Kinofilm „In den Uffizien“: Vor dem Vorhang

„In den Uffizien“, der Dokumentarfilm von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch über das florentinische Museum, ist vor allem ein Porträt seines deutschen Direktors
Kann man eine Institution wie die Florentiner Uffizien, eines der bedeutendsten Museen der Welt, in einem Dokumentarfilm von 90 Minuten porträtieren? Man kann es zumindest versuchen, auch wenn im Film selbst der Bibliothekar des Hauses fünf Tage allein für die Besichtigung empfiehlt.
In Titel und Anspruch erinnert das Werk von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch an die großen Institutionen-Porträts des Amerikaners Frederick Wiseman. Seine überlangen Filme über die Londoner National Gallery, über das Ballett der Pariser Oper oder die New Yorker Public Library setzten Maßstäbe. Wie Wiseman wählen auch Belz und Lansch einen beobachtenden, kommentarlosen Filmstil und montieren in loser Folge Eindrücke von vor und hinter den Kulissen. Bald jedoch bemerkt man, dass sie in einem entscheidenden Punkt auf Distanz zu Wisemans stilbildendem Ansatz gehen, und das hat nichts mit der kürzeren Laufzeit zu tun. Wisemans Radikalität besteht darin, keine Hierarchien zu bedienen, weder in der Form noch in den abgebildeten Institutionen. Dagegen steht hier der konservative Ansatz, eine Institution vom Kopf her zu porträtieren.
Belz, die ihre bekanntesten Filme über den Maler Gerhard Richter, den Schriftsteller Peter Handke und den Kurator Kasper König drehte, porträtiert hier abermals einen mächtigen Mann im Kulturbetrieb: Der tragende Protagonist des Films ist der deutsche Direktor der Uffizien seit 2015, Eike Schmidt. Was sich als Institutionenporträt ankündigt, ist tatsächlich ganz überwiegend ein Direktorenporträt. Darin ist es aber weit weniger tiefschürfend, als Belz’ Annäherungen an Richter und Handke, die ihre dominanten Protagonisten durch Beharrlichkeit wenigstens an die Grenzen ihrer Selbstgewissheit führten.
Vielleicht wäre Belz auch in diesem Fall ein überzeugenderer Film gelungen, wenn sie ihn offen als Porträt dieses Kunsthistorikers und Kulturmanagers angelegt hätte. Doch man erfährt nichts über seinen Werdegang oder sein Spezialgebiet, die Ebenholzskulpturen der Medici. Selbst seine für die florentinischen Museen ungewohnte Affinität zu digitaler Publicity und sozialen Netzwerken spielt keine Rolle. Stattdessen erlebt man Schmidt als freundlichen Chef, der sich bei niederschwelligen Debatten wie etwa dem Druck von Visitenkarten gerne mal der Meinung eines Mitarbeiters beugt.
In jeder Szene wirkt Schmidt dabei selbstsicher und zielgerichtet; er ist ein Mann, der sich zwar am Telefon mit „Herr Direktor“ anreden lässt, aber stets auf Augenhöhe zu kommunizieren scheint – in zwanglosen Arbeitsgesprächen können es Kolleg:innen auch wagen, einen Handyanruf zu beantworten.
Schwer vorstellbar, dass 2020, nach Ende der Dreharbeiten, alle vier Mitglieder seines wissenschaftlichen Beirats im Streit über eine von Schmidt bewilligte Raffael-Leihgabe zurücktreten sollten. Lange hatten sie zuvor eine Liste der 24 kostbarsten Werke erarbeitet, gegen die Schmidt nun sein Direktoren-Veto geltend machte. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diesen medienaffinen und in der Region sehr populären Direktor konsequent mit allen Facetten seiner Arbeit zu porträtieren?
Auch Belz und Lansch stehen in seinem Bann, wenn sie zugleich versuchen, ein Bild des Hauses zu zeichnen; doch die berühmte Sammlung erschließt sich höchstens bruchstückhaft. Verständlich, nur einzelne Werke herauszupicken; gerade mit weniger bekannten Exponaten lassen sich interessante Aspekte setzen. Hier ist es ein von Schmidt aus dem Depot geholtes Werk von Andrea Commodi, „Engelsturz“. Doch die Vermittlung erfährt wenig Vertiefung. Man erfährt nichts über diesen interessanten Meister des Frühbarock und sein heute fast surreal anmutendes Meisterwerk.
Im nur flüchtigen Anreißen der einzelnen Arbeitsbereiche eines Museums, der Kunstvermittlung, der Restaurierung, der kuratorischen Arbeit, bleibt alles an der Oberfläche.
Gleichwohl kommt der Film nicht ohne offensichtliche Inszenierungen aus, lässt den Bibliothekar immer wieder direkt für die Kamera sprechen, selbst die Unterhaltung zweier Besucherinnen am Ende des Films wirkt inszeniert. Und einen Museumswärter in Dankbarkeit von seinem Leben mit den Meisterwerken schwärmen zu hören, verdeckt nur die soziale Komponente.
Man kann sich vorstellen, dass im gedrehten Material noch mehrere, bessere Filme schlummern, hier überwiegt die Enttäuschung. Nicht nur erfährt man wenig Neues über dieses wunderbare Museum. In der Überpräsenz des Direktors bedient der Film das gesellschaftspolitisch fragwürdige Modell der „gläsernen Decke“. Ebenso wenig wie diese Institution in ihrer Selbstdarstellung die Arbeit ihrer Kuratorinnen und Kuratoren unterhalb der Direktorenebene herausstellt, verleiht ihnen dieser Film Profil. Als gelte auch nach einem halben Jahrtausend Museumsgeschichte noch immer das Prinzip der Hofberichterstattung.
Gerade in deutschen Medien erlebt man immer wieder ein verstärktes Interesse an der erfolgreichen Arbeit der eigenen Landsleute im Ausland. Es ist ein Phänomen, das sich seit der Nachkriegszeit verfolgen lässt, als es mit dem zwiespältigen Drang nach nationaler Anerkennung einherging. Wenn ein deutscher Film mit dem Titel „In den Uffizien“ vor allem vom deutschen Direktor erzählt, entsteht deshalb ein ebenso zwiespältiger Eindruck. Welche demokratische Kraft entwickeln dagegen Frederick Wisemans Filme durch die breite Auswahl ihrer gleich gewichteten Protagonist:innen? Wer seine Methode einerseits streift, anderseits in dieser politischen Frage auf den Kopf stellt, hat offensichtlich konservativere Vorstellungen von der Organisation öffentlicher Institutionen.
Corinna Belz, diese Spezialistin für dominante Männlichkeit im Kunstbetrieb, führte selbst Richter und Handke respektvoll an gewisse Grenzen. Hier nähert sie sich nicht einmal dem Vorhang, geschweige denn dem, was dahinter liegen könnte.
In den Uffizien. Regie: Corinna Belz, Enrique Sánchez Lansch. D 2020.