Nouripour schließt bei Lanz Lieferung von Kampfjets an die Ukraine nicht aus

Lützerath als Hartz IV der Grünen? Abschiebung von Straftätern mit Migrationshintergrund? Das sind die Fragestellungen in der ZDF-Talkrunde mit Markus Lanz.
Hamburg – Kurz vor Mitternacht ist nicht nur „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ (Italien 1960, Regie: Mario Bava), sondern neuerdings auch von Markus Lanz im ZDF. Mit 25-minütiger Verspätung wird diesmal seine Talkshow ausgestrahlt. Dennoch ist sie aktueller denn je, wobei sie sich dem Horror des realen Lebens annimmt. Neben dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der seit einem Jahr in fast jeder seiner Sendungen diskutiert wird, spricht der Gastgeber in kleiner Runde über den Messerangriff eines mehrfach verurteilten Sexual- und Gewalttäters im Regionalexpress von Kiel nach Hamburg. Zwei Menschen hat der staatenlose Palästinenser dabei bis zu seiner Festnahme in Brokstedt getötet und sieben weitere – mitunter schwer – verletzt. Die Beweggründe seiner verheerenden Tat sind noch unklar. Markus Lanz spekuliert darüber mit Grünen-Chef Omid Nouripour und Martin Knobbe, dem Leiter des Hauptstadtbüros des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Er wirft die Frage auf, ob der Rechtsstaat bei Wiederholungstätern mit Migrationshintergrund beziehungsweise Asylanten mit krimineller Energie nicht härter durchgreifen muss. Wobei sich der Verfasser dieser Zeilen fragt, ob nicht alle Verbrecher, die derartige Blutbäder zu verantworten haben, strengstens bestraft werden sollten.
Um die brisante Thematik zu erörtern, hat der Moderator anstelle der zuvor angekündigten, iranischen Geflüchteten Ghazal Abdollahi den deutsch-israelischen Psychologen und Autoren Ahmad Mansour („Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will“) aus Berlin zugeschaltet. Dieser ist selbst arabisch-palästinensischer Herkunft und hat sich mit Projekten gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft intensiv beschäftigt. Wie zuvor Muslim Nouripour drückt er zuerst den überlebenden Opfern sein Mitgefühl und den Hinterbliebenen der Toten sein Beileid aus. Inhaltlich hat er in diesem Fall aber eine doch erheblich andere Meinung als der in Teheran geborene und seit 1988 in Frankfurt am Main lebenden Co-Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, welcher übrigens ein eingefleischter Anhänger der Eintracht ist. „Wann führen wir eine ehrliche Debatte darüber?“, gibt ihm Lanz die Steilvorlage, die Mansour nur zu gern aufgreift. Für ihn leben wir in einem „postfaktischen Zeitalter“. Tatsachen würden vor allem in den sozialen Netzwerken zugunsten von extremen Emotionen immer „unwichtiger“: „Die einen wollen Migranten sehen. Andere wollen über alles reden, nur nicht Migration.“ Eine „Willkommenskultur“ würde Abschiebungen bei solchen Straftaten keinesfalls ausschließen. Migranten, die den Rechtsstaat „verachten“, müsse man als Rechtsstaat die Konsequenzen aufzeigen.
Markus Lanz hakt zackig nach
Für Journalist Knobbe, der von Lanz bei diesem Gesprächskomplex zu wenig integriert wird, sich selbst aber auch recht bedeckt hält, wird hingegen die Debatte „unterkomplex“ geführt. Nouripour fragt sich, seit wann die Ermittlungsbehörden auf den Messerstecher von Brokstedt – bei dessen mit Ladendiebstählen, Scheckkarten-Betrug und Missbrauchsdelikten gespickter Vorgeschichte – geblickt hätten: „Wann entwickelt sich eine psychische Auffälligkeit?“, wirft er in die Runde, obwohl noch nicht feststeht, ob der Täter tatsächlich geistig gestört ist. „War der Mensch im Drogenrausch?“, spricht er mehr zu sich. Als Lanz, der laut Fernsehzeitschrift „Hörzu“ „härteste Talkmaster Deutschlands“, zackig nachhakt („Wir müssen über Abschiebung reden!“), entgegnet er salomonisch: „Es gibt keine Debattenverbote“. Subsidiärer Schutz, der immer dann eingreift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht, stellen – nicht nur – laut Nouripour rechtliche Hindernisse für Abschiebung dar. Mansour schüttelt darüber den Kopf. 20.000 Messerattacken mit über 100 Toten habe die Tageszeitung „Die Welt“ für das Jahr 2020 registriert. 40 Prozent der Täter seien Menschen mit Migrationshintergrund. Das Problem bestünde darin, dass viele von ihnen „bei uns Schutz suchen, aber dieses Land verachten“. So mancher von ihnen käme „aus einem Land mit problematischem Frauenbild“.
