„Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße“: Die ideologische Blindheit rechter Wutbürger

Maybrit Illner müht sich, das Thema von angeblich fehlender Meinungsfreiheit differenziert zu debattieren.
Seit jeher hat die politische Rechte behauptet, sie sei in der Minderheit, um ihr Machtstreben zu kaschieren. Dazu gehört auch die so absurde wie weit verbreitete Behauptung, man dürfe in diesem Land nicht mehr alles sagen. Wie erfolgreich die Rechte damit sein kann, zeigte sich jüngst im Echo der Medien, als der „Spiegel“, „Die Zeit“ und andere den angeblichen Mangel an Meinungsfreiheit zum Titelthema machten und damit ein Phantom zu einer Debatte aufbliesen.
Und Maybrit Illners Redaktion fügte dem nun ein unrühmliches Kapitel hinzu. Denn folgendermaßen kündigte man dort die Talkshow zum Thema „Worte, Wut, Widerspruch – Hass verbieten, Meinung aushalten?“ an: „Gewalt-Aufrufe, Morddrohungen, Todeslisten. Es wird gepöbelt, beleidigt und gedroht. Vor allem im Internet scheinen alle Hemmungen zu fallen. Die Grenzen des Sagbaren werden immer weiter gezogen. Und dennoch glauben viele Menschen, es gebe Sprechverbote.“
Dass die „Morddrohungen, Todeslisten“, fast immer von rechts kommen, hätte die Redaktion ruhig dazuschreiben dürfen. Die Unterschlagung dieser Tatsache markiert bereits einen Teil des Problems. Denn wie Social-Media-Experte Sascha Lobo auf Illners Frage darlegte, seien seit der Wende 200 Menschen von Rechtsextremen ermordet worden, dagegen vier bis sechs von Linken.
Und die aufgeführten „vielen Menschen“ wurden durch eine, wie Illner selbst feststellte, „unscharf formulierte“ Umfrage des Allensbach-Instituts ermittelt, wobei genaueres Fragen womöglich erbracht hätte, dass dieser „Glaube“ eher in rechts gesinnten Teilen der Bevölkerung zu finden ist.
Diskussion bei Illner über Dieter Nuhr und Greta Thunberg
Folgerichtig wollte die Moderatorin also erkunden, woher das „Gefühl“ eines Sprechverbots oder einer Unterdrückung von Meinungen stamme. Mit Fakten belegen lässt sich die Berechtigung dieses Gefühls eher nicht, jedenfalls nicht dort, wo die rechten Wutbürger sie verorten: in der Politik etwa. Und wenn Ralf Schuler, Leiter des Parlamentsbüros der „Bild“, als Beispiel anführte, Dieter Nuhr werde wegen seiner Angriffe auf Greta Thunberg in die rechte Ecke gestellt, so konterte Sascha Lobo zu Recht, das müsse sich Nuhr gefallen lassen. „Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße“; formulierte Strafrechtler Ulf Buermeyer.
Wohl aber gibt es massive Versuche, kritische oder linke Stimmen einzuschüchtern, mit besagten Morddrohungen und Todeslisten eben. Darauf wies jüngst auch die Redaktion von „quer“ vom Bayerischen Rundfunk in einem Tweet hin: Die AfD habe ja recht, hieß es da in ätzender Ironie. Man könne seine Meinung in Deutschland nicht mehr frei äußern, Beispiele seien der Mord an Walter Lübcke, die Todeslisten oder Morddrohungen etwa gegen Cem Özdemir, Claudia Roth oder auch Luisa Neubauer von Fridays for Future: Für die ganz Verbohrten sei es noch einmal gesagt: Die Gewalt geht meist von rechts aus.
Nun mag der Einwand kommen – und bei Illner kam prompt ein Einspieler dazu – an der Hamburger Universität hätten linke Studenten Bernd Lucke, Gründungsmitglied der AfD, nicht reden lassen. Wohl wahr - und kein Zeichen von Souveränität. Aber die Auftrittsverbote der Band Feine Sahne Fischfilet hätten eben, typisch, nicht die gleichen medialen Wellen geschlagen, führte Sascha Lobo an.
