„Gestern waren wir noch Kinder“ (ZDF): Drei fesselnde Fernsehabende

Mit „Gestern waren wir noch Kinder“ zeigt das ZDF an drei Tagen in Folge ein Familiendrama mit hohem Spannungsfaktor.
Frankfurt - Das Schicksal schlägt nicht einfach nur zu, es knüppelt erbarmungslos ein auf die Familie Klettmann und die Menschen in ihrem Einflussbereich. Eine Kränkung beim Abschlussball, ein im Suff begangener Streich mit tödlichen Folgen setzen Kettenreaktionen in Gang, die über mehrere Generationen hinweg immer wieder Menschen ins Unglück stürzen. Denn, um aus dem Film zu zitieren: „Geheimnisse sind wie Ungeziefer. Sie kriechen dir überallhin nach …“
Folgenreiche Vorboten
Die Autorin Natalie Scharf verteilt das Geschehen auf mehrere Zeitebenen, verknüpft Ereignisse aus der filmischen Gegenwart mit verschiedenen Zwischenstadien. Die siebenteilige Serie „Gestern waren wir noch Kinder“, vom ZDF in drei abendfüllenden Filmen zusammengefasst, beginnt mit Bildern einer jungen Frau, die durch den nächtlichen Kiez hinkt, nur mühsam die Fassung wahrt, sich schließlich setzen muss und in Tränen ausbricht. Sie sucht, wie ihr Befehl an das Smartphone verrät, eine Notfallapotheke. Kein gutes Zeichen.
Schon folgt die erste Rückblende. Sechzehn Stunden vorher feiert Anna Klettmann (Maria Simon) im Kreise der Familie ihren 44. Geburtstag. Sohn Daniel hatte ihr einen Glückspfennig schenken wollen, den aber in den Kuchenteig fallen lassen. Der Vater (Torben Liebrecht) beißt drauf und verliert eine Krone.
Ein Detail, das sich noch als bedeutsam erweisen wird.

Konfliktreiche Kindheit
Ihrem seit Kindertagen nicht abgelegten Aberglauben verdankt Anna Klettmann die Furcht, sie werde mit 44 sterben. Die finsteren Unkenrufe werden wahr. Einige Stunden nach Anschnitt des Geburtstagskuchens wird Peter Klettmann die Polizei anrufen und mit gefasster Stimme durchgeben, dass er soeben seine Frau ermordet habe.
In der Untersuchungshaft beginnt er einen langen Brief an seine beiden Töchter und den Sohn, will seine Tat erklären. Erst am Ende der letzten Folge wird das von allerlei Überraschungen begleitete Mysterium aufgeklärt. Klettmanns Bekenntnis führt zurück in seine Jugend. Seine spätere Frau Anna, Rieke Seja spielt sie als Abiturientin, gehörte damals schon zu seinem Freundeskreis, ebenso deren Busenfreundin Luisa (in jungen Jahren gespielt von Milena Tscharntke, als Erwachsene von Katharina Heyer). Der junge Klettmann (Damian Hardung) ist an Luisa interessiert, sieht sie an der Seite eines anderen Mannes, stürzt in tiefe Verzweiflung. In einer krisenhaften Situation erscheint Anna gerade zur rechen Zeit, ohne es zu wissen – ein rettender Engel, den Peter nun mit anderen Augen sieht.
Bereits in dieser Phase hat Peter eine schwere Last zu tragen. Seine jüngere Schwester starb durch einen Unfall, seine Mutter (Karoline Eichhorn) kann den Verlust nicht verwinden. Der herrische, lieblose Vater (Ulrich Tukur), ein Anwalt, quält den Sohn. Eigentlich wollte Peter Musiker werden, tritt dann aber doch wie vom Vater mit Nachdruck gefordert in dessen Fußstapfen und studiert Jura.
