ZDF Magazin Royale: Jan Böhmermanns Schlager-Performance erinnert an „Switch Reloaded“

Jan Böhmermann will Schlager-Fans die Illusion zerstören – und zeigt, wie viel Macht eine Person über das Showgeschäft hat.
Von diesem Angriff wird sich der deutsche Schlager niemals erholen. Zur prominenten Sendezeit am Freitagabend (25.03.2022) im ZDF hat Jan Böhmermann seinem Millionenpublikum gezeigt, dass Musiker ihren Erfolg oftmals Managern zu verdanken haben. Wer hätte das vor der Sendung für möglich gehalten?
Alles fängt mit einer Liebesbekundung des Moderators an Florian Silbereisen an, der das Aushängeschild des Schlagers im deutschen Fernsehen ist, vor allem in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Nahezu jede Show wird von ihm moderiert. Das, so hat die Recherche des ZDF Magazin Royale ergeben, liege nicht nur an seinem Talent, sondern an einem Mann und Manager namens Michael Jürgens. Dieser war zu Beginn seiner Karriere Anfang der 2000er-Jahre redaktionell für Schlager-Sendungen tätig. Heute ist er unter anderem Geschäftsführer der Produktionsfirma „Jürgens TV GmbH“ und des Plattenlabels „Unikat Music GmbH“, die hinter dem Großteil der Schlager-Shows und -Platten in Deutschland stecken – zusätzlich zu seiner Arbeit als Manager. Er bestimmt, wie die Sendungen ablaufen und wer auftritt. Viel Macht über den Schlager-Markt also. Heißt auch: Will man in Deutschland im Schlager durchstarten, gibt es an Michael Jürgens keinen Weg vorbei.
ZDF Magazin Royale: „Schlager-Pate“ Michael Jürgens hat großen Einfluss
Die Redaktion des ZDF Magazin Royale habe die gesamte Vertretung der Schlager-Branche – sowohl Künstler als auch Manager – abtelefoniert. So gut wie niemand habe sich über Michael Jürgens äußern wollen. „Keiner hat sich getraut“, vor der Kamera zu sprechen, behauptet Böhmermann. Bis auf einen Branchenkenner, der sagt, dass es sich niemand mit Jürgens „verscherzen“ wolle. Liebevoll spricht Böhmermann vom „Schlager-Paten“ oder „Schlager-Oligarchen“. Außerdem würde der Einfluss Jürgens erklären, wieso man bei den TV-Shows immer wieder dieselben Gesichter vorgesetzt bekommt.
Es folgt eine erschreckende Erkenntnis. Der werbefreie öffentlich-rechtliche Rundfunk wird als Werbefläche für Schlager-CDs und -Konzerte genutzt. Diese werden nämlich in jeder Show erwähnt. Einer Pressemitteilung des MDR zufolge sei der Sender nicht an den Einnahmen aus den Tourneen von Florian Silbereisen beteiligt. Wieso der MDR da trotzdem mitmacht? Quote. In Deutschland gibt es kaum Unterhaltungsshows, die so erfolgreich sind wie die von Michael Jürgens produzierten Schlagerfeste. Viel Reichweite, viel Geld – ein beiderseits lukratives Verhältnis.
Auch Udo Foht wird angesprochen. Der ehemalige Unterhaltungschef des MDR hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der ARD-Sender zu einem wahren Schlager-Powerhouse herangewachsen ist. Doch offenbar war der MDR nicht genug. Denn seit kurzem ist Florian Silbereisen Juror bei der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ von RTL. Ein Mitglied des Chors „Golden Voices of Gospel“, der in vielen Schlager-Shows von Silbereisen aufgetreten war, nahm auch an DSDS teil. Natürlich war Silbereisen sichtlich begeistert vom Talent der Sängerin. Sein Einfluss wächst, doch gleichzeitig hält sich Michael Jürgens insgesamt bedeckt und weitestgehend aus dem Rampenlicht fern. Die Schlagerwelt mit ihren großen Stars und talentierten Newcomern soll wie ein natürlicher Organismus erscheinen. Fliegt es auf, dass er alleine die Karriere von Schlager-Sängerinnen und -Sängern lenkt, könnte das die Illusion zerstören, wird sich Böhmermann gedacht haben. Ob das klappt, ist zu bezweifeln. Dafür verbreitet Schlager einfach zu viel gute Laune unter unschuldigen Fans.
ZDF Magazin Royale: Jan Böhmermann macht Schlager zum Thema
Wie schon letzte Woche mit der Deutschen Bahn hat sich Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale ein einfaches Ziel für Witze ausgesucht. Bei aller berechtigter Kritik am Schlager-Geschäft wirkt der Fall um Jürgens und Silbereisen aufgebauscht. Lange wartet man gespannt auf die Bombe, die Böhmermann platzen lassen wird, um die beiden zu zerstören – jedoch vergeblich. Ist es wirklich so bemerkenswert, dass einige wenige das Sagen haben? Dass eher nicht nach musikalischem Talent, sondern nach Vermarktungs-Potenzial ausgesiebt wird, ist in der Popmusik ein schlecht bis gar nicht gehütetes Geheimnis. Auch Kontakte sind in Musik, Film und Fernsehen natürlich Gold wert. Zudem kommt erneut die Frage auf, für wen die Sendung eigentlich gedacht ist. Bei Schlagerfest-Fans und Böhmermann-Publikum dürfte es nur wenige Überschneidungen geben, sodass diese Sendung ins Leere verläuft.
Zur Sendung
ZDF Magazin Royale: „The Godfather of Schlager“ am Freitag, 25.03.2022 im ZDF – Link zur Mediathek
Als man sich damit abgefunden hat, dass nichts Aufsehenerregendes mehr kommt, liefert der Moderator selbst noch eine satirische Schlager-Performance. Böhmermanns Einlage zum Abschluss der Sendung weckt Erinnerungen an „Switch Reloaded“ und Michael Kessler in der Rolle des Florian Silbereisen, von 2007 bis 2012 bei Pro Sieben. Was sich seitdem geändert hat? Nicht nur hält sich Silbereisen noch immer an der Spitze des Unterhaltungsfernsehens, auch der Schlager ist in der deutschen Musik dominanter geworden – nicht zuletzt dank Michael Jürgens. (Lukas Rogalla)