„Kokain für Deutschland – Koksen, Dealen, Schmuggeln“: Ein Krieg mit vielen Fronten

Eine ZDFinfo-Reportage begleitet den Weg des Kokains von den Plantagen bis zu den deutschen Konsumenten.
Frankfurt am Main - Je nachdem, wo man fragt, liegt der Preis für ein Gramm Kokain bei um die 100 Euro. Das erscheint erstaunlich billig angesichts der vielen Arbeits- und Transportschritte, die notwendig sind, bis das weiße Pulver in deutsche Nasen oder Venen gelangt. Anbau, Ernte, Labore in Lateinamerika, Verpackung und Verfrachtung auf Schmuggelwegen direkt nach Europa oder auf dem Umweg über Afrika und das Mittelmeer.
Schiffscontainer kommen zum Einsatz, U-Boote sogar und „Mulis“ – Kuriere, die eingeschweißte Kokainportionen schlucken und am Zielort wieder ausscheiden. Lebensgefährlich. Aber wer sich einmal mit den mächtigen Drogenkartellen eingelassen hat, ist zur ewigen Mitarbeit verdammt. Die Auftraggeber drohen nicht nur den Boten, sondern auch deren Familien.
„Kokain für Deutschland – Koksen, Dealen, Schmuggeln“: Geld ebnet den Weg
So berichtet es der kenianische Schmuggler „Idris“, dessen Name für die ZDF-Produktion „Kokain für Deutschland“ geändert wurde. Er würde gerne aussteigen, kann es aber nicht. „Idris“ fliegt regelmäßig nach Europa. Ein markantes Detail: An den Zielflughäfen wird er an den Zollkontrollen vorbeigelotst.
Nicht nur dort wird Personal von den Drogenkartellen gekauft. Milliardengewinne machen es möglich. Eigene hochbezahlte Logistiker sorgen dafür, dass ganze Container voller Schmuggelware aus den Häfen geschleust werden. „Mike“, auch dieser Name wurde verändert, arbeitet im spanischen La Línea de la Concepción an der Bucht von Gibraltar, wo ein regelrechtes Establishment aus Drogenschmugglern entstanden ist.
In Deutschland geben „Jonas“ und „Max“, durch Gesichtsmasken getarnt, Auskunft darüber, wie das Geschäft mit den Endverbrauchern läuft. Sie zählen, so sagen sie, Polizisten, Anwälte und sogar Richter zu ihren Kunden. Wobei Kokain beileibe nicht den gehobenen Milieus vorbehalten ist.
Die ehemalige Konsumentin „Marie“ ist Lobbyistin. Sie nahm Kokain anfangs als Partydroge, dann im Beruf zur Leistungssteigerung. Sie wurde abhängig und konnte am Ende ihre Sucht kaum mehr finanzieren. Für viele der Weg in die Kriminalität oder Prostitution. „Marie“ begann eine Therapie und hat – zumindest bislang – den Absprung geschafft. Wenn es dabei bleibt, gehört sie zum glücklichen Drittel derjenigen, denen ein dauerhafter Entzug gelingt. Aber: „Von der Droge loszukommen, das ist wie Krieg.“ Dem italienischen Schriftsteller Pitigrilli erschienen die Opfer des Kokskonsums wie „schrille, einbalsamierte Vögel“.
„Kokain für Deutschland – Koksen, Dealen, Schmuggeln“: Tod auf offener Straße
Das Team um Autor Daniel Sager kann mit erstaunlichen Rechercheleistungen aufwarten. Es gelang, in die Unterweltorganisationen vorzudringen und Gesprächspartner aus der Szene zu gewinnen. Sager begleitete eine Razzia der Guardia Civil, bekam neuartige Fahndungsmethoden des niederländischen Zolls gezeigt, sprach mit Kriminologen, Ermittlern und Politikern. Angesichts dieser Fülle an spannenden und informativen Ergebnissen aufwändiger investigativer Arbeit verwundert es, dass die Reportage auf 45 Minuten Sendezeit begrenzt wurde. In abendfüllender Form oder aber als Mehrteiler hätte sich vieles eingehender darstellen lassen, ohne dass Längen zu befürchten gewesen wären.
Zur Sendung
„Kokain für Deutschland – Koksen, Dealen, Schmuggeln“, Freitag, 27.5.2022, 20:15 Uhr, ZDFinfo und ZDF-Mediathek.
Der Kokainhandel ist ein globales Milliardengeschäft mit verblüffend perfektionierten Infrastrukturen und gewaltigen Umschlagmengen. Offenbar steigt die Nachfrage immer noch an, und mit den enormen Gewinnen zugleich die ohnehin bereits ausgeprägte Gewaltbereitschaft und Korruption.
Der Autor vergleicht das Vorgehen der Behörden gegen die Kartelle mit einem Kampf gegen Windmühlen. Doch waren die Windmühlen des Schriftstellers Cervantes in seinem Ritterroman „Don Quijote“ ein Sinnbild für eine eingebildete Gefahr. Die mit dem Kokainhandel und -konsum verbundenen Gefahren sind hingegen sehr real. Zu spüren bekam das unter anderem der niederländische TV-Journalist Peter de Vries, der 2021 mutmaßlich auf Anweisung eines inhaftierten Drogenbarons auf offener Straße ermordet wurde. (Harald Keller)