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„Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer Zaun“: Böhmermann nimmt sich EU-Flüchtlingspolitik vor

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Von: Max Schäfer

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Jan Böhmermann nimmt sich im ZDF Magazin das ICMPD vor.
Eine einschläfernd langweilige Organisation mit Macht in der EU-Flüchtlingspolitik: Jan Böhmermann nimmt sich im ZDF Magazin das ICMPD vor. (Screenshot) © ZDF

Jan Böhmermann stellt im ZDF Magazin Royale einen Akteur der europäischen Flüchtlingspolitik bloß – und zeigt treffend deren Doppelmoral auf. Die TV-Kritik.

Jan Böhmermann kehrt nach zwei etwas außergewöhnlicheren Folgen des ZDF Magazin Royale wieder zu seinem gewohnten Format zurück. Und das ist auch gut so: Die Live-Sendung bestand größtenteils aus belanglosem Gequatsche zwischen Böhmermann und dem Publikum. Die Folge zur Krönung von King Charles war an sich zwar gelungen, unterschied sich damit aber kaum von der Heute Show.

In der jüngsten Folge kehrt Böhmermann zur Normalität zurück und beweist, welches Potenzial in seinem Format im ZDF Magazin Royale steckt. Der Moderator widmet sich gewissermaßen dem politischen Tagesgeschäft, worin die Versorgung geflüchteter Menschen wieder eine größere Rolle spielt. Der ZDF-Moderator ist auf einen Konflikt aus und stellt sich gegen den Zeitgeist – zumindest laut einer Umfrage der EU-Kommission aus dem vergangenen Jahr, wonach sich 74 Prozent der Deutschen eine Verstärkung der EU-Außengrenzen wünschten.

Böhmermann knöpft sich im ZDF Magazin Lindner-Aussage vor

Was Böhmermann dazu sagt? „74 Prozent der Deutschen sind im weitesten Sinn gegen Ausländer.“ Der Moderator nimmt zusätzlich eine Aussage von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner mit auf, der im RTL Nachtjournal Spezial am 5. Mai 2023 gesagt hatte, er sei für den physischen Schutz der Außengrenze, wenn die Möglichkeit humanitärer und qualifizierter Einwanderung rechtlich erleichtert werde.

SendungZDF Magazin Royale
ModeratorJan Böhmermann
TitelEffizient und dezent: Das ICMPD
Hashtag der Woche#ICMPD
Dauer31:11 Minuten
Termin19. Mai 2023
Online verfügbar bis19. Mai 2025

Den humanitären Teil Lindners Aussage blendet Böhmermann aus. Das ist hier zu betonen, jedoch sei es ihm verziehen. Es ist ohnehin fraglich, wie ernst das gemeint ist. Die FDP ist nicht als die menschenfreundlichste Partei bekannt. Zudem ist das ZDF Magazin eine Satiresendung, Überspitzungen sind erlaubt und auch notwendig. Da dürften Freiheitskämpfer jeder Couleur sicher zustimmen. Böhmermann jedenfalls macht daraus folgendes: „Deutschlands wichtigster Kämpfer für seine Definition von Freiheit spricht es endlich mal aus: Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer Zaun!“

Böhmermann wirft die Frage auf: Menschenrechte nur für Leistung?

Damit bringt Böhmermann den Kern der Migrationspolitik – aber auch der deutschen Politik allgemein – auf den Punkt. Dabei herrscht ein grundsätzliches Missverständnis von Freiheit. Neoliberale definieren Freiheit nicht mehr ausschließlich als das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, mit der einzigen Beschränkung, dass andere nicht eingeschränkt werden. Nein. Freiheit und Menschenrechte sind an die Bedingungen der Leistungsgesellschaft gekoppelt.

Das zeigt sich bereits bei armen Erwerbstätigen, Sozialhilfeempfänger:innen und Obdachlosen, die stigmatisiert, schikaniert und an den Rand der Gesellschaft verdrängt werden, schließlich tragen sie in ihrer Situation nur wenig oder gar nicht zum Wohlstand bei. Für Flüchtende an den EU-Außengrenzen bedeutet Lindners Aussage: Leistung für Menschenrechte. Was „Leistung“ für so machen FDP-Politiker bedeutet: Fünf Jahre bei der Bundeswehr das eigene Leben für den deutschen Pass riskieren. Das hatte der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Müller, im Handelsblatt vorgeschlagen.

Damit keine Zweifel aufkommen: Selbstverständlich soll jeder nach seinen Möglichkeiten etwas zum gesellschaftlichen Gemeinwohl beitragen. Die Leistung und der Anteil darf jedoch nicht über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Einhaltung von Menschenrechten entscheiden.

