„House of Gucci“ von Ridley Scott kommt ins Kino: Falsche Originale

Ridley Scott inszeniert den Fall der Modedynastie als quirlige Gesellschaftssatire: „House of Gucci“.
Luxus für alle ist natürlich ein Widerspruch in sich selbst. Aber man darf ja mal daran schnuppern. Seit es Filme gibt, verkaufen ihre Produzenten Logenplätze auf das Leben der Reichen und Schönen. Um unseren Neid aber in Grenzen zu halten, enden sie oft tragisch. Das Erfolgsrezept übernahmen sie von Shakespeare.
„House of Gucci“ ist genau das: Eine schwelgerische Kolportage aus dem wahren Luxusleben, wobei das mit der Wahrheit wie immer so eine Sache ist. „Inspiriert von der wahren Geschichte“, verspricht der Trailer – wie immer man es verstehen mag, wenn sich jemand von der Wahrheit zu etwas anderem inspirieren lässt. Auch falsche Gucci-Täschchen wurden von echten Gucci-Täschchen inspiriert. Aber genau hier ist man schon mitten drin in der Geschichte.
Einmal entdeckt die von Lady Gaga gespielte Gesellschaftsaufsteigerin Patrizia, die ins Modehaus eingeheiratet hat, bei ihrer Hausangestellten eine offensichtlich gefälschte Gucci-Handtasche. Zu ihrer Überraschung kümmert das die Träger des großen Namens wenig. Al Pacino spielt ihren Schwager Aldo Gucci im quirligen Tempo italienischer Filmkomödien aus den sechziger Jahren. Es sei doch gar nicht schlecht, wenn sich Leute, die sich kein Original leisten könnten, wenigstens mit dem Namen schmückten. Die Beliebtheit bei der Unterschicht zementiert für ihn nur den großen Namen Gucci. Für die Tochter eines Fahrunternehmers schwingt in dieser Aussage noch eine andere Botschaft mit. Wird man sie selbst in der Familiendynastie je für etwas anderes halten als eine „unechte Gucci“?
Aldo ist die treibende Kraft des vom Vater begründeten Unternehmens, das er von den USA aus zu einer internationalen Luxusmarke expandieren möchte. Wenn er einer reichen Kundin mit insistierendem Friseur-Charme einen Schuh verkauft, dann aus dem Brustton der Überzeugung: Eine bessere Qualität finde man schließlich nirgends auf der Welt. Dennoch wird dieser scheinbar so vorbildliche Unternehmer noch im Gefängnis landen, angezeigt von Mitgliedern der eigenen Familie wegen Steuerbetrugs.
Seinem Bruder Maurizio fehlt solche Grandezza. Adam Driver spielt ihn zu Beginn mit hinreißend übertriebener Schüchternheit, ein williges Opfer, als Patrizia ihre Netze auswirft. Der stoffelige Jurist braucht seine Zeit, um genug Ehrgeiz zu entwickeln, von der Seitenlinie in den Kampf um die Firma einzusteigen. Ebenso hinreißend erleben wir dann den vom Luxus verführten Driver seine Hemmungen verlieren, sich in einen Lamborghini Countach zwängen und die Firmenjuwelen verprassen. Kein Wunder, dass Patricia schließlich einen Killer auf ihn ansetzen wird.
In der Spielezeit dieser Familien-Business-Saga, die von 1978 bis in die mittleren Neunziger reicht, wäre dies wohl das bessere „Dallas“ gewesen.
Auch wenn Ridley Scott keine Serie daraus gemacht hat, lässt er das Filmmaterial ungebremst durch die Kameras laufen. Zwei Stunden und achtunddreißig Minuten kommen so zusammen, und sie vergehen wie im Fluge. Um es klar zu sagen: Ridley Scott hatte kein Gesellschaftsgemälde im Sinn, wie es vielleicht Visconti geschaffen hätte. Man vermisst aufwendige Szenen aus der Modeproduktion, lediglich spät im Film deutet eine Tom-Ford-Modenschau an, was aus der Marke noch werden wird, wenn die Guccis einmal nichts mehr zu sagen haben.
Dagegen misst sich die Ausstattung von „House of Gucci“ weniger an echten Gemälden als an falschen Handtaschen. So gesehen ist Scotts vorangegangene Zusammenarbeit mit Adam Driver, „The Last Duel“, das bedeutendere und originellere Spätwerk. Alles an diesem Film kokettiert mit dem etwas aufdringlich-angeberischen Gucci-Stil der achtziger Jahre, aber das mit vollmundiger Ironie.
Die meisten der Figuren sind Karikaturen ihrer Vorbilder aus der Wirklichkeit, insbesondere Jared Leto als dritter Bruder Paolo, eine stets auf halbem Wege scheiternde Künstlernatur. Eigentlich ist er der einzige wirklich Kreative unter den Guccis, doch seine vergeblichen Mühen um die Anerkennung des von Jeremy Irons gespielten Patriarchen machen ihn zu einer tragischen Erscheinung. In einem Tim-Burton-Film gehörten ihm alle Sympathien, in Scotts Mode-Operette bleibt ihm nur die Rolle des Buffo. Ein weiteres Element komischer Überzeichnung sind die falschen Akzente aller Hauptdarsteller – jeder tut, als sei er Italiener. Darauf muss man sich erst einmal einlassen.
Doch so sehr die gestandenen Darsteller in der Übertreibung schwelgen, so erfolgreich bemüht sich wenigstens ein Nachwuchstalent um menschliche Glaubwürdigkeit. Nach ihrem furiosen Auftritt in „A Star Is Born“ reißt Lady Gaga einen weiteren Film förmlich an sich. Umgeben von Karikaturen, porträtiert sie die Society-Novizin ohne jede Herablassung. Der Klassismus, den diese Tragikomödie satirisch attackiert, spielt in einer Kultur ohne wirkliche Klasse. Oder, wenn man so will, einer Klasse ohne Kultur. Lady Gaga stattet ihre Figur zu Beginn mit einer menschlichen Authentizität aus, die sie im Hause Gucci sogleich isoliert.
„House of Gucci“, das klingt nach Edgar Allan Poe: Wie mit seinem Hause Usher kann es nur bergab gehen. Längst gehört Gucci nicht mehr den Guccis. Die Firma ist heute Teil der französischen Luxusgruppe Kering und erfolgreicher denn je.
House of Gucci. Regie: Ridley Scott. USA 2021. 158 Min.