Ist das Leben nicht schön?

Mike White hat eine kluge Komödie über die bedrohten Ideale der Mittelschicht gedreht.
Viel wird derzeit darüber diskutiert, ob das amerikanische Fernsehen bereits das bessere Hollywood sei. In der vergangenen Woche beharrte Steven Spielberg in einem Interview im britischen Privatfernsehen auf Spartentrennung: „Wenn man einen Film fürs Fernsehen macht, hat man anschließend einen Fernsehfilm.“ Und mit Blick auf den ersten Oscar für eine Netflix-Produktion fügte er hinzu: „Wenn er gut ist, verdient er einen Emmy aber keinen Oscar.“ Hatte der Hollywood-Titan vergessen, dass er seine eigene Karriere einst auf einem „TV-Movie“ namens „Duell“ aufbaute, das wegen seiner Qualitäten auch im Kino lief?
Der Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler Mike White gehört zur jenen Künstlern, die für den Qualitätsschub im Serienfernsehen verantwortlich sind. Gemeinsam mit Laura Dern produzierte er und spielte in „Enlightened – Erleuchtung mit Hindernissen“, einer ungemein klugen und weitsichtigen Sitcom über die entfremdete Arbeit in Konzernen. Ginge es nach Spielberg, würde Whites neuer Film „Im Zweifel glücklich“ wohl auf gar keiner Filmseite besprochen werden, denn er entstand für den Streaming Dienst von Amazon. Doch ebenso wenig wie bei „Duell“ könnte man einen Unterschied festmachen zu einem Film für die große Leinwand. In diesem Fall einer kleinen, bittertraurigen Komödie im Woody-Allen-Stil.
Ben Stiller spielt die Allen-Figur, einen mit dem Status quo seiner Lebensmitte hadernden Intellektuellen namens Brad, der sich mit seinem Sohn (Austin Abrams) zu einem Road-Trip aufmacht. Nicht aus Abenteuerlust, wie es die Konventionen von Road Movies nahelegen würden. Auch nicht, um Familienbande enger zu schmieden, das würden beide, würde man sie fragen, kaum für nötig halten. Die Reise dient einem reellen Zweck, der Besichtigung von Colleges an der Ostküste, an denen der Sohn studieren könnte.
Und doch ist es ein Coming-of-Age-Film, nur dass es Brad ist, der plötzlich mit den Augen eines College-Studenten auf sein Leben blickt und eine neuerliche Selbstfindung bitter nötig hat. Die früheren Studienfreunde, die er kontaktiert, etwa um seinem Sohn ein Entrée in einem Elitecollege zu verschaffen, scheinen es weiter gebracht zu haben. Allen voran ein politischer Autor (Michael Sheen), Dauergast in Talkshows. Oder der von Regisseur Mike White ironisch gespielte Hipster-Filmemacher in Hollywood. Brad leitet immerhin eine NGO, was ihm angesichts der von den anderen eingelösten Wohlstandsversprechen, so sehr er sie selbst verachtete, nun aber fast peinlich ist. Auch ist er offenbar gar kein schlechter Familienvater – der auf dieser Reise allerdings fast nur mit sich selbst beschäftigt ist.
Messerscharfe Analyse
In einer glänzend geschriebenen Szene findet er in einer College-Studentin eine geduldige Zuhörerin für seine Larmoyanz. Durchaus bewundernd widerspricht sie seiner Selbstverachtung – immerhin hat er mit der NGO Bedeutendes geleistet. Bei Woody Allen hätte sich dieser Zuspruch ins Romantische verklärt, doch White findet einen weit besseren Weg, die Szene aufzulösen: In einer messerscharfen Analyse, die in ein, zwei kluge Sätze passt, nimmt die junge Frau Brads Wehleidigkeit jede Grundlage. Dieser unglückliche Mittelschichtsmann hat längst vergessen, wie privilegiert seine Existenz eigentlich ist – in einer Gesellschaft, die sich idealistische Arbeit nur noch im Prekariat vorstellen kann.
Mike White ist nicht Ken Loach. Niemand würde das Etikett „politisches Kino“ auf seine Komödien kleben, dabei hat kaum jemand derzeit die Widersprüche zwischen ökonomischen und ethischen Idealen besser im Blick. Ohne die Erwartungen an eine amüsante Vater-Sohn-Komödie zu verraten, erzählt er vom Generationenkonflikt einer ganzen Gesellschaft. „Brad’s Status“ heißt der Film im Original. Der vermeintliche Statusverlust, unter dem sein Held so leidet, ist die Abwertung politischer Utopien in einer Zeit, die Erfolg nur noch materiell definiert. Natürlich ist White selbst Idealist genug, in einem rührenden Ende doch noch die Gültigkeit von Brads vergessenem Wertesystem zu erklären.
Hier steht sein Film in der Tradition eines Frank Capra, der freilich seine sozialen Komödien aus der Erfahrung der ökonomischen Krise der 30er Jahre entwickelte. Doch wer die Zeiten vergleicht, muss feststellen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht kleiner geworden ist. Der gewissenlose Kapitalist, vor dem Capra warnte in Filmen wie „Ist das Leben nicht schön“, regiert längst die USA. Und wenn es heute ausgerechnet ein Großkonzern wie Amazon ist, der uns diese Botschaft überbringt, wollen wir den Streit zwischen Film und Fernsehen vorübergehend vergessen.
Woody Allens unglücklicher Deal mit Amazon hat einen überraschend schönen Film hervorgebracht: „A Rainy Day in New York“ – zu sehen nur im Kino.