Böhmermann im ZDF Magazim über ICMPD: „Organisation, die uns unauffällig die Ausländer vom Hals hält“

Böhmermanns eigentliches Thema ist eine bisher weitgehend unbekannte Organisation – gerade im Vergleich zur EU-Grenzschutzagentur Frontex, die das ZDF Magazin mit den „Frontex Files“ schon thematisiert hat. Diese handelt, so die Darstellung im ZDF Magazin, nach genau diesem Muster: „Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer Zaun!“

Gemeint ist das International Centre for Migration Policy Management, kurz ICMPD. Das kündigt Böhmermann so an: „Man bräuchte eine Organisation, die uns unauffällig die Ausländer vom Hals hält, ohne uns einfache EU-Bürger:innen dabei mit zu viel Menschenrechtsgedöns zu belasten. Ach ja, die gibt‘s ja schon: das ICMPD!“ Laut einem vom ZDF Magazin zitierten TAZ-Artikel eine der „wichtigsten Durchführungsorganisationen von EU-Grenzschutzprojekten in Libyen, Tunesien und Marokko“. Laut Böhmermann aber auch sehr langweilig. Gemeinsam mit FragdenStaat.de hat das ZDF Magazin zur Organisation recherchiert.

Arg bemühte Nazi-Witze im ZDF Magazin Royale

Dass Flüchtende in Libyen und Tunesien schlecht behandelt werden, ist keine Neuigkeit. Es geht also „gegen Menschen“, wie Böhmermann sagt. Der ZDF-Moderator nutzt es für einen sehr langen, mühsam aufgebauten Deutschland-Österreich-Nazi-Witz. Er nimmt sich auch das Logo vor, das aus vier orangefarbenen Pfeilen nach links, rechts, oben und unten besteht. Böhmermann malt es zuerst als Hakenkreuz auf, ehe er die Pfeile vervollständigt.

ZDF Magazin Royale in der Mediathek

Das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann vom Freitag, 19. Mai 2023, ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.

Die weißen Felder zwischen den Pfeilen lassen sich ebenfalls als Pfeile interpretieren, nur nach innen. Das tut Böhmermann: „Das sind einfach nur vier farbige Pfeile, die raus zeigen, und vier weiße, die rein zeigen. Weiße rein, Farbige, ups sorry für Rassismus. Ich meine POC (People of Color, Anmerkung der Redaktion) natürlich. Weiße rein, POC raus.“ Das ZDF Magazin hebt die weißen Pfeile farblich hervor. Gewollt sind diese wohl – hoffentlich – nicht. Angesichts der Handlungen, ist das allerdings durchaus witzig – und traurig zugleich, da Böhmermanns Interpretation nicht mehr zu weit hergeholt erscheint.

ICMPD will laut Böhermanns ZDF Magazin nichts von Menschenrechtsverletzungen wissen

Böhmermann zeigt, wie ICMPD mit der österreichischen Regierung Theaterstücke produziert, deren Kern laut Böhmermann folgendes ist: „Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer Zaun.“ Zudem schildert er, wie ICMPD gemeinsam mit der bayerischen Landesregierung eine Flüchtlingskarte entwickelt, welche die Kontrolle der Geflüchteten ermöglicht, sowie die Polizei in Tunesien ausbildet. Diese steht wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Beispielsweise sollen Polizisten den Flüchtenden Motoren ihrer Schiffe klauen und sie sich selbst überlassen. ICMPD will davon erst durch Medienberichte erfahren haben. „Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer psst“, lautet Böhmermanns Kommentar dazu.

Es ist eine starke Recherche, die das ZDF Magazin Royale präsentiert – und damit beispielsweise das genaue Gegenteil der Folge, als Böhmermann über Haartransplantationen herzog. Eine weitere von europäischen Staaten, der EU und den UN finanzierte Organisation missachtet Werte, die eigentlich der Kern westlicher Demokratien sind. Das Steuergeld sollte stattdessen für Seenotrettung im Mittelmeer sowie die Unterbringung, Verpflegung und Integration von Geflüchteten und Migrant:innen investiert werden.

Es passt jedenfalls zum Thema, dass Böhmermann darin das Video von Ursula von der Leyens schrägem Tutorial zum Händewaschen zeigt, bei dem sie noch schräger die Ode an die Freude, die Hymne der EU, summt. Es ist ein akustisches Sinnbild der EU-Migrationspolitik. (Max Schäfer)

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