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Zudem kann doch die Blockade einer Vorlesung kein Mensch ernsthaft mit Morddrohungen gleichsetzen. Der damit wieder subkutan unternommene Versuch, links- und rechtsextrem gleichzusetzen, zeugt entweder von ideologischer Blindheit oder Geschichtsvergessenheit: Es waren immer noch die Nazis, die die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts verschuldet haben. Und es sind immer wieder die Nazis und ihre Freunde, etwa von der AfD, die sich in dieser Hinsicht uneinsichtig zeigen, wie jüngst der nun abgewählte Vorsitzende des Rechtsausschusses Stefan Brandner wieder demonstrierte.
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Cem Özdemir deutet Drohungen gegen ihn als Angriffe auf die liberale Republik
Die Runde bei Illner versuchte insgesamt aber, dem Thema mit Gelassenheit zu begegnen. Cem Özdemir deutete die Drohungen gegen ihn als Angriffe auf die liberale Republik. Und als Dorothee Bär (CSU), die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, erzählte, sie sei auch schon tätlich angegriffen worden („es hat sich was geändert“), ergänzte Sascha Lobo das um den Befund, dass der Hass im Netz sich vor allem gegen Frauen richte.
Das hatte ja auch die Grüne Renate Künast erfahren müssen, der ein Berliner Richter bescheinigte, sie müsse sich die übelsten Beschimpfungen gefallen lassen. Traurig aber wahr, bestätigte Strafrechtler Ulf Buermeyer: Das Strafrecht lasse „weite Spielräume“, die Billigung fiktiver Straftaten sei, anders als der Diebstahl eines Pfundes Kaffee, bislang nicht strafbar.
Es müsse mehr passieren, folgerte Bär. Özdemir nannte Strategien wie Gefährder-Ansprache und wunderte sich zu Recht, warum es, anders als in den 70er Jahren bei der Jagd nach der RAF, heute keinen Konsens gebe, „diesen Spuk“ zu beenden: „Wann meint es Deutschland endlich ernst damit, dass man den Rechtsradikalismus zerschlägt?“
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Igor Levit: Rechtsradikalismus ist keine Meinung
Maybrit Illner, ZDF, von Donnerstag, 14. November, 22.15 Uhr. ZDF-Mediathek
Pianist Igor Levit, bei Twitter ein entschiedener Streiter wider Rechts, befand, Rechtsradikalismus sei keine Meinung, sondern eine Einstellung. Er wurde von Schuler angegangen, weil er vor Jahren einem AfDler das Menschsein (im jüdischen Sinne) abgesprochen hatte. Schulers Reaktion: Wenn Levit somit den Paragrafen eins des Grundgesetzes infrage stelle, müsse er nun eigentlich aufstehen und gehen.
Da habe er nichts dagegen, warf Sascha Lobo ein. Denn Schuler ist selbst bisweilen rechtsaußen unterwegs, so setzte er jetzt einen Tweet ab, nachdem „ein Tunesier auch nach seiner Einbürgerung ein Tunesier“ bleibe: Da ist die Frage nach dem Arier-Nachweis nicht allzu fern.
Im Übrigen wies Sascha Lobo darauf hin, es gebe in Deutschland durchaus unerlaubte Meinungen, die Leugnung des Holocaust etwa, und er widersprach auch dem so stark strapazierten Wort von der „Spaltung“ der Gesellschaft: eine Polarisierung der Gesellschaft sei durchaus wünschens-, Konsens nicht erstrebenswert. Aber man müsse eben Anstand haben und darauf achten, was man sage, bestätigte Levit, der von Ex-Kanzler Helmut Schmidt den Satz gehört habe: Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Sollte man der AfD ins Poesiealbum schreiben ...
In der Sendung vom 21.11.2019 wendet sich Maybrit Illner in ihrer Sendung der Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben zu und fragt: „Armutsrisiko Familie – heute Eltern, morgen arm?“
Von Daland Segler