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„Kill Boksoon“: Allein gegen die koreanische Mafia

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Von: Marc Hairapetian

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Jeon Do-yeon (links) und Kim Si-a in „Kill Boksoon“.
Jeon Do-yeon (links) und Kim Si-a in „Kill Boksoon“. © IMAGO

Der Martial-Arts-Kracher „Kill Boksoon“ begeisterte schon als „Berlinale Special“ und ist nun bei Netflix abrufbar. Südkoreas wohl berühmteste Charakterdarstellerin Jeon Do-yeon erklärt, warum sie glücklich über ihren Image-Wechsel ist.

Berlin - Wenn man ihr persönlich begegnet, wirkt sie gar nicht gefährlich. Im Gegenteil: Ihre Liebenswürdigkeit wirkt ansteckend. Jeon Do-yeon ist der weibliche Superstar Südkoreas. Berühmt wurde sie mit eher introvertierten Frauen-Rollen wie Lee Chang-dongs „Secret Sunshine“, wofür sie 2007 die Auszeichnung als „Beste Darstellerin“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes erhielt, oder in Im Sang-soos 2010 realisiertem, meisterhaften Remake des Klassikers „Das Hausmädchen“.

Nun hat die mittlerweile 50-jährige Charakterdarstellerin einen radikalen Image-Wechsel vollzogen: In der Netflix-Produktion „Kill Boksoon“, die vorab bei der diesjährigen Berlinale in der Sektion „Special“ Begeisterungsstürme erntete, spielt sie eine eiskalte Auftragskillerin, die privat eine liebevolle Mutter ist und ihren - gelinde gesagt - ungewöhnlichen Beruf vor ihrer Tochter verheimlicht.

Netflix-Produktion „Kill Boksoon“: Steckt in jeder Frau ein Killerinstinkt?“

„Steckt in jeder Frau ein Killerinstinkt?“, will ich von ihr wissen. Jeon Do-yeon lacht auf. Sie lacht überhaupt viel im Interview im Grand Hyatt Hotel Berlin, blickt ihrem Gesprächspartner bei ihren Antworten stets in die Augen: „Diesen Killerinstinkt tragen wir alle in uns. Wir dürfen ihn nur nicht aus uns herausbrechen lassen. Ich habe Fliegen, die mich belästigten, erschlagen. Ich muss mich bessern.“ Auch in „Kill Boksoon“, stilsicher mit allerlei Referenzen an koreanische Action-Kracher und japanische Yakuza-Streifen von Byun Sung-hyun („The Merciless“, 2017) inszeniert, macht sie, ohne sich selbst untreu zu werden, eine Katharsis durch. Bis es allerdings dazu kommt, kämpft sie sich durch äußerst blutige und grotesk-witzige zwei Stunden und siebzehn Minuten, die wie im Fluge vergehen.

Die von Jeon Do-yeon mit großem Charme, aber auch gnadenloser Härte verkörperte Gil Bok-soon (das ist die eigentliche, korrekte internationalisierte Schreibweise) führt im Wortsinn ein Doppelleben: Als um das wohl ihrer 15-jährigen Tochter Gil Jae-yeong (Kim Si-ah) besorgte, alleinerziehende Mutter verbirgt sie gegenüber ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, dass sie eine Auftragsmörderin mit einer Erfolgsquote von 100 Prozent ist. Die attraktive Dame mit der fast schon seherischen Gabe, (Kampf-Situationen) aus verschiedenen Perspektiven vorausahnen zu können, steht vor der schwierigen Entscheidung, ob sie ihren bald auslaufenden Vertrag noch einmal verlängern soll.

