1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

Meckert Melnyk oder lügt Lambrecht?

Erstellt:

Von: Peter Hoch

Kommentare

Melnyk bei Maischberger in der ARD: Botschafter der Ukraine im Gespräch.
Melnyk bei Maischberger in der ARD: Botschafter der Ukraine im Gespräch. © Quelle: ARD Mediathek/Bearbeitung: IPPEN.MEDIA

Bei „Maischberger“ geht es in der ARD um den Ukraine-Krieg. Der Kriegsreporter Enno Lenze wurde kurz vor der Sendung allerdings ausgeladen.

Bei „Maischberger. Die Woche“ in der ARD bleibt auch vor der Frühjahrspause der Krieg in der Ukraine das alles überschattende Thema. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat in den letzten Tagen mit grauenvollen Bildern ermordeter Zivilisten in der Stadt Butscha einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht.

Die Menschen in Deutschland sind erschüttert, sorgen sich aber auch um ihre eigene Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität. Dem trägt „Maischberger. Die Woche“ abermals weitestgehend Rechnung – souverän und unaufgeregt führt die Moderatorin durch die Sendung und befragt ihre Gäste zu den jüngsten Entwicklungen.

„Maischberger. Die Woche“: Den Anfang macht ein Vergleich mit dem 11. September

Den Anfang macht die bewährte Journalist:innenrunde, geladen sind Anna Sauerbrey von „Die Zeit“, Gabor Steingart von „The Pioneer“ und „Tagesthemen“-Legende Ulrich Wickert. Wickert macht gleich eingangs klar: „Das ist eine Veränderung, die noch grundsätzlicher sein kann als der 11. September.“ Es werde sich jetzt dauerhaft etwas in der Weltpolitik verändern und man werde die Frage beantworten müssen, wie man künftig mit autoritären Regimen umgehe.

Dem stimmt auch Sauerbrey zu und ergänzt „Die Folgen des Wirtschaftskriegs, der diesen Krieg begleitet, haben wir noch gar nicht ermessen. Das wird sehr viel durcheinanderbringen in diesem sehr sensiblen System Globalisierung, damit werden wir noch sehr lange zu tun haben.“ Steingart fragt sich indes: „Worauf wartet unser Bundeskanzler eigentlich, um unsere schärfste Waffe zu ziehen: den Verzicht auf russisches Gas und Öl!“

„Maischberger. Die Woche“: Ulrich Wickert will mehr Waffen

Auch alle anderen relevanten Punkte werden abgearbeitet: die russischen Fake-News-Vorwürfe gegen den Westen, die man mit Satellitenbildern und unabhängigen Zeugenaussagen von Journalist:innen entkräften könne (Sauerbrey), die Problematik der durch den Krieg erstarkenden Rechten durch das Argument „sinkende Kaufkraft“ am Beispiel Frankreichs (Wickert) und die Einsicht, dass nicht nur der Bundespräsident, sondern auch man selbst Putin die begangenen Gräueltaten nicht zugetraut hätte und man Merkel und Steinmeier ihre Entspannungspolitik nicht ankreiden könne (Steingart).

Melnyk bei Maischberger in der ARD: Botschafter der Ukraine zu Gast.
Melnyk bei Maischberger in der ARD: Botschafter der Ukraine zu Gast. © Quelle: ARD Mediathek/Bearbeitung: IPPEN.MEDIA

Uneinig ist man sich darin, mit welchem Mittel der Krieg am ehesten beendet werden könne. Für Wickert ist es eine zumindest formal einfache Rechnung: „Waffen können es am allerbesten.“ Für Steingart sind es dagegen umfassende Sanktionen, da Putins Krieg von Geld angetrieben werde – der deutschen Volkswirtschaft drohe dadurch zwar eine Rezession von bis zu sieben Prozent, zusammenbrechen werde sie aber nicht. Sauerbrey befürwortet die Entkopplung von russischen Abhängigkeiten ebenfalls, möchte aber den Zeitpunkt noch hinauszögern. Daneben betont sie die Bedeutung einer strategischen Planung, um Putin langfristig die Kriegsführung unmöglich zu machen und zu verhindern, dass er nach einem eventuellen Friedensschluss irgendwann erneut damit anfängt, „Stücke aus der Ukraine herauszureißen oder versucht, sie zu vernichten“.

