Heiliger MacGuffin

Man möchte Blut weinen vor Glück: Diese italienische Miniserie hat einfach alles ? ergreifende Emotionen, komplexe Themen und erstaunliche Bilder.
Wenn eine Miniserie eine prägnante, vielversprechende Prämisse hat, dann ist das schon die halbe Miete. Und „Ein Wunder“ hat eine herrlich perfide und vor allem ergiebige Ausgangssituation gebaut: Bei einer Razzia in der Villa eines Mafiabosses wird eine blutende Marienstatue gefunden. Ausführliche wissenschaftliche Test müssen tatsächlich ein Wunder feststellen: Die Statue produziert ein Mehrfaches ihres Eigengewichts an Blut pro Tag – die physikalischen Gesetze scheinen für sie nicht zu gelten. Dafür ist das Blut menschlich – und man kann die DNA identifizieren...
Die halbe Miete ist also schon da. Richtig gut wird eine Serie, wenn sie diese Ausgangssituation nicht nur durchspielt, sondern ausweitet, eine richtig großen, allumfassenden Wurf draus macht, der uns etwas über unsere heutige Zeit erzählt. Und siehe da: Dieses italienische Meisterstück präsentiert uns ein grandioses Kaleisdoskop an Figuren, die nicht nur von diesem Wunder völlig aus der Bahn geworfen werden, sondern die auch alle wichtigen Funktionen des Landes repräsentieren: Der egozentrische Politiker hat Sorge, dass diese Erscheinung in sein geplantes EU-Referendum hineinpfuscht; seine atheistische Frau kämpft gegen die zunehmende Gläubigkeit ihrer eigenen Kinder; die streng rationale Wissenschaftlerin will mit dem Wunderblut ihre kranke Mutter heilen; der Mafiaboss und seine Familie werden von kuriosen Geschehnissen heimgesucht; und ein in Spielschulden, Prostitution und Verbrechen verstrickter Priester sucht den Weg zurück zu Gott.
Niccolò Ammaniti ist kein Neuling
Es ist also mal wieder eine Miniserie als großer Gesellschaftsroman. Dass dieses Format mit seinen sechs bis zwölf Stunden Dauer die perfekte Länge Roman-Stoffe hat, war seit langem bekannt. Und schon bei anderen „Gesellschaftsroman“-Serien wie „The Wire“ oder „Gomorrha“ haben namhafte Roman- und Sachbuchautoren mitgewirkt. Nun darf man mit Niccolò Ammaniti wohl den ersten internationalen Bestsellerautoren und literarischen Superstar begrüßen, der als Autor und Regisseur eine eigene Miniserie geschaffen hat. Und was für eine dichte, ästhetische und wichtige Vision er vorgelegt hat!
Wobei man erstmal anerkennen muss, dass Ammaniti kein ganz grüner Neuling im Film- und Fernsehbereich ist. Er hat bereits sehr erfolgreich als Drehbuchautor einige seiner berühmtesten Romane wie „Ich habe keine Angst“ selbst für die Leinwand adaptiert. Und es soll lobend erwähnt werden, dass diese Serie ihn zwar als Erfinder, Regisseur und Autor hervorhebt, dabei aber auch noch gleichberechtigt zwei weitere Regisseure und vier weitere Autoren nennt, die allesamt gemeinschaftlich mit ihm für jede der acht Folge verantwortlich zeichnen. Und darunter ist nicht nur Ammanitis langjähriger Co-Autor Francesca Marciano, sondern auch international bereits vielfach preisgekrönte Regisseure wie Francesco Munzi oder Lucio Pellegrini. Eine illustre Gruppe also, die sich da sehr solidarisch zusammengeschlossen hat.
Und das ist das letzte Kriterium, das aus einer sehr guten Serie ein Meisterwerk macht: der Zusammenhalt. Selbst richtig gute Serien wie „Breaking Bad“ unterliegen ästhetischen Schwankungen durch die Handschriften unterschiedlicher Regisseure. „Ein Wunder“ dagegen wirkt nicht nur durch die kino-reifen, oft düsteren Bilder der Kamerafrau Daria D'Antonio wie aus einem einzigen Guss – obwohl die Stimmung scheinbar mühelos zwischen Polit-Satire, Ehe-Drama, religiöser Parabel und Familientragödie balanciert, bleiben Stil und Tonfall sofort erkennbar. Jeder Satz trifft, jedes Bild ist ausgesucht schön komponiert, jeder Musikeinsatz sitzt. Italien ist spät auf den Zug der internationalen Miniserien aufgesprungen, aber unter der visionären Leitung von Ammaniti ist dem Land ein Meisterwerk geglückt, das keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht.
Zur Sendung „Ein Wunder“, achtteilige italienische Miniserie Sendetermin der ersten drei Folgen: Donnerstag, 10. Januar 2019 ab 20.15 Uhr auf arte. Weitere Folgen: 17. und 24. Januar 2019, jeweils ab 20:15 Uhr