Darüber – wie auch über ideologisch geprägte Geschichtsfälschung – ist sich wiederum Nouripour mit Mansour einig. Ehrlich berichtet er darüber, dass ihm als Jugendlicher in Teheran „eingeimpft“ worden sei, „dass Israel zerstört werden muss“: „Da musste man so etwas morgens auf dem Schulhof rufen!“ Erst in Frankfurt am Main habe er vom Holocaust erfahren. Lanz greift nun die Messerattacke eines 25-jährigen aus Eritrea in Illerkirchberg im Dezember auf. Zwei Mädchen griff er seinerzeit an, eine von ihnen starb. Nicht erwähnt wird, dass kurz darauf, ein 27-jähriger Eritreer, der irrtümlicherweise zuerst der Tat beschuldigt wurde, sich das Leben nahm. „In meiner Stadt muss die Debatte anders laufen, als auf dem Lande“, gibt dann Nouripour nicht gerade mit zwingender Logik von sich. Lanz möchte von Mansour wissen, ob „wir“ konsequent und gut bei der Umsetzung des Rechtsstaats sind: „Nein, leider nicht.“ Vor allem der Umgang mit der Polizei sei immer wieder respektlos. Als wenn Lanz sich selbst dabei ertappt hätte, dass er vielleicht zu forsch vorgegangen sei, fügt er schnell hinzu: „Wir reden nicht über Migranten generell.“
Alles ganz schön martialisch bei Markus Lanz
Knobbe kritisiert dann Nouripour (und die gesamte Koalition): „Bei ihrer Rückführungsoffensive gab es eine Mogelpackung!“ Dieser lässt das nicht auf sich sitzen: „Wir brauchen noch ein paar“ (gemeint sind Migranten – auch als „Arbeitskräfte wie am Frankfurter Flughafen“). Mansour spricht sich abschließend für eine „Null-Toleranz-Politik“ für Gruppen aus, „die sich hier den Aufenthalt sichern, aber mit krimineller Energie und Verachtung des Rechtsstaates kommen“. Diese Leute sollten nachdenken, ob Straftaten sich wirklich lohnen würden: „Wenn wir von Zusammenhalt sprechen, sprechen wir nicht von einer Floskel.“ Er befürchtet, dass die Gesellschaft gespalten werden und sich an Rechtsradikale verlieren könnte. Die demokratischen Parteien stünden in der Verantwortung und müssten schnell Lösungen anbieten. Mehr Polizisten und Polizistinnen verlangt der sich wohl an der Ehre gepackte Nouripour und das Ausschöpfen der „vollen Härte des Gesetzes“. Hört sich ganz schön martialisch an.
Auch der Ukraine-Krieg kommt wieder einmal nicht zu kurz
Um markige Töne versus diplomatisches Geschick geht es auch im zweiten großen Themenblock des Abends. Lanz’ Dauergesprächspartner Elmar Theveßen, der Leiter des ZDF-Studios in Washington, erörtert – ebenfalls zugeschaltet – das Unverständnis der USA über den zu zögerlichen Umgang hierzulande mit dem Ukraine-Krieg und die jetzige Entspannung, nachdem sich Deutschland nun bereit erklärt hat, Leopard-2-Partner an die von den Russen angegriffene, einstige „Bruder-Nation“ zu liefern. „Wir Amerikaner drängten euch nicht. Auf einmal drängt ihr. Darüber sind wir verärgert“, fasst er noch einmal den Konflikt zusammen, der jetzt beiseite gelegt zu sein scheint. Lanz mutmaßt, dass die USA „kriegsmüde“ seien und es satt hätten, ständig die „Weltpolizei“ zu spielen. Dass im Land dieser „Weltpolizei“ Rassismus immer noch an der Tagesordnung ist, scheint ihn in diesem Zusammenhang nicht erwähnenswert. Der Moderator mit der eigenen Meinung ist vielmehr folgender Auffassung: „Ohne Amerika würde es die Ukraine gar nicht mehr geben als souveränen Staat!“ Nouripour und Theveßen stimmen ihm zu. Für letzteren sind die 31 Abrams-Kampfpanzer, die die USA frühestens im Herbst an die Ukraine liefern will, allerdings nicht das Zünglein an der Waage. Sie seinen mehr ein politisches Signal als konkrete Hilfe.