„Maischberger. Die Woche“: Christine Lambrecht, die Märchenerzählerin?

Im Zwiegespräch mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk bekommt Maischberger eine Zusammenfassung dessen geliefert, was der Diplomat bereits in den letzten Tagen in diversen Interviews und Kommentaren mitgeteilt hat. Steinmeiers Entschuldigung, Wladimir Putin falsch eingeschätzt zu haben, sieht Melnyk bei all seiner regen Kritik am Bundespräsidenten als gute Geste und guten Anfang – auch dafür, die in der Russland-Politik begangenen Fehler der letzten Jahrzehnte aufzuarbeiten.

Angesprochen auf seine provokante Aussage, dass „alle Russen Feinde seien“ wagt Melnyk zunächst zwar einen relativierenden Blick in die Zukunft: „Die Versöhnung mit dem russischen Volk wird kommen“, fährt dann aber fort „Der Krieg wird nicht nur von Herrn Putin alleine geführt, sondern leider wahrscheinlich auch von der großen Mehrheit des russischen Volkes getragen. Es sind Russen, die auf unserem Boden diese Gräueltaten geschehen lassen, die Frauen vergewaltigen, Kinder töten, wahllos auf Zivilisten schießen, exekutieren, foltern.“

Der Botschafter der Ukraine in der ARD: „Das stimmt nicht! Wir haben leider keinen offenen Dialog“

Verwirrend wird es, als Maischberger Melnyk auf eine Aussage von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht anspricht. Die hatte am Mittwoch im Bundestag zu Protokoll gegeben, dass man auf Bitten der Ukraine und aus kriegstaktischen Gründen nach außen hin nicht kommuniziere, wie viele und welche Waffen man der Ukraine liefere.

Dem widerspricht der Botschafter entschieden: „Das stimmt nicht! Wir haben leider keinen offenen Dialog darüber, was wir brauchen, was die deutsche Bundeswehr uns liefern kann und wobei die Rüstungsindustrie uns helfen kann. Dieser Dialog läuft am 42. Tag des Krieges immer noch sehr schwerfällig und jeder Tag kostet viel zu viele Leben.“ Ein taktisches Spiel von beiden Seiten, um Russland zu irritieren? Oder – und das erscheint plausibler – vielmehr die Offenlegung, dass im Verteidigungsministerium schlampig gearbeitet wird und Lambrecht dies vertuschen will?

Strack-Zimmermann bei „Maischberger. Die Woche“: „Die Politik des Appeasements ist gescheitert“

Eine Antwort darauf bleibt auch der letzte Teil des umfangreichen Ukraine-Blocks der Sendung schuldig, in dem Gregor Gysi immerhin auf FDP-Verteidigungsfachfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann trifft, die sich als vermeintlich unwissend aus dem Thema herauswindet. „Die Politik des Appeasements ist gescheitert“, sagt sie und spricht sich für umfangreichere Waffenlieferungen und massivste Sanktionen gegen Russland inklusive eines sofortigen Gas-Stopps aus.