Rolle | Darsteller:in |
---|---|
Vivi Klettmann | Julia Beautx |
Peter Klettmann (erwachsen) | Torben Liebrecht |
Peter Klettmann (jung) | Damian Hardung |
Anna Klettmann (erwachsen) | Maria Simon |
Anna Klettmann (jung) | Rieke Seja |
Hans Klettmann | Ulrich Tukur |
Heide Klettmann | Karoline Eichhorn |
Tim Münzinger | Julius Nitschkoff |
Einschneidende Erlebnisse
Peter ist nicht die einzige Figur mit einer versehrten Seele. Eine junge Frau wird missbraucht, ein Mann muss unschuldig ins Gefängnis, dessen Tochter verliert jeden Halt und geht auf den Drogenstrich. Ein anderer wurde von der Mutter, einer Prostituierten, die ihre Freier in der gemeinsamen Wohnung empfing, ohne Vorwarnung verlassen.
Peter und Annas Kinder heißen Vivian (Julia Beautx, ein Pseudonym), Emmi (Nele Richter) und Daniel (Vico Mango). Auch sie erleben ein Trauma. Der Mord an der Mutter, die Verhaftung des Vaters. Während die beiden Jüngeren bei Pflegefamilien untergebracht werden, bemüht sich Vivian, den Alltag zu meistern und die Familie wieder zusammenzubringen. Unterstützung findet sie bei dem jungen Streifenpolizisten Tim Münzinger (Julius Nitschkoff). Er war an der Seite eines Kollegen der Erste am Tatort. Er hatte mit Anna noch sprechen können, ehe sie unter seinen Augen verstarb.
Schlampige Spurensicherung
Es verdient Bewunderung, wie die Drehbuchautorin Natalie Scharf die mitunter rasch wechselnden Zeitebenen miteinander verknüpft und kleinsten Details große Bedeutung zumisst, die sich erst sehr viel später offenbart. Beides gelingt auch auf der Bildebene. Regisseurin Nina Wolfrum inszeniert so geschickt, dass das Publikum nie die Übersicht verliert. Ein wenig Aufmerksamkeit allerdings ist gefragt, der Mehrteiler fällt nicht in die Kategorie „Nebenbeifernsehen“.
Unglücklich nur, dass kommentierende Musiktitel sehr betont als Gefühlsverstärker eingesetzt werden. Solche Manipulationen hat die Inszenierung gar nicht nötig, es stört vielmehr und bewirkt so das Gegenteil des gewünschten Effekts: die entsprechenden Szenen bekommen einen künstlichen Charakter, auf Kosten der meist überzeugend um Natürlichkeit bemühten Schauspieler.
„Gestern waren wir noch Kinder“
Montag, 9. Januar bis Mittwoch, 11. Januar, 20.15 Uhr, ZDF
Einige Störfaktoren sind im Drehbuch angelegt. Manche personelle Verbindung erscheint sehr gewollt, einigen Momenten fehlt es an Glaubwürdigkeit. Ein Psychotherapeut, der vor aller Augen mit einer sehr jungen Klientin auf eine Party geht? Ein Schüler, der nach Schulschluss seinen Ranzen im Klassenzimmer vergisst? Ein Polizeiauto, das gerade zur rechten Zeit fern der Stadt einen besseren Waldweg befährt? Da darf man zweifelnd die Stirn runzeln. Desgleichen, wenn die Herren von der Spurensicherung am Ereignisort achtlos Blumentöpfe zertrampeln. Dafür gäbe es im realen Leben heftige Schimpfe.
Spannend ist die Geschichte des ungeachtet allemal, es gibt einige falsche Fährten und unerwartete Wendungen und damit drei fesselnde Fernsehabende. Das ZDF zeigt die Folgen in einer ungewöhnlichen Programmierung von Montag, 9., bis Mittwoch, 11. Januar, jeweils 20:15 Uhr, und natürlich in der ZDF-Mediathek. (Harald Keller)