Leopard-2 und der britische Challenger-2, die rasch zu mehren Hundert geliefert werden könnten, dienten dazu, Geländegewinne für die Ukraine zu erzielen. „Diese Veränderung des strategischen Ziels hat man in Deutschland nicht wahrgenommen“, sinniert Theveßen, „Es geht darum, die Russen zurückzudrängen.“ Unterschätzt er „uns“ hier in Deutschland, denkt man sich dabei… Dann lässt er sich über den derzeit größten politischen Wunsch der USA aus: „Man will, dass Deutschland eine Führungsmacht in Europa ist!“ Aha! Der Besuch von Olaf Scholz (SPD) beim demokratischen US-Präsident Joe Biden sieht Knobbe als „kleinen Coup des Kanzlers“ frei nach dem Motto „Wir machen das nicht allein!“ Nouripour nickt: „Es darf keinen deutschen Sonderweg geben!“ Wie schon in Sendungen zuvor, hängt sich nun Lanz wieder an einer alten Geschichte auf, die angeblich belegen soll, dass sich Scholz in einer Sache nicht eindeutig für die Ukraine positioniert. Dazu lässt er Ausschnitte aus einem einige Stunden zuvor ausgestrahlten ZDF-Interview mit dem Kanzler einspielen. Auf die Frage „Muss die Ukraine den Krieg gewinnen?“, sagt dieser wieder, „Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren!“. Nouripour wird in die Antwort von Lanz zu viel hineininterpretiert beziehungsweise unterstellt. Stellvertretend für seinen Koalitionspartner macht der Chef der Grünen klar: „Die Ukraine muss ihre territoriale Souveränität wiedergewinnen.“ Hier dreht sich die von Lanz etwas aufgesetzt geleitete Diskussion im Kreis. Im Westen nichts Neues.
Markus Lanz im ZDF | Die Gäste der Sendung vom 25. Januar 2023 |
Omid Nouripour | Die Grünen |
Elmar Theveßen | Journalist |
Ahmad Mansour | Psychologe und Autor |
Martin Knobbe | Journalist |
Dann sagt Nouripour doch noch etwas Einleuchtendes: „ Das Kreml-Regime lebt von Angst. Und wenn wir uns permanent von der Angst blenden lassen, sind wir handlungsunfähig.“ Während Scholz kategorisch Deutschlands Lieferung von Kampfjets an die Ukraine ablehnt (das hat er allerdings auch lange bei Panzern so gehandhabt), will Nouripour „heute nichts ausschließen“. Für Lanz ist das „ein großer Unterschied zu Scholz“. Mag sein, findet das ehemalige Mitglied der Rechtsextremismus-Kommission des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, der fast entschuldigend hinzufügt: An sich sei man ja im Dezember 2021 als Koalitionspartner angetreten, um gemeinsam „andere Probleme, zu lösen“.
Diese anderen Probleme zu diskutieren, wird am Ende bei den Themen Tempolimit und Klimaschutz von Lanz leider völlig verschenkt. Zehn Minuten Restzeit sind einfach zu wenig, um substantiell darüber mit Nouripour und Knobbe zu sprechen. Ein Tempolimit könne zum Klimaschutz beitragen, auch wenn es „nicht im Koalitionsvertrag verankert“ worden sein, meint der Grünen-Chef. „Dass die jungen Menschen Ihnen nicht vertrauen, liegt daran, dass Sie in einer Koalition sind, die Ihre hehren Ziele nicht erreichen kann“, wirft ihm Knobbe vor und legt dann noch kräftig nach: „Lützerath wird das Hartz IV der Grünen werden.“ Nouripour tut dies ab: „Das ist überspitzt“ Und die Sendezeit mal wieder vorbei. (Marc Hairapetian)