Während der MK-Vorstandsvorsitzende Cha Min-kyu ( Sul Kyung-gu ), der eine heimliche Zuneigung für sie hegt, sie unbedingt halten will, möchte das in der Branche nur ehrfurchtsvoll „Kill Boksoon“ getaufte „beste Pferd im Stall“ seine eifersüchtige und machthungrige Schwester, MK-Direktorin Cha Min-hee (Esom), lieber heute als morgen loswerden. Als Jae-yeong auch noch einen Mitschüler mit einer Schere angreift, aber nicht erzählt, warum, trifft Bok-soon eine Entscheidung. Allerdings muss sie noch einen allerletzten Job übernehmen. Zur Seite wird ihr die talentierte Killer-Praktikantin Kim Yeong-ji (Lee Yeon) gestellt. Ausgerechnet jetzt kommen der besten MK-Killerin aller Zeiten Gewissensbisse, soll sie doch den unschuldigen Sohn eines korrupten Politikers töten. Und so verletzt sie die oberste Regel ihres Gewerbes, weshalb ihre Erzfeindin Cha Min-hee sie zum Abschuss freigibt.

Sol Kyung-gu und Jeon Do-yeon (rechts) in „Kill Boksoon“.
Jeon Do-yeon (rechts) mit Sol Kyung-gu in „Kill Boksoon“. © IMAGO

„Kill Boksoon“: Allein gegen die Mafia

Halb Südkorea scheint fortan die Superkillerin zu suchen, um sie zu eliminieren. Für Bok-soon heißt es nun: Allein gegen die Mafia, deren Mitglied sie selbst lange gewesen ist. Die Action kommt hierbei natürlich nicht zu kurz. Schon die Anfangssequenz setzt Maßstäbe für kommende Filme, in denen weibliche Akteure mit männlichen kämpfen: Der nicht nur in seiner Heimat äußerst bekannte  Hwang Jung-min („Deliver Us From Evil“, 2020) gibt dabei einen Gangster, der Bok-soon sichtlich unterschätzt. Zwischen beiden entbrennt ein martialischer Schwert-vs-Axt-Fight, der durch einen vorbeirauschenden Zug noch an Dynamik gewinnt und den man so weder im Kino, noch zuhause auf dem Flatscreen betrachtet hat. Gegen Jeon Do-yeon sieht jedenfalls Charlize Theron in „Atomic Blonde“ (2017) alt aus. Regisseur Byun Sung-hyun zieht hier alle Register: Neben seinem visuellen Gestaltungswillen stellt er auch die besondere Fähigkeit seiner Protagonistin heraus, die nächsten Schritte ihrer WidersacherInnen voraussehen zu können. Wenn ihr mal wieder der Kopf und andere Körperteile abgeschlagen werden, springt der Film kurz zurück, denn das alles hat sich nur in ihrer Vorstellung ereignet. Deshalb muss sie sich einen anderen Weg ausdenken, um ihren Feind auszuschalten.

RolleBesetzung
Gil Bok-sooJeon Do-yeon
Cha Min-kyuSol Kyung-gu
Gil Jae-yeongKim Si-a
Cha Min-heeEsom
Han Hee-seonKoo Kyo-hwan

Viele der Martial-Arts-Szenen sind besser choreografiert als bei „John Wick“, wo die Widersacher häufig nur zu möglichst brutal mit Nahdistanz-Kopfschüssen getötet werdenden Statisten mutieren. Und dennoch nimmt „Kill Boksoon“ im Enddrittel nochmal so richtig an Fahrt auf - mit einer berührenden inhaltlichen Komponente, die man so nicht erwartet hätte. Im Gegensatz zu den bewusst überzeichneten Auseinandersetzungen auf Leben und Tod, die der Beruf einer Auftragskillerin eben mit sich bringt, wird das Coming-out ihrer Tochter, die diese in so manche - vor allem schulische - Schwierigkeit gebracht hat, fast schon bodenständig erzählt. Jeon Do-yeon und Kim Si-ah brillieren hier in ihrem behutsamen Zusammenspiel mit mütterlicher Empathie beziehungsweise großer Verletzlichkeit der Tochter. Für Kim Si-ah war es eine „große Ehre, mit ihrem Vorbild zu arbeiten.“ Im Gespräch offenbart der ehemalige Kinder-Star, dass er vor Drehbeginn „Angst hatte, zu versagen“. Und dies nicht, weil sich ihr gegenüber Jeon Do-yeon nicht kollegial verhalten hätte, sondern weil sie soviel „Respekt vor ihrer Lebensleitung“ haben würde.

