„Hart aber fair“ - Chaos der globalen Mächte ist eine Chance für Europa

Konflikt zwischen den USA und dem Iran: Dank eines außenpolitischen Themas bleibt „Hart aber fair“ diesmal eher „klug und informativ“.
Beinahe entschuldigend trat Frank Plasberg zu Beginn vor die Zuschauer und warnte, dass er ausnahmsweise mal vorhatte, sie zu informieren. Man spürt manchmal: Es hätte ihm sichtlich mehr Freude bereitet, die zigtausendste Koalitionsdiskussion oder das ewige innerdeutsche Parteien-Gezänk auszustellen, als die Möglichkeit eines kriegerischen Konflikts im Nahen Osten zwischen einem inkohärenten US-Präsidenten und einem mörderischen Religions-Regime mit möglicher nuklearer Eskalation zu beleuchten – aber für den journalistisch interessierten Zuschauer war diese Runde eine angenehme Ausnahme.
„Hart aber fair“ - Plasberg wollte informieren
75 Minuten hatten die anwesenden Experten also Zeit, um die Geschichte der Region, die Vorkommnisse der letzten Tage, die beteiligten Parteien und ihre Vision von einer Zukunft vorzustellen. Und trotz mancher Differenzen und unterschiedlicher Standpunkte gab es praktisch keine Schwachstellen in der Runde.
Man rekapitulierte die gezielte Tötung des iranischen Generals Suleimani ebenso wie Donald Trumps generell stümperhaftes Herumstolpern auf der politischen Weltbühne. Die Proteste der Bevölkerung gegen das Regime nach dem Geständnis des „versehentlichen“ Abschusses der Passagiermaschine wurden ebenso klug eingeordnet wie die vorangegangenen Massendemonstrationen aus Trauer über Suleimanis Ermordung. Und vor allem gaben alle Gäste freimütig zu, wie wenig Ahnung sie haben, wie das weitergeht in diesem nahöstlichen Pulverfass. Erfrischend in diesem sonst so rechthaberischen Format.
„Hart aber fair“ - Linkes Gewissen vs. Klartext
Bei der Einordnung des Attentats von Soleimani durch eine US-amerikanische Kampfdrohne verteilten sich dann die Rollen: Jürgen Trittin als das linke Gewissen, das auf internationale Abkommen pocht; der Politikprofessor Christian Hacke als Klartextredner, der sowohl dem erratischen Trump als auch den verzagten Europäern konstant die Leviten las; die iranisch-stämmige Journalistin Golineh Atai als Stimme der iranischen Bevölkerung und Analystin der komplexen Innenverhältnisse des Mullah-Regimes; der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen als Ober-Realo mit Regierungsverantwortung, der Skepsis gegenüber allzu leichten Urteilen anmahnte; und die US-amerikanische Journalistin Melinda Crane, die kritisch aus der Innensicht der gespaltenen Supermacht berichtete. Unrecht hatte keiner von ihnen – tatsächlich ergänzten sich ihre oft widersprüchlichen Meinungen erst zu einem vollen Gesamtbild.
Dass Trump der iranischen Protestbewegung mit seiner lautstarken Unterstützung einen Bärendienst erwiesen hat, darüber herrschte Einigkeit. Aber was sind die Folgen? Steht das Regime wirklich unter Druck oder war die brutale Machtdemonstration gegen die Proteste im Herbst ausreichend, um den inneren Frieden zu sichern? Wird Iran nun endgültig die Atombombe anstreben, oder spielt der Staat lieber auf Zeit und hofft auf eine Abwahl Trumps? Und wird bei den Wahlen im Februar eine Reformer-Regierