„Kommissar Van der Valk“ heute in der ARD – Der Dreck anderer Leute

Auch die zweite Staffel der britischen Reihe „Kommissar Van der Valk“ verleugnet die literarischen Vorlagen von Nicolas Freeling.
Frankfurt – Wer immer das literarische Erbe des 2003 verstorbenen britischen Schriftstellers Nicolas Freeling (gebürtig Nicolas Davidson) verwaltet, hat dessen Ansehen mit der neuerlichen Vergabe der Filmrechte keinen Gefallen getan. Die erste Verfilmung in Form einer TV-Serie mit dem Amsterdamer Kommissar Piet van der Valk hatte 1972 Premiere und lief mit Unterbrechungen bis 1992. Die Hauptrolle spielte Barry Foster, wohl sein bekanntester Part neben dem Frauenmörder aus Alfred Hitchcocks „Frenzy“. Zur gleichen Zeit gab es drei abendfüllende Freeling-Verfilmungen aus deutscher Hand mit dem Hauptdarsteller Frank Finlay und der Vorlage näher als die britische Produktion. Einer der Regisseure war Peter Zadek.
2020 übernahmen erneut die Briten – die Niederländer leisteten nur Produktionshilfe – und besetzten die Titelrolle mit Marc Warren, der selbst auch als Produzent fungiert. Die Wahl des durchtrainierten Mimen, in Deutschland bekannt vor allem durch die schmissige Gaunerserie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“, deutet schon an, dass von Freelings Konzept nicht viel mehr geblieben ist als der Name der Hauptfigur und der Schauplatz Amsterdam.
„Kommissar Van der Valk“: Verbrannt, zerstückelt und entstellt
Bei Freeling war Van der Valk ein nachdenklicher Mensch, belesen und ein Freund der guten Küche. Was daran liegen könnte, dass sein Erfinder, der lange in Amsterdam lebte, einige Zeit als Koch gearbeitet hatte. Und Van der Valk war verheiratet, mit der Französin Arlette, die nach dem gewaltsamem Ableben des Kommissars – ein mutiger Zug für einen Krimiautor – ihrerseits zur Heldin zweier Romane wurde, ehe Freeling mit Henri Castang einen neuen Ermittler an die Arbeit schickte.
Von Ehe kann beim zeitgenössischen Van der Valk keine Rede sein. Der wortkarge, immer leicht mürrische Beamte hat dank seines guten Aussehens Erfolg bei Frauen, gebärdet sich aber eher unbeholfen, wenn die Beziehung über den Sex hinausgehen soll. Er lebt, wahrlich ein ausgelutschtes Klischee, auf einem Segelschiff. Seine Tätigkeit beschreibt er mit den Worten: „Ich kümmere mich um den Dreck anderer Leute.“ Ein Grübler ist er schon, da scheint dann noch so eben der literarische Van der Valk durch, den Nicolas Freeling als sozialkritische Version von Georges Simenons Maigret anlegte.
„Kommissar Van der Valk“ im Ersten: Filme mit grotesk überzogenen Morden
Generell ist Chris Murray, der Hauptautor der Reihe, weit weniger wagemutig als Freeling. Der ging Risiken ein, schrieb beispielsweise ganze Kapitel aus der Warte des Verbrechers. (Und würde mit so einem ‚Durcheinander‘ wohl heutigentags bei den meisten Krimilektorinnen und -lektoren strikte Ablehnung ernten.) Demgegenüber orientiert sich Murray eher an der Masche einiger erfolgreicher skandinavischer Autoren. Keiner der drei Filme, die die ARD an den Pfingsttagen und am 12. Juni ausstrahlt, kommt ohne grotesk überzogene Morde aus.
Das erste Opfer hängt weithin sichtbar wie eine Vogelscheuche an einem Gestell, und der Frau wurde mit einem Käsemesser ein großes Kreuz in die Haut geschnitten. Ein anderer Mensch verbrennt lebendigen Leibes. Im zweiten Film „Blut in Amsterdam“ werden Teile einer zerstückelten Leiche in Kisten verpackt und einigen noblen Herrschaften zugestellt. In der finalen Episode „Abrechnung in Amsterdam“ bekommt eine Cellistin Säure ins Gesicht, überlebt zunächst, erliegt dann aber ihren schweren Verletzungen.
Regie | Jean van de Velde |
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Buch | Chris Murray |
Kamera | Jeroen de Bruin |
Musik | Matthijs Kieboom |
Krimi im Ersten: Viel Unfug im Detail
Anhand der Geschichte dieses dritten Films lässt sich sehr schön die Absurdität solch spekulativer Mätzchen aufzeigen. Denn erzählt wird von einem Misthaufen aus hochgestellten Persönlichkeiten, die minderjährige Mädchen zu Sexspielen missbrauchen. Übereinstimmungen mit dem Fall Jeffrey Epstein sind wohl kein Zufall. Ein investigativer Journalist ermittelt, deshalb möchten die hochgestellten Drahtzieher dieses kriminellen Treibens gründlich ihre Spuren verwischen. Und das tun sie ausgerechnet, indem sie einer bekannten Musikerin in Anwesenheit eines großen Publikums (!) das Gesicht verätzen. Noch wirksamer hätte man die Polizei nicht auf sich aufmerksam machen können.