Laut Byun Sung-Hyun wird die „LGBT-Debatte“ in Südkorea nur verhalten geführt. Er wolle jedenfalls mit „Kill Boksoon“ ein Zeichen setzt, um zu sagen, dass es egal sei, „ob ein Mädchen einen Jungen oder ein Mädchen liebt und ob ein Junge ein Mädchen oder einen Jungen bevorzugt“.

„Kill Bookson“-Hauptdarstellerin Jeon Do-yeon und FR-Autor Marc Hairapetian bei der Berlinale 2023.
„Kill Bookson“-Hauptdarstellerin Jeon Do-yeon und FR-Autor Marc Hairapetian bei der Berlinale 2023. © Marc Hairapetian

„Kill Boksoon“ ist nicht nur vom Titel her von Tarantinos „Kill Bill“ inspiriert worden

Der von Kim Si-ah zitierte Respekt zeichnet den von Hyung Rae-Cho exzellent fotografierten Film auch aus. Selbst im fulminanten Showdown mit seinen - ohne groß zu spoilern - faszinierenden Doppelgänger-Einstellungen, die entfernt an Orson Welles „Die Lady von Shanghai“ (1948) erinnern, wird der Duellant zwar körperlich eliminiert, nicht aber nicht seine Seele vernichtet. Byun Sung-hyun, der auch das Drehbuch schrieb, gesteht, dass er nicht nur vom Titel her von Quentin Tarantinos „Kill Bill - Vol 1 & 2“ (2003/2004) inspiriert worden sei, obgleich „Gil ein seltener koreanischer Name ist und Bok-soon früher häufig Hunde genannt wurden. Er ist veraltert wie Daisy …“ Aha. Der Retro-Look steht jedenfalls „Kill Boksoon“ bei seinen auch dramaturgisch innovativen Action-Choreografien sehr gut zu Gesicht.

Für die mit zahlreichen Filmpreisen hochdekorierte Jeon Do-yeon war ihr Image-Wandel jedenfalls längst überfällig: „Ich war durch ‚Secret Sunshine‘ lange auf die äußerst gefühlvolle, leidende Frau festgelegt. Schon lange wollte ich weg von dieser Typisierung. Als Byun Sung-hyun mir das Angebot gemacht hat, habe ich sofort zugegriffen, sogar ohne vorher das Drehbuch zu lesen, was ich sonst immer tue.“ Und so weit weg von ihrem eigentlichen Ich sei die Titelfigur gar nicht: „Ich bin auch Mutter und ich haben einen fordernden Beruf. Ich führe also auch tatsächlich ein Doppelleben!“ Das gute Verhältnis zum Regisseur habe ihr letzteres jedenfalls erleichtert, auch wenn sie für die Rolle der Auftragskillerin „körperlich an Grenzen gegangen“ sei. Diese Anstrengungen hätten sich allerdings für sie gelohnt: „Das ist das erste Mal, dass ich in Berlin bin. Ich war neugierig, wie das Publikum reagieren würde, doch als ich bei den Screenings die euphorischen Reaktionen des Publikums miterlebte, war ich sehr berührt.“

Der wesentlich jüngere Byun Sung-hyun hat übrigens denselben lakonischen Humor wie in seinen Filmen: „Viele heutige koreanische Filme, Serien und auch K-Pop sind sehr populär. Mit Ausnahmen wie Bong Joon-hos ‚Parasite‘ frage ich mich manchmal, warum sie so en vogue sind. Wenn ich betrunken bin, sage ich immer: ‚Ich bin ein Sohn der frühen 2000er-Filme aus Korea, die wirklich gut waren. Und Jeon Do-yeon, die schon mit mir getrunken hat, entgegnet dann darauf: ‚Sag Mama zu mir!“ Sorgen, ob ihr neuer Film wirklich gelungen ist, müssen sich Jeon Do-yeon, Byun Sung-hyun und Kim Si-ah allerdings garantiert nicht machen. Wetten, dass „Kill Bookson“ bei der Berlinale einen oder mehrere Preise gewonnen hätte, wenn er anstatt in der Reihe „Special“ im Wettbewerb gelaufen wäre? (Marc Hairapetian)

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