ZDF-Talk mit Lars Klingbeil: Wenn es sogar Markus Lanz die Sprache verschlägt

Bei Markus Lanz versucht Lars Klingbeil den Streit in der Ampelkoalition über den Umgang mit Atomenergie herunterzuspielen. Das erheitert den ZDF-Moderator.
Hamburg – „Die Situation ist total ernsthaft“ und doch hat Markus Lanz an diesem Abend viel zu lachen. Er möchte „ein Gefühl dafür entwickeln“, wie „verrückt unsere Welt gerade ist“ und Menschen wertschätzen, die Inhalte erklären können: Nur müssen diese erst einmal gefunden werden. Er sucht bei Lars Klingbeil (SPD-Bundesvorsitzender), Christian Dürr (FDP-Fraktionschef), Hannah Bethke („Die Zeit“-Politikjournalistin) und Golineh Atai (Leiterin des ZDF-Studios in Kairo).
Zu Beginn spricht Markus Lanz im ZDF mit Lars Klingbeil, der gerade erst als Politik-Stratege des Jahres ausgezeichnet wurde und (mal wieder) etwas übernächtigt ist. Doch im Fokus steht die Rangelei zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister: Die beiden sind „so eine Art Doppel-Wumms“, findet der Moderator im ZDF. Sollen zwei AKWs nun „ein bisschen länger“ laufen, wie Robert Habeck es möchte oder drei AKWs „viel länger“ laufen, wie Christian Lindner es möchte? Ein kindlicher oder gar „kleinkarierter“ Streit? Zumindest „läuft gerade gar nix in Sachen Laufzeiten“, witzelt Markus Lanz. Und doch sind es „schwierige Zeiten.“
Markus Lanz (ZDF): Es geht nicht nach vorne
„Man hat nicht das Gefühl, dass Dinge wirklich nach vorne gehen“, findet Markus Lanz und Golineh Atai stimmt ihm zu: Eigentlich ist da eher das Empfinden, „dass wir in einer super-komplizierten Welt gerade sind.“ Es existieren so viele „ökonomische Zwänge“, dass unbedingt zusammen gearbeitet werden sollte. Kleinliche Streitigkeiten und Parteien, die sich „ideologisch in die Haare“ bekommen, interessieren die Bevölkerung nicht, sondern konstruktive Ergebnisse. „Von dieser (politischen) Spaltung profitiert nur einer: Wladimir Putin.“
Als die FDP in den Bundestag eingezogen ist, wurde viel über Fortschritt gesprochen und davon, „den Stillstand der Merkel-Ära aufzulösen“. Jetzt aber gibt es neue, dringlichere Themen und Christian Dürr plädiert bei Markus Lanz (ZDF) dafür, „konzentriert weiter zu arbeiten“ sowie „Verantwortung zu übernehmen“, da jede Entscheidung „extreme Auswirkungen“ hat. „Da sitzt ein Despot im Kreml, der versucht, die liberale Demokratie anzugreifen.“ In solchen Zeiten möchte der FDP-Politiker mit der deutschen Wirtschaft nicht Monopoly spielen, um handlungsfähig zu bleiben, sondern hätte lieber, dass die Bevölkerung den Eindruck gewinnt, „dass wir ganz vernünftig miteinander umgehen. Eigentlich.“
Markus Lanz (ZDF): Wann wacht die Regierung auf?
Es sei keine Option zu sagen „es gibt gar kein Problem, es ist ganz viel Staatsgeld da“, findet Christian Dürr. Auch wenn es „eine unbequeme Rolle“ ist, ständig daran zu erinnern, dass ein Staat sich nicht unbegrenzt verschulden sollte, während die Bevölkerung verzweifelt nach Hilfe, Unterstützung und Entlastung ruft. Hannah Bethke sieht da ganz besonders das gelbe Licht in „der Ampel flackern“: das schlechte Abschneiden der FDP bei den Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, NRW und nun auch Niedersachsen bedeutet für die „politische Situation des Landes nichts Gutes“, denn es stärkt die radikalen Kräfte. Auch Golineh Atai sieht besorgt, dass immer erst aus der Bevölkerung Appelle kommen müssen, damit die „Regierung aufwacht.“
„Es wird immer wieder die Notlage des Landes beschworen“, aber keiner mag so recht auf den Koalitionsstreit eingehen, beklagt sich Markus Lanz. Hannah Bethke kann da tiefer ins Detail gehen: Es geht in der Debatte um das dritte AKW im Emsland, klärt sie auf. Nach ihren Informationen sind die Brennstäbe hier längst abgebrannt, also bräuchte es neue Brennstäbe, was zur Folge hätte, dass das AKW dann mehrere Jahre laufen müsste. „Der Preis ist ein bisschen hoch, mit dem hier verhandelt wird.“ Sie hält den Sprint der FDP „für unnötig und für nicht angebracht in dieser Zeit“. Zumal Christian Lindner am Anfang große Reden geschwungen hat, dass es um „erneuerbare Energien als Freiheitsenergien gehe.“
Markus Lanz (ZDF) | Die Gäste der Sendung vom 13. Oktober |
---|---|
Lars Klingbeil | SPD-Vorsitzender |
Christian Dürr | FDP-Fraktionschef |
Hannah Bethke | Journalistin |
Golineh Atai | Nahost-Expertin |
Seit Regierungsbeginn haben sich mit dem 24. Februar auch „fundamentale Dinge in diesem Land verändert“, rechtfertigt Lars Klingbeil diesen Meinungsumschwung. Letztendlich hatten sie „immer harmonische, konstruktive Sitzungen“, in denen die Parteien der Ampel-Koalition – in nicht einmal einem Jahr – „wirklich viel erreicht haben.“ Bei dem Wort „harmonisch“ verschlägt es Markus Lanz glatt die Sprache, wo es doch so viele Unstimmigkeiten zu geben scheint. „Wir haben Robert Habeck gebeten“ zu prüfen, ob „wir eine Stromlücke bekommen“, glättet Lars Klingbeil wie üblich ruhig die Wogen, und das Ergebnis war „eindeutig“: Deutschland hat genug Strom. „Der Kanzler, Christian Lindner und Robert Habeck“ müssen nun herausfinden, ob es eine Auswirkung auf den Preis hat, wenn die AKWs länger laufen und „wie die Energieform der Zukunft aussieht.“
Zumindest für die SPD sieht der SPD-Bundesvorsitzende die Ausrichtung „ganz klar: Wir wollen raus aus der Atomenergie.“ Aber in Notsituationen geht es vorrangig darum, „in diesem Land Arbeitsplätze zu retten, dafür zu sorgen, dass der soziale Zusammenhalt gesichert wird, dass diese Gesellschaft nicht auseinanderfliegt.“ Da ist keine Zeit für lange Grundsatzdebatten, sondern es geht darum, „das Land durch diese Krise durchzubringen.“ (Tina Waldeck)