„Maigret“ im Kino – Wenn es Nacht bleibt in Paris

Patrice Leconte verfilmt „Maigret“ mit Gérard Depardieu – mit viel Stimmung und wenig Spannung.
Der Nebel war so weiß und kalt wie das Eis.“ Wer Georges Simenons Romane liest, versteht, warum der beliebteste Teil der Nachrichten für so viele Menschen der Wetterbericht ist. Der „Maigret“-Autor war wegen seiner Produktivität selbst ein Naturereignis. Tatsächlich ging ihm das Schreiben wohl schon deshalb so leicht von der Hand, weil er hemmungslos einstreute, woran man angeblich Groschenromane erkennt: Schwelgerische Beschreibungen von Naturphänomen, die gerade die Großstadt ins Erhabene rücken konnten, und selten war es eitel Sonnenschein: „In manchen Straßen war der Nebel dichter als in anderen, und die Autobusse fuhren langsam, mit einem Lichtkranz um die Scheinwerfer.“
Filmemacher umarmten Simenons Werk für seinen Überschuss an Stimmungsgehalt, der so wunderbar in Worte fasste, was der Künstler Brassaï unter den Lichtern der Großstadt fotografierte. Nun hat Patrice Leconte den Roman „Maigret und die junge Tote“ verfilmt, von Simenon mit gewohnter Disziplin geschrieben in einer Januarwoche 1954.
Bekannt für den schwelgerischen Voyeurismus von Filmen wie „Die Verlobung des Monsieur Hire“ (ebenfalls nach Simenon) und „Der Mann der Friseuse“ ist Leconte gleich in seinem Element. In einem minutiös im Stil der frühen fünfziger Jahre eingerichteten Ladenlokal eines Kleiderverleihs begegnet uns eine zerbrechlich wirkende junge Frau. Im Ankleidezimmer sorgt die Schüchterne schon selbst dafür, dass die Kamera nicht – wie in so vielen französischen Filmen – mehr Körperlichkeit einfangen kann als unbedingt nötig. Behutsam, fast fürsorglich, kleidet sie die Besitzerin in edle Seide. Wiedersehen wird sie das kostbare Stück, blutig und zerrissen, erst einige Szenen später bei der Begegnung mit Kommissar Maigret. Die junge Frau wurde tot, dem Anschein nach erstochen, darin aufgefunden. Schon bei der Todesart befreit sich Leconte behutsam von der Vorlage. Die für ihre Einfühlsamkeit bekannte Detektivfigur wird angesichts der jungen Toten an eine eigene Verlusterfahrung erinnert.
Zunächst muss ihre Identität ermittelt werden, wozu immer neue Nebenfiguren mehr oder minder bereitwillig Auskunft geben. Eine prominente Schauspielerin (Melanie Bernier) und eine obdachlose junge Frau namens Betty, die der Toten ähnlich sieht (Jade Labeste). Während die Auswahl möglicher Verdächtiger die Ausmaße von Agatha-Christie-Stoffen anzunehmen droht, glänzt die Spannung mit Abwesenheit. Aber sie wurde wohl auch nicht eingeladen: Bei dieser Spurensuche rund um den nächtlichen Montmartre und in halbdunklen Innenräumen geht es vor allem darum, Simenon’sche Stimmungen einzufangen. Gelegentliche Musette-Musik nicht ausgeschlossen.
Er braucht kein Wort
Dabei kommt Leconte ein Hauptdarsteller entgegen, der kein Wort zu sagen braucht, um die Rolle auszufüllen. Schon als Schattenriss mit Hut und Pfeife ist Gérard Depardieu unzweifelhaft der ikonische Kommissar. Es ist kein einfaches Wiedersehen. Dieser Film entstand noch vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Depardieu 2015 als „Teil Russlands“ bezeichnete. Im vergangenen Jahr spendete er mehrere Theater-Gagen für ukrainische Opfer, als ließen sich frühere Zündeleien damit ungeschehen machen. Wie kaum ein westlicher Künstler hat Depardieu seinem Freund Putin über Jahre den Rücken gestärkt, bis hin zur Annahme der russischen Staatsbürgerschaft. Muss uns das bei einem seiner Filmauftritte kümmern?
Selbst wenn wir sie übersehen wollten, spielt die Medienpersona eines Schauspielers doch immer mit – nicht anders als die Erinnerung an frühere Rollen. Wie die russischen Oligarchen ist nun auch Depardieu mit einer Art Einreiseverbot belegt, er hat es sich selbst ausgestellt. Es gilt für Reisen ins Reich der unbeschwerten Illusion.
Lecontes Leinwand jedenfalls füllt er aus mit dem, was er exzellent beherrscht: Einer stillen Konzentration, die sich mit Zunahme der Körpermasse vom physischen Spiel ins psychologische verwandelte. So bereichert der 72-Jährige durchaus die illustre Liste von Maigret-Darstellern, die von Charles Laughton über Jean Gabin und Heinz Rühmann bis zu Rowan Atkinson führt. Da ist einerseits diese brüchige Erscheinung, die nur unter Mühen die Treppen zu einer Dachwohnung erklimmt, andererseits die nachdenkliche Präsenz des psychologischen Ermittlers schlechthin.
Und dann ist da eben auch noch Depardieu, der so sehr bemüht ist, seine eigene Biografie beiseite zu spielen. Oder wie es Simenon ausdrücken würde: „Er schien sehr weit weg zu sein, in einer anderen Welt, und man hörte nicht einmal das Geräusch seiner Schritte, als hätte der Nebel jeden Laut erstickt und zugleich alle Bilder ausradiert.“
Maigret. F 2022. Regie: Patrice Leconte. 88 Min.