Auch im Detail wird viel Unfug getrieben. Van der Valks Mitarbeiter Brad de Vries (Luke Allen-Gale) kann Astronomie nicht von Astrologie unterscheiden, wird also so dumm hingestellt, als habe er nie eine Polizeischule von innen gesehen. DNA-Ergebnisse liegen in Minutenschnelle vor, der Rechtsmediziner, der gern im Sektionsraum ein Nickerchen hält und dort auch Pizza frisst, ist zugleich allgegenwärtiger Kriminaltechniker. Und der Eindruck, dass man in den Niederlanden keinen Durchsuchungsbeschluss benötigt, um als Polizist in fremde Wohnungen einzudringen, entspricht nicht den Tatsachen.
Kriminalfilm im Ersten: Mindestmaß an Plausibilität? Fehlanzeige
Die Kriminalfälle sind recht komplex gestrickt, aber Effekt geht vor Logik. Da durchstöbern die Ermittler Job Cloovers (Elliot Barnes-Worrell) und Brad de Vries das denkmalgeschützte Jugendstilkino Tuschinsky – von der Handlung her widersinnig, aber schön anzusehen –, während zeitgleich Van der Valk und die Kollegin Lucienne Hassel (Maimie McCoy) nach Scheveningen aufbrechen.
Die Fahrt dauert mindestens eine Stunde, und trotzdem sind sie bereits am Strand, ehe Cloovers und De Vries ihre rasche Durchsuchung beendet haben. Die fahren dann hinterdrein und stehen im nächsten Moment bereits neben den Kollegen unterm Scheveninger Riesenrad. Wer also von einem Kriminalfilm ein Mindestmaß an Plausibilität erwartet, ist hier an der falschen Stelle.
„Kommissar Van der Valk“: Vorzugsweise dekadent
Hingegen kommen Amsterdam-Fans auf ihre Kosten. Täter, Verdächtige, Zeugen, Ermittler bewegen sich bevorzugt rund um Sehenswürdigkeiten wie dem Muziekgebouw aan ’t IJ, dem Amsterdam-Turm mit dem kreisenden Restaurant oder dem runden Parkhaus an der Marnixstraat. Wenn eine Figur gern schwimmen geht, dann natürlich hoch über den Dächern in der „W Lounge“, direkt gegenüber dem Königlichen Palast.
Viele Szenen spielen in diesen von vielen Touristen frequentierten Straßen rund um den Dam. Van der Valk und sein Team arbeiten gern außerhalb des Präsidiums im legendären „Café Scheltema“ und lassen dort gelegentlich ihre Fallakten allgemein zugänglich auf den Tischen liegen.
„Kommissar Van der Valk: Gejagt in Amsterdam“
Pfingstsonntag, 5. Juni, 21.45 Uhr, Das Erste
Pfingstmontag, 6. Juni, 21.45 Uhr, Das Erste
Sonntag, 12. Juni, 21.45 Uhr, Das Erste
Hinweis: Alle Filme sind bereits online in der Mediathek verfügbar.
Der Autor Chris Murray hegt offenbar eine Vorliebe für die Dekadenz nobler Milieus – Immobilienmakler, eine Diamantendynastie, Gastrokönige –, und damit zugleich für Prunk und Pomp in den Kulissen. Alles in dieser Produktion ist auf Bildwirkung ausgerichtet. Ohne Rücksicht auf inhaltliche Belange. Viele Establishing Shots – kurze Szenen, die eigentlich einen Schauplatzwechsel vermitteln sollen – zeigen gerade nicht den Ort der folgenden Handlung, sondern wurden zusammenhanglos zwischen die Sequenzen geklebt.
Zu gucken also gibt es eine Menge, in die Aufnahmetechnik wurde sichtlich investiert. Aber Inhalt und Machart sind demgegenüber blamabel geraten. Dem vielfach preisgekrönten Nicolas Freeling werden sie nicht einmal annähernd gerecht .Übrigens produzieren die Niederländer selbst gute Kriminalserien. Vielleicht sollten die deutschen Sender dort mal auf Einkaufstour gehen. (Harald Keller)
Die erste Staffel der Krimi-Serie „Kommissar Van der Valk“ startete im Juni 2020 in der ARD. Bereits damals galt sie als überfrachtet, bot aber auch viel Action. (Harald Keller)