„Verhandlungen können funktionieren“: Wagenknecht mit neuer Prognose zum Ukraine-Krieg bei Lanz

Sahra Wagenknecht bekommt bei Markus Lanz erneut eine Plattform geboten und darf sich und ihre Thesen erklären.
Hamburg – In wenigen Tagen jährt sich der Tag, an dem Russland die Ukraine überfallen und die europäische Nachkriegsordnung zerstört hat. Wie soll der Ukraine-Krieg enden, fragte Markus Lanz seine Gäste im ZDF. Eine Frage, die so einfach weder praktisch noch moralisch zu beantwortet ist.
Heftig kritisiert wurden Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer für ihre Initiative, den Krieg in der Ukraine mit diplomatischen Mitteln zu beenden und zu einem Friedensschluss zu kommen. Ihr „Manifest für Frieden“ wird als naiv kritisiert, Wagenknecht als Putin-Freund bezeichnet.
Sahra Wagenknecht bei Markus Lanz: „Auch die Signale von Biden sind gefährlich“
Gerade war US-Präsident Biden in Kiew, um seine Unterstützung der Ukraine zu betonen. Wagenknecht sagte bei Markus Lanz im ZDF: „Auch die Signale von Biden sind gefährlich, es gibt keine diplomatische Initiative.“ Das stimmt natürlich: Wenn nicht verhandelt wird, kann es natürlich auch zu keiner Einigung kommen. „Verhandlungen können funktionieren“, so Sahra Wagenknecht bei Lanz, über Gefangenenaustausch oder Getreidelieferungen wurden Abkommen getroffen, es wird also geredet zwischen der Ukraine und Russland, doch kann dadurch der Krieg beendet werden?
Die ukrainische Wissenschaftlerin Ljudmyla Melnyk vom „Institut für Europäische Politik“ versuchte Wagenknecht mit dem Argument anzugreifen, dass sie in den letzten Jahren nicht selbst in der Ukraine zu Besuch war. Warum das eine qualifizierte Meinung zur Situation in der Ukraine verhindern sollte, konnte Melnyk nicht begründen. Auch Lanz versteifte sich in seiner Sendung im ZDF darauf, das Russland aufrüstet, Putin keinerlei Absichten zeigt, sich zurückzuziehen. Aber soll man deswegen keine Versuche machen, Verhandlungen zu beginnen?
Vor ein paar Tagen veröffentlichte das Magazin „The New Yorker“ ein hochinteressantes Gespräch zwischen dem Chefredakteur David Remnick und dem Politikwissenschaftler Stephen Kotkin, das grundsätzlich Wagenknechts Thesen bestätigt: Dieser Krieg wird am Verhandlungstisch enden. Die Frage ist nun, wie kann man nun mit einem Menschen wie Wladimir Putin verhandeln, der einerseits für Kriegsverbrechen verantwortlich ist, andererseits aber auch am Hebel der größten Nuklearmacht der Welt sitzt?
Wie kommt man aus diesem Konflikt heraus?
Diese Konstellation ist etwas völlig anderes als etwa die Invasion des Iraks in Kuwait, ein Überfall, der mit relativ einfachen Mittel zurückgeschlagen werden konnte. In diesem Fall ist die Situation allerdings deutlich komplizierter, vor allem in Bezug auf die Frage, was das Ziel der jeweiligen Kriegsparteien sein soll? „Was sind die Konditionen?“, fragte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert richtigerweise, „worüber soll verhandelt werden?“ Ohne Waffenlieferungen des Westens wäre die Ukraine schon längst Geschichte, aber bedeutet die Unterstützung des Westens für die Ukraine nicht auch, dass Einfluss genommen wird?
Die Vorstellung, dass die Ukraine völlig autonom über ihr Schicksal entscheidet, ist naiv. Als Land, das an der Grenze zwischen der NATO und Russland liegt, das nur durch massive militärische Unterstützung des Westens, vor allem der USA noch existiert, ist die Ukraine selbstverständlich von den Interessen der USA abhängig. Egal, wie sehr beide Seiten auch ihre Unabhängigkeit betonen.
Doch wie kommt man aus diesem Konflikt heraus? Ljudmyla Melnyk sagte bei Markus Lanz im ZDF: „Meine Oma hat zehn Jahre im Gulag verbracht.“ Das ist natürlich schlimm, aber was hat das mit dem aktuellen Konflikt zu tun? Ist es nicht genau diese Emotionalität, die verhindert, rational und vor allem pragmatisch zu denken? Mehr als Sahra Wagenknecht vorzuhalten, dass sie sich nicht dezidiert von Putin distanziert, schaffte Markus Lanz in seiner ZDF-Sendung nicht. Dass man sowohl Putins Krieg ablehnen, sich aber gleichzeitig auch für Friedensverhandlungen einsetzen kann, das ist ein Gedanke, der nicht nur für Lanz zu komplex war, sondern auch für Kevin Kühnert.
Kevin Kühnert rein emotional bei Markus Lanz
Auch der SPD-Generalsekretär argumentierte rein emotional und verstand nicht, dass früher oder später verhandelt werden muss. Und wie Stephen Kotkin im oben erwähnten Interview ausführte: Jeder Tag des Krieges sorgt für weitere Opfer auf beiden Seiten und sorgt vor allem für eine weitere Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur.
Markus Lanz im ZDF | Die Gäste der Sendung vom 21. Februar |
Kevin Kühnert | SPD-Generalsekretär |
Sahra Wagenknecht | Linken-Politikerin |
Marina Owsjannikowa | Journalistin |
Ljudmyla Melnyk | Wissenschaftlerin |
Die geschätzten Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine belaufen sich schon jetzt auf mindestens 350 Milliarden Euro und mit jedem Kriegstag wird es mehr. Bloßer Idealismus, wie ihn Markus Lanz und seine ukrainischen Gäste zeigen, neben Ljudmyla Melnyk die Aktivistin Marina Owsjannikowa, wird da nicht helfen. Der Traum, dass es der Ukraine gelingt, die russischen Truppen aus dem gesamten Gebiet der Ukraine, inklusive der Krim, zu vertreiben, scheint utopisch.
Doch ob die Ukraine, ob ihr Präsident Selenskyj willens sein wird, einen Kompromiss einzugehen, davon wird die Zukunft der Ukraine abhängen. So vehement Kevin Kühnert Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ablehnt, so vehement sollte er auch mal Verhandlungen zwischen der Berliner SPD und möglichen Koalitionspartnern ablehnen. Der größte Unterschied: In der deutschen Politik sterben keine Menschen, in der Ukraine jedoch täglich. Wie lange noch, das hängt von vielen Seiten ab, nicht nur von der Ukraine und Russland, sondern auch von den USA und den europäischen Nationen, nicht zuletzt Deutschland. (Michael Meyns)