Markus Lanz (ZDF): Debatte über Wachstum und Verzicht bleibt fruchtlos

Markus Lanz bewegt sich im ZDF zwischen gestern und morgen, zwischen dem geradezu vorsintflutlichen Otto-Versand und der zukünftigen Hoffnung auf nachhaltigen Konsum.
Frankfurt - Eine der Erfolgsgeschichten der alten Bundesrepublik war der 1949 gegründete Otto-Versand, der im Zuge des Wirtschaftswunders Waren aller Art in die deutschen Haushalte brachte, bequem bestellbar via der millionenfach gedruckten, hunderte Seiten dicken Kataloge. Geleitet wird das Unternehmen noch von Michael Otto, der am Mittwoch (12. April) 80 Jahre alt wird und in den Augen einer jungen Aktivistin wie Carla Reemtsma wohl wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit wirkt.
Insofern mag sie von den Positionen überrascht gewesen sein, die Otto bei Markus Lanz im ZDF vertrat: Dass am Wochenende etwa die letzten Atomkraftwerke Deutschlands abgeschaltet werden, hielt nicht nur Otto für eine erfreuliche Entscheidung, sondern auch alle anderen Gäste. Dennoch bleibt die Frage, wie Deutschland mit dem Problem umgehen kann, dass hierzulande Strom viel teurer ist als in vielen anderen Ländern, eine Situation, die sich durch hochsubventionierten Ökostrom gewiss nicht so bald ändern wird.
Die Gäste bei Markus Lanz am 11. April
Michael Otto | Unternehmer |
Carla Reemtsma | Klimaaktivistin |
Simon Jäger | Arbeitsmarkt-Ökonom |
Kathrin Hartmann | Journalistin |
Gäste im ZDF-Talk Markus Lanz diskutieren über die Gier nach unbeschränktem Konsum
Von Reemtsma war bei Markus Lanz im ZDF auf dieses Problem keine Antwort zu hören, sie arbeitete sich an den bekannten Talking Points ab, forderte einen Ausbau der erneuerbaren Energien, wies auf den Klimawandel hin, die Belange der Wirtschaft haben da natürlich keine Chance. Nachhaltigkeit ist das Zauberwort, Bio-Produkte im Supermarkt, fair gehandelte Produkte, aber ist das mehr als eine Beruhigung des schlechten Gewissens?
Es gebe heute mehr Sklaven als zurzeit der Sklaverei, sagte die Nachhaltigkeitsexpertin Kathrin Hartmann, womit sie nicht die „klassischen“ Sklaven meinte, die auf Plantagen im Süden der USA oder den karibischen Inseln Baumwolle pflückten oder Zuckerrohr erntete, sondern die Arbeiter:innen in sklavenähnlichen Verhältnissen, die in viel zu vielen Ländern arbeiten und die Gier nach unbeschränktem Konsum füttern.
Ein Aspekt des Kapitalismus, der auch durch Unternehmen wie Otto gespeist wurde und wird, eine Tatsache, die Ottos Sohn und zukünftiger Chef des Unternehmens, Benjamin Otto, offenbar erkannt hat. In einem langen Spiegel-Interview in der aktuellen Ausgabe zitiert Michael Otto seinen Sohn mit den Worten: „Der Kapitalismus ist meines Erachtens keine dauerhafte Lösung für einen glücklichen Planeten.“
Dazu Otto Senior: „Der unkontrollierte, grenzenlose Kapitalismus ist eine Belastung für unseren Planeten. Für unsere soziale Marktwirtschaft gilt das nicht unbedingt, wir müssen sie jedoch zu einer ökosozialen ausbauen.“ Eine Aussage, der Carla Reemtsma absolut zustimmen konnte, bei Markus Lanz im ZDF fand sich also eine erstaunlich harmonische, generationenübergreifende Runde zusammen, bei der allein Simon Jäger, Chef des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit, bisweilen eine eher wirtschaftsfreundliche Haltung einnahm, allerdings auch nur sehr vorsichtig.
Viel Harmonie im ZDF-Talk bei Markus Lanz
Der Diskussion war diese Harmonie nicht unbedingt zuträglich, bei Fragen wie der absurden Menge von sagenhaften 120 Milliarden Kleidungsstücken, die pro Jahr hergestellt, konsumiert und größtenteils nach maximal einmaligem Tragen auf dem Müll landen oder im Schrank verstauben, kann man ja auch nur mit dem Kopf schütteln.
Was Markus Lanz und seine Gäste im ZDF in trauter Eintracht taten, doch gab es auch Lösungsvorschläge? Mehrmals betonte Michael Otto, dass er Anfang der 70er Jahre sehr vom Bericht des Club of Romes beeindruckt war, in dem zum ersten Mal von den Grenzen des Wachstums die Rede war. Allzu große Auswirkungen hatte die Entscheidung, den Otto-Katalog auf chlorfreiem Papier zu drucken, allerdings auch nicht, kein Wunder, würde man die potenziellen Kund:innen zu Sparsamkeit anregen, haltbarere Produkte herstellen, würde der Umsatz zurückgehen, im Kapitalismus die allergrößte Todsünde.
Markus Lanz im ZDF: Debatte über Wachstum und Verzicht
Doch „Verzicht ist ein vergiftetes Wort geworden“ meinte Kathrin Hartmann bei Markus Lanz im ZDF und wies darauf hin, dass ein Weg gefunden werden müsse, wie man vom „Wachstumsdiktat“ wegkommen könne. Soziale Gerechtigkeit wird nicht durch Zwang herbeigeführt werden, sich jedoch der Realität eines sich verändernden Planeten mit sich rasant veränderndem Klima zu stellen, das wird eine schwierige Aufgabe. Ob man die Lösung dieser Frage einfach dem Markt überlassen kann, wie der Ökonom Simon Jäger meinte, scheint fraglich, Einschränkungen der (unternehmerischen) Freiheit hören sich allerdings auch nicht unbedingt erstrebenswert an. Es bleibt also spannend. (Michael Meyns)