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„King Richard“ im Kino: Ehrgeiz und Tennisschläger

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Von: Daniel Kothenschulte

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Serena (Demi Singleton, l.), Venus (Saniyya Sidney) und Vater Richard Williams (Will Smith).
Serena (Demi Singleton, l.), Venus (Saniyya Sidney) und Vater Richard Williams (Will Smith). © © 2020 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Will Smith spielt eine seiner besten Rollen als Vater der Tennis-Stars Venus und Serena Williams: Oscar-Favorit „King Richard“.

Das deutsche Filmplakat von „King Richard“ zeigt Will Smith zusammen mit Saniyya Sidney und Demi Singleton in Nahaufnahme. Ein heiter-familiäres Trio, nur ein angeschnittener Tennisschläger lässt einen Sportfilm erahnen. Es ist ein Starplakat wie tausend andere. Das US-amerikanische Poster erzählt dagegen eine kleine Geschichte. Die beiden Mädchen haben es sich in einem Einkaufswagen voller grüner Tennisbälle bequem gemacht, Smith schiebt ihn von hinten an, mächtig legt er sich für die Kinder ins Zeug. Vor einem zartgelben Hintergrund scheinen sich die drei fast zu verlieren, umso genauer schaut man hin.

Vielleicht sind die Zeiten vorbei, als ein Kinobesuch mit dem Betrachten von Plakaten und Schaukastenfotos begann, aber es ist doch schön, wie viel Liebe oft noch immer in ihnen steckt: „Will Smith in King Richard“ steht groß darüber, wie in den seligen Zeiten, als sich Hollywood vor allem als Starkino verstand.

Der Film, der sich dahinter verbirgt, ist all das und noch sehr viel mehr: Eine anspruchsvolle Charakterrolle für Smith als Vater der späteren Tennis-Superstars Venus und Serena Williams. Ein Sportfilm, in dem der amerikanische Traum als natürliche Folge von Ruhm auf Schweiß noch lebendig ist (auch wenn Vater Williams in seinem endlosen Ehrgeiz nie vergessen lässt, dass Blut und Tränen auch dazugehören). Ein Familienfilm, den Fernsehsender noch in Jahrzehnten an Vatertagen programmieren können (die von Aunjaune Ellis gespielte Mutter ist leider nur eine Nebenfigur).

Vor allem aber ist es ein Film über ein noch immer stark von der Hautfarbe bestimmtes Klassensystem in einem traditionellen Mittel- und Oberschichtssport. Und das völlig unerschütterliche Aufbegehren eines modernen Don Quixote, der derart von sich überzeugt ist, dass er gar nicht merkt, dass er gegen Windmühlen kämpft. Das Talent der älteren Serena, um die es hier hauptsächlich geht, lässt die Gatekeeper in diesem kostspieligen Leistungssport freilich früher oder später kapitulieren.

Tatsächlich aber wäre die ungebrochene Heldengeschichte eines perfekten Vaters und Hobbymanagers genialer Nachwuchssportlerinnen kaum genug für ein zweieinhalbstündiges Drama. Die Grenze zwischen Förderung und Missbrauch verläuft fließend bei einem Mann, der seine Kinder schon einmal zur Disziplinierung kilometerweit von zu Hause aussetzt. Die Tatsache, dass die Williams-Schwestern das Biopic selbst mitproduzierten, lässt natürlich keine Abrechnung erwarten. Doch so sehr der Erfolg einem Mann recht gibt, der selbst den mühsam gewonnenen Startrainer Paul Cohen (Tony Goldwyn) mit seinen Belehrungen zur Weißglut treibt – man hat es fraglos mit einem Wahnsinnigen zu tun.

Alterslose Jungenhaftigkeit

Wahrscheinlich braucht es einen Schauspieler, der wie Smith mit einem Überschuss an altersloser Jungenhaftigkeit gesegnet ist, um dennoch gute Kräfte hinter diesem Narzissten zu vermuten. Tatsächlich spielt er hier seine beste Rolle seit einem anderen großen Biopic über die gesellschaftsverändernde Kraft eines Leistungssportlers, „Ali“.

Regisseur Reinaldo Marcus Green hat nicht nur die Ambivalenz der Hauptfigur stets im Blick. Es ist eine hochkonzentrierte, über die lange Laufzeit nie ermüdende Arbeit, ein Zeitbild der 90er Jahre und eine Innenansicht in die Welt eines hemmungslos kommerzialisierten Leistungssports. Auch wenn die jüngsten Ereignisse bei den Olympischen Winterspielen in China einmal mehr den Missbrauch von Kindern im Leistungssport ins Bewusstsein riefen, haben Erfolgsgeschichten ebenso ihre Berechtigung. Dieses Porträt eines Vaters, der sein Leben komplett in den Dienst einer an das Talent der Kinder gerichteten Erfolgserwartung stellt, aber erstarrt nicht als Heldengeschichte.

Das US-amerikanische Kino ist reich an Bildern patriarchalischer Familienväter, deren oft unerfüllbarer Erwartungsdruck aber meist an der Beziehung zu ihren Söhnen gespiegelt wird. Es ist schon ungewöhnlich, eine solche Geschichte einmal über den Perfektionismus eines Vaters und seine Töchter zu erleben. Zugleich ist es ein klassisches Porträt eines Mavericks, eines Pioniers und Einzelgängers, der zum Diktator wird. Tatsächlich ist es das wachsende Selbstbewusstsein der Töchter, das Schlimmeres verhindert. Man staunt, wie nuanciert die sich verändernden Machtverhältnisse verfolgt werden. Für sechs Oscars wurde „King Richard“ nominiert, darunter für Smith und den „besten Film“. Regisseur Reinaldo Marcus Green gehört nicht dazu, aber ein Regiestar ist geboren.

King Richard. USA 2021. Regie: Reinaldo Marcus Green. 144 Min.

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