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„Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung“ im Kino: Restaurierte Bilder der Vernichtung

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Von: Daniel Kothenschulte

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Verwundete Frauen gehen nach einem Bombenangriff durch Frankfurt am Main. Foto: Bundesarchiv/Progress
Verwundete Frauen gehen nach einem Bombenangriff durch Frankfurt am Main. Foto: Bundesarchiv/Progress © Bundesarchiv/Progress

Der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa und sein hochaktueller Montagefilm „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“

Im schwarzen Himmel funkeln weiße Punkte. Sternschnuppen, scheint es, fallen vom Himmel. Tatsächlich stammen die faszinierenden Bilder, unterlegt mit Sphärenklängen, aus einem Kriegsflugzeug. Was wir sehen, ist ein Bombenhagel auf eine deutsche Großstadt; doch die schwerelose Kamera, auch wenn sie Teil des Zerstörungswerkes ist, wirkt wie eine jenseitige Beobachterin.

Dass die Faszination dieser Bilder auch dann nicht nachlässt, wenn uns ihr entsetzlicher Inhalt klar geworden ist, gibt Medientheoretikern wie Paul Virilio recht: Das Kino wäre nichts ohne unsere Schaulust, aber es war auch stets Teil von Kriegsmaschinerien.

Der ukrainische, in Berlin lebende Filmemacher Sergei Loznitsa hat seinen Dokumentarfilm „Die Naturgeschichte der Zerstörung“, dessen Titel nun das Wort „Luftkrieg“ vorgestellt wurde, vergangenes Jahr in Cannes gezeigt. Wortlos fügt er Archivaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg aneinander. Vorangestellt ist eine Sequenz von Luftaufnahmen unzerstörter deutscher Großstädte. Leni Riefenstahl lieferte solche Bilder vom mittelalterlichen Nürnberg 1934 als Prolog ihres Parteitagsfilms „Triumph des Willens“. Parallel dazu zeigte sie Bilder des Hitler-Flugzeugs im Anflug auf die Stadt. Man sollte das schöne Deutschland mit den Augen des Führers sehen – und zugleich den vermeintlichen Heilsbringer dort verorten, von wo nach dem Sprichwort alles Gute kommt.

Große moralische Frage

Angeregt wurde Loznitsa von W. G. Sebalds Buch „Luftkrieg und Literatur“, das um die Überlegung kreiste, warum die Zerstörung deutscher Städte seinerzeit keinen größeren Niederschlag in der deutschen Literatur fand. Die große moralische Frage nach der Legitimität der Flächenbombardierung wurde vielfach vermieden, da man sie auch den Befreiern hätte stellen müssen. Für Loznitsa, der seinen Film noch vor der Eskalation des russischen Angriffskriegs im vergangenen Jahr geschaffen hat, ist sie hoch aktuell. „Obwohl der Zweite Weltkrieg nun über 80 Jahre zurück liegt, gibt es keinen Lernprozess, wir werden wieder mit den gleichen Mechanismen konfrontiert.“

Der dritte Akt des Films zeigt Bilder der Zerstörung, auch viele Tote. Wie die Aufnahmen der intakten Städte, wurden sie mit neuesten digitalen Techniken zu seltener Bildschärfe restauriert. Dass die meisten der Aufnahmen ursprünglich politischen Zwecken dienten, unterscheidet sie nicht von den Kriegsbildern der Gegenwart. Jeden Abend zeigen deutsche Nachrichtensendungen Aufnahmen, die von den Verteidigungsministerien beider Kriegsparteien freigegeben worden sind, oft ohne Nennung der Quellen.

Besonders prominent ist derzeit eine Luftaufnahme des zerstörten Bachmut aus russischer Quelle, wo man offensichtlich stolz ist auf das Zerstörungswerk. Loznitsas Film lässt uns gerade in seiner Schweigsamkeit permanent auch über den Umgang mit Kriegsbildern nachdenken und konfrontiert uns mit unserer eigenen Verantwortung, die dokumentarische Wahrheit aus der ursprünglichen rhetorischen Absicht zu lesen.

Der Abspann deutet darauf hin, dass in einer früheren Fassung noch eine Sprachebene existiert haben muss, dass literarische Quellen verlesen wurden, vermutlich von den Autoren, über die Sebald schrieb. Es wäre ein anderer Film geworden, vielleicht hätte er zugänglicher gewirkt. Aber die Worte hätten wohl auch die Lektüre der Bilder erschwert, dem eigentlichen Text dieses meisterhaften Films.

Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung. Dokumentarfilm. Regie: Sergei Loznitsa. 112 Min.

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