Sie hofft, dass die Bilder aus den Kriegsgebieten einen solchen Druck auf die Fraktionen ausüben, dass allen bald klar werde, dass man deutlich schneller aus der Situation heraus und dabei Wege finden müsse, die in Deutschland entstehenden Schäden und Ausfälle so schnell wie möglich zu kompensieren. Allerdings gibt sie auch zu: „Ich habe mit vielen anderen Ländern gesprochen, mit den Botschafterinnen und Botschaftern, und die Abhängigkeit Deutschlands von der russischen Energie ist mit Abstand am größten.“

Gysi mit deutlichen Worten in der ARD: „Ich bin mit Putin und der russischen Regierung völlig fertig“

Gysi findet ebenfalls deutliche Worte und räumt sogar ein: „Ich bin mit Putin und der russischen Regierung völlig fertig. Natürlich haben sich viele getäuscht, und ich auch, weil ich ihm nicht zugetraut habe, dass er diesen Schritt geht.“ Überraschend erklärt er auch, dass die NATO und US-Präsident Joe Biden im Augenblick recht klug handelten und er selbst und seine Partei – die bekanntlich noch im letzten Wahlprogramm die Auflösung des transatlantischen Bündnisses forderte – nun „über bestimmte Dinge“ nachdenken müssten.

Weitere Sanktionen sieht er allerdings kritisch – er befürchtet, dass diese Deutschland, insbesondere das untere Drittel der Gesellschaft, zu hart schädigen würden und auch, dass Millionen Menschen auf dem Globus durch ein komplettes Exportverbot für russische Güter sterben könnten, da nun mal ein Drittel allen Getreides weltweit aus Russland und der Ukraine käme. Einen echten Schlagabtausch zwischen der FDP-Frau und dem Linken-Mann gibt es während alledem nicht – zu ernst ist dafür die Lage und möchte man letztlich doch an einem Strang ziehen. Da kann man sich auch schon mal nur in einem Nebensatz darauf verständigen, dass die UN umfunktioniert werden müsse.

„Maischberger. Die Woche“: Ohne Corona geht es nicht – Kriegsreporter wird ausgeladen

Die aktuellen Corona-Geschehnisse – Bundesgesundheitsminister Lauterbachs Herumgeeiere in Sachen Quarantänepflicht sowie die heutige Bundestagsabstimmung über eine Impfpflicht für Menschen ab 60 – sind inzwischen auch bei Sandra Maischberger nur noch Nebensache und Pflichterfüllung. Diese Aufgabe überlässt sie in den letzten fünfzehn Sendungsminuten ihren Journalismus-Kolleg:innen, die munter darüber philosophieren, ob „der liebenswerte Freak“, wie Gabor Steingart Karl Lauterbach nennt, nun deswegen zurücktreten solle oder nicht (das finale Credo: er soll nicht).

Und nicht nur als Zuschauer:in stellt man sich dabei die Frage, ob eine monothematische Sendung nur zum Ukraine-Krieg nicht sinnvoller gewesen wäre. Eine solche hätte der eigentlich als Gast eingeplante Kriegsreporter Enno Lenze sicherlich gut um einen weiteren Aspekt und aus erster Hand ergänzen können – wäre er nicht kurzfristig und überraschend wieder ausgeladen worden.

„Maischberger. Die Woche“: Enno Lenze hätte über die Opfer des Krieges gesprochen

Auf Twitter schreibt er diplomatisch: „Ich bin in Rekordzeit aus Kyiv zurückgekommen, um heute Abend bei Maischberger als Augenzeuge von den Kriegsverbrechen zu berichten. Gerade wurde ich ausgeladen. Man wolle doch mehr über Corona machen und ich werde nicht mehr gebraucht. Ok.“. Und später weiter: „Worüber ich bei #Maischberger gesprochen hätte, wäre ich nicht kurzfristig ausgeladen worden: Die Opfer. Die Menschen, die elendig verreckt sind, weil Putin durchdreht.“

Es bleibt zu hoffen, dass den Machern ein solcher Fauxpas mit der Rückkehr der Sendung in vier Wochen nicht so bald wieder unterläuft. Nach der Frühjahrs-Pause heißt es dann ab dem 3. Mai im Zuge der ARD-Programmreform sogar zweimal wöchentlich „Maischberger. Die Woche“, jeweils dienstags und mittwochs nach den „Tagesthemen“. (Peter Hoch)

Auch interessant

Kommentare