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Nach Vorwürfen gegen Til Schweiger: Der Rest ist Schweigen

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Von: Daniel Kothenschulte

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Til Schweiger und Tina Ruland bei der Premiere von „Manta Manta - Zwoter Teil“.
Til Schweiger und Tina Ruland bei der Premiere von „Manta Manta - Zwoter Teil“. © Horst Galuschka/Imago

Billigfilmland Deutschland? Die Vorwürfe gegen Til Schweiger werfen ein Licht auf arbeitsrechtliche Defizite in Filmproduktionen.

Zu einer gesunden Filmindustrie gehören auch jene Filme, die von der Kritik gescholten werden, aber von weiten Teilen des Publikums geliebt. Sie ernähren die Filmtheater bekanntermaßen besser als die meisten künstlerischen Filme. In Ländern, deren Filmindustrien nicht wie die deutsche ganz überwiegend von Förderungen leben, sind sie lebenswichtig, auch für den anspruchsvollen Film.

Denn sie ernähren all jene Gewerke, ohne die man eben auch keine guten Filme machen kann. Mit dem Geld und der Erfahrung, die man in Japan, Südkorea oder Indien im kommerziellen Film erwerben kann, leisten sich Filmmenschen aller Disziplinen dann Engagements in Produktionen, auf die sie wirklich stolz sein können.

Vorwürfe gegen Til Schweiger: Enthüllungsbericht veröffentlicht

Von den wenigen wirklich profitablen deutschen Kinofilmen der letzten zwei Jahrzehnte stammt ein beträchtlicher Teil von Til Schweiger. Wie profitabel, enthüllte 2022 die Klage der Drehbuchautorin der beiden „Keinohrhasen“-Filme um ein angemessenes Honorar. Sie spielten rund 70 bzw. 43 Millionen Euro ein. Zur Zeit lässt Schweigers „Manta Manta – Zwoter Teil“ Kinokassen klingeln. Seit seinem Start am 30. März spielte der Film mehr als zehneinhalb Millionen Euro ein.

Es ist ein Phänomen: Das auf der Webseite imdb.com abgegebene Voting zeugt mit 2,7 von 10 Punkten nicht gerade von Begeisterung. Auch Schweigers Publikumsfilme werden gefördert wie künstlerische Filme und entstehen für die Produzierenden somit fast ohne Risiko. Aber auch Förderinstitutionen profitieren: Denn die meisten Förderungen müssen, falls ein Film in die Gewinnzone kommt, zurückgezahlt werden.

Ebenso konnte man bislang annehmen, dass auch die vielen Menschen, die an Schweigers meist komfortabel budgetierten Filmen arbeiten, etwas davon haben. Doch daran weckte in der vergangenen Woche ein Enthüllungsbericht des „Spiegel“ begründete Zweifel. Häufig sei der Regisseur und Hauptdarsteller alkoholisiert am Set erschienen, einen Mitarbeiter der Firma Constantin-Film, die gemeinsam mit Schweigers Barefoot Films produziert, habe er ins Gesicht geschlagen, als dieser ihn am Betreten des Sets hindern wollte.

Constantin-Film bestreitet Vorwürfe gegen Til Schweiger

Constantin-Film bestreitet das. Besonders im alkoholisierten Zustand, so der „Spiegel“, habe Til Schweiger eine bedrohliche Atmosphäre vermittelt. Mehrfach sei er mit neu geschriebenen Szenen aufgetaucht, die es zwar meist nicht in den fertigen Film schafften, aber für weiteren Überstunden-Druck sorgten. Eine Statistin wurde überredet, vor dem Team mit nackter Brust zu spielen. Sie leide darunter bis heute.

Alkoholmissbrauch lässt häufig auf Suchterkrankungen schließen, die zum Schutz der Betroffenen nicht in die Öffentlichkeit gehören. Der Machtmissbrauch, der hier geschildert wird, gehört es umso mehr. Zumal dieser Fall endlich etwas Licht auf problematische Arbeitsbedingungen wirft, über die in der deutschen Filmbranche gerade in der aktuellen Boomzeit in besonderem Maße geklagt wird. Überall wird gedreht – der Bedarf der neuen Streamingsender sorgt für eine erhebliche Steigerung der Auftragslage für Filmschaffende. Auch Netflix-Serien werden inzwischen mit Millionenbeträgen gefördert, der Hauptgrundsatz des Filmfördergesetzes – die Qualitätssteigerung des deutschen Films – spielt bei der Vergabe kaum noch eine Rolle.

Treffen dabei deutsche auf US-amerikanische Filmschaffende, werden die unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Standards deutlich. Ein Mitarbeiter der Baubühne zitiert einen bei US-Kollegen gebräuchlichen, wenn auch rassistisch gefärbten Ausdruck: „Ihr Deutsche seid so etwas wie ,white Mexicans’“. Soll heißen: Geringer bezahlt und nicht nur acht, sondern bis zu vierzehn Stunden am Tag beschäftigt.

Kein Wunder, dass das Filmemachen in Deutschland so billig ist

Als in den 90er Jahren die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen damit begann, internationale Produktionen im großen Stil ins Land zu holen, war dies eine Win-Win-Situation: Man profitierte vom Know-how beim Aufbau einer professionellen Infrastruktur für Filmproduktionen. Auch in diesem Sommer wird wieder ein großer, prestigeträchtiger US-Filme in Nordrhein-Westfalen gedreht, David Lowerys Musikdrama „Mother Mary“ mit Anne Hathaway. Es werden noch Hunderte Statistinnen und Statisten gesucht, doch die Casting-Agentur warnt, dass die Drehtage von „morgens früh bis tief in die Nacht“ dauern könnten.

Kein Wunder, dass das Filmemachen in Deutschland so billig ist. In Hollywood wachen mächtige Gewerkschaften. Für Lowery, dessen jüngster Hollywoodfilm „Peter Pan und Wendy“ gerade auf Disney Plus Premiere feierte, ist es einer jener kleineren Festivalfilme, die er sich zwischen den großen Engagements leistet. Claudia Roth verlangte in einer Stellungnahme eine lückenlose Aufklärung der im „Spiegel“-Artikel vorgebrachten Vorwürfe gegen Schweiger und schlug eine Selbstverpflichtung der Branche vor, einen „Code of Conduct“. Mit Freiwilligkeit ist es indes nicht getan – schließlich bestehen arbeitsrechtliche Vorschriften, etwa bezüglich der Ruhepausen, ja schon lange – und werden häufig ignoriert.

Die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, die auch „Manta Manta – zwoter Teil“ gefördert hat, erklärt auf Anfrage der Frankfurter Rundschau, man habe keine Stellungnahme zu den Vorwürfen vorbereitet. „Gerne aber können wir bestätigen, dass uns keine entsprechenden ‚Vorfälle‘ bisher zugetragen wurden und wir keine Kenntnis darüber haben, auch von anderen Produktionen, dass ‚so etwas‘ vielleicht sogar zunehme.“ Wichtig sei aber darauf hinzuweisen, dass mit Unterzeichnung des Fördervertrags sich alle Fördernehmerinnen – im angesprochenen Fall die Constantin Film – zur Einhaltung aller gesetzlicher Vorgaben und Arbeitsschutz-Bestimmungen verpflichteten. Auch hier fordert man Aufklärung: „Vor dem Hintergrund von Anfragen werden wir die Fördernehmerin um Stellungnahme bitten.“

Mit Til Schweiger trifft es eine besonders bekannte und zugleich umstrittene Persönlichkeit

Es verwundert nicht, wenn sich Betroffene aus Sorge um weitere Beschäftigung mit ihren Klagen nicht nach außen wenden. Es wäre wünschenswert, wenn nun mehr darüber bekannt würde. Ausbeutung und Willkür sind ein systemisches Problem in der Filmwirtschaft. Wirtschaftshierarchien sind hier besonders steil zu erleben, Transparenz besonders schwer zu erreichen. Eine immer weiter automatisierte statt kuratierte Filmförderung begünstigt diese Bedingungen, weil sie Produzierende zu kurzen Entwicklungs- und Drehzeiten ermuntert, da Qualität kaum gewürdigt und belohnt wird.

Man hätte sicher auch ein Beispiel aus einer weniger prominenten, publikumsferneren Produktion finden können. Mit Til Schweiger trifft es eine besonders bekannte und zugleich umstrittene Persönlichkeit. Das hat vielleicht auch mit seinem problematischen Verhältnis zur Presse zu tun: Schon vor Jahren stellte er Pressevorführungen für seine Filme ein, lediglich wohlwollende Journalisten erhielten schon einmal Zugang zu Team-Premieren.

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