"Juliet, Naked": Der nackte Alptraum

Wie böse kann eine romantische Komödie sein? Nick Hornbys Roman "Juliet, Naked" ist die perfekte Vorlage.
Lange vor Nick Hornbys Roman „High Fidelity“ hatten Popkritiker und Essayisten das Phänomen, das er beschrieb, in allen Facetten analysiert. Doch was Fankultur für das späte 20. Jahrhundert wirklich bedeutet hat, das wird man noch in hundert Jahren wahrscheinlich primär aus dieser Quelle nacherleben. Tatsächlich sieht es fast so aus, als überdauere diese Hommage an das Sammeln von Vinylschallplatten und die davon abgeleitete Lebensordnung sogar die vermeintliche Erfolgsgeschichte der CD.
Die Geschichte von „Juliet, Naked“, die hier nun ebenfalls als Film vorliegt, verfolgt dieselbe Fankultur ins Retro-Zeitalter der Gegenwart. Das klingt allein schon etwas melancholisch, doch die ganze Tragik des von Chris O’Dowd gespielten Superfans namens Duncan liegt wohl weniger an der digitalen Natur heutiger Fankultur. Der Betreiber eines Blogs über einen legendären, aber verschollenen Singer-Songwriter namens Tucker Crowe hätte früher wohl Fanzines über Mail-Order verschickt. Doch seine Verwundbarkeit liegt in der grundsätzlich anderen Mentalität eines Superfans, der seine Begeisterung nicht enzyklopädisch an der Musikgeschichte abarbeitet, sondern einem einzigen Idol huldigt.
Solche Typen meist männlichen Geschlechts gab es natürlich schon in den 90er Jahren, doch erst seit das Wort „Nerd“ zum Sprachgebrauch gehört, scheinen sie allgegenwärtig.
Der größtmögliche Alptraum eines Fans
Regisseur Jesse Peretz, bekannt durch die herrliche TV-Serie „Girls“, fühlt sich nach Hornbys Vorlage perfekt ein in eine solche Mentalität – und den größtmöglichen Alptraum dieser Existenz. Duncan, der sich als Medienprofessor etabliert hat, praktiziert sein Fantum lediglich im Hobbykeller. Doch der Raum, den seine Begeisterung für sein Idol einnimmt, das durch ein einziges, bereits vor Jahrzehnten erschienenes Album Ruhm genießt, reicht, um seine Beziehung nachhaltig zu stören.
Wie viel sympathischer ist uns gleich zu Beginn seine von Rose Byrne gespielte Partnerin Annie. Wie sehr muss sie die ungeteilte Schwärmerei über die Jahre genervt haben. Versehentlich öffnet sie eines Tages Duncans Post. Darin ist die unverhoffte Veröffentlichung eines Remixes des klassischen Albums, das sich nun im ungeschminkten Demo-Sound präsentiert. Noch bevor Duncan Tränen der Bewunderung darüber vergießen kann, macht sich Annie im Internet darüber lustig – auf eben jener Fanseite, die Duncan zu seinem heimlichen Lebensinhalt gemacht hat.
Und das Unglaubliche geschieht: Der Star meldet sich aus der Versenkung, um sie zu beglückwünschen. Nichts ist ihm ferner als der halbwissenschaftliche Nerd-Jubel. Ein Internet-Flirt entspinnt sich, bald darauf eine Affaire. Ethan Hawke spielt den Musiker mit aller Lässigkeit eines vom eigenen Ruhm genervten Eigenbrötlers – und doch mit dem Restchen Selbstverliebtheit, ohne das man eben auch nie angefangen hätte, große Songs zu schreiben. Doch Hornbys böse Fantasie geht weiter. Natürlich muss der Eifersüchtige seiner Freundin nachsteigen – und mit dem Nebenbuhler zugleich das Objekt seiner größten Sehnsucht vor sich sehen. Was für ein Alptraum.
„Juliet, Naked“ ist gerade so böse, wie eine romantische Komödie nur sein kann, ohne aufzuhören romantisch zu sein. Aber gilt das nicht auch für alle möglichen Songpoeten, auf die dieser Film vielleicht gemünzt ist? Gäbe es bei Bob Dylan Romantik ohne Bitterkeit? Gäb es bei Townes Van Zandt Traurigkeit ohne Ironie? Dieser herrliche kleine Film bringt beides wohldosiert zusammen und macht alles richtig. Gerade weil er nicht zugleich ein Generationenporträt sein will wie „High Fidelity“.