jedenfalls anders.
Zur Sendung
Markus Lanz vom 28. März 2023: Zur Einigung im Koalitionsausschuss sowie zum Zustand der Ampelkoalition, über den Konflikt zwischen FDP und Grünen und die zögerliche Rolle der SPD innerhalb der Bundesregierung. Die ganze Sendung in der ZDF-Mediathek.
Mit flexiblen Plänen möchte der Vizekanzler gern bis zum Sommer arbeiten. Man wolle Härtefallregeln ermöglichen, aber trotzdem auf jeden Fall von Öl und Gas als Energiequelle wegkommen. Robin Alexander hofft daraufhin, dass die Koalitionspartner auch tatsächlich bis zur Jahresmitte durchhalten – und die Andeutungen in dem Papier der Ampel-Koalition nicht darauf hindeuten, dass man die Grünen doch am Ende im Stich lässt. Bei den 144 (!) Autobahnprojekten habe sich jedenfalls die FDP gegenüber den Grünen durchgesetzt. Für Herrmann sei es allerdings unerlässlich, die 50 Millionen Autos in Deutschland auf die Hälfte zu reduzieren, wolle man vernünftigen Klimaschutz betreiben. Doch: „Die Mehrheit der Deutschen klebt an ihren Autos“, weiß Lanz. Auch laut Alexander ist es sinnvoll, „die Schienen mehr auszubauen als die Autobahn“. Einigkeit besteht zwischen Herrmann und Habeck, was die „Dekarbonisierung des Individualverkehrs“ anbelangt. Auch wenn er nicht wirklich viel Neues sagt, verkauft sich der Bundesminister für Klimaschutz gut bei Lanz: „Was wir gemacht haben, ist Probleme zu lösen. Wir springen dabei über unseren eigenen Schatten.“ Gemeint sind seine Grünen, die bezüglich des Ausbaus der Autobahn gegenüber der FDP klein beigegeben haben.
Habeck bei Lanz: Raum und Zeit verschwimmen
Wie häufig habe man denn beim Koalitionsausschuss inhaltlich auseinander gelegen, fragt Lanz berechtigterweise. Und wie häufig habe es 2:1 bei der Ampel gestanden? „Ist doch egal“, antwortet der Lübecker Spitzenpolitiker und Schriftsteller nun doch dünnhäutig. „Wissen Sie überhaupt noch, wo Sie gerade sind?“, legt Lanz nach und spielt damit auf die vielen Reisen von Habeck an. „Ich weiß, wo ich bin, aber es ist tatsächlich so, dass ein bisschen Zeit und Raum verschwimmt“, lautet dessen ehrliche Antwort. Dies hindere ihm allerdings nicht am konzentrierten Arbeiten. Die Schalte zu Lanz gehört offensichtlich für ihn dazu. Und deswegen hört er auch „gern“ seinem Koalitionspartner Christian Dürr zu, als dieser endlich bei Lanz an der Reihe ist.
„Markus Lanz“ vom 28. März | Die Gäste der Sendung |
Robert Habeck | Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler (Grüne) |
Christian Dürr | Fraktionsvorsitzender der FDP |
Robin Alexander | Journalist |
Ulrike Herrmann | Journalistin |
Herrmanns Attacken rund um das weitgehende „Verbrenner-Aus“ der EU und die angeblich zu aufwändige Herstellung von E-Fuels (synthetische Kraftstoffe), sowie die Unterstellung, dass die Liberalen ja unbedingt Porsche 911 fahren müssen, tut der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion als „Quatsch“ ab. Während Habeck über ihre Ausführungen lacht, schüttelt Dürr immer wieder empört den Kopf: „Frau Herrmann polarisiert gegenüber 70 Prozent der Deutschen“. Er meint, dass auch grüner Wasserstoff als Alternative zu Öl und Gas denkbar wäre. Diese wiederum lässt das nicht auf sich sitzen und spricht von einem „fundamentalen Missverständnis, was technisch möglich und was ökologisch wahrscheinlich ist“.
E-Fuels werden mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO₂ aus der Luft hergestellt. Wasserstoff als Gas zu nutzen, sei mehr als schwierig, wirft sie ein, denn er sei extrem flüchtig und müsse stark gekühlt werden: „Für viele Menschen ist die Wärmepumpe nicht ernsthaft eine Option“. Und dann klingt der häufig ungeduldig seine Gesprächspartner unterbrechende Moderator, der Dürr dessen „mit Stolz geschwellter Brust“ bei Twitter-Posts über die Errungenschaften der FDP beim Koalitionsausschuss in Frage stellt, ein wenig opportunistisch, wenn er sagt, dass er „mit seiner Skepsis auf dem richtigen Weg war“. Im Westen und bei Lanz mal wieder nichts Neues. (Marc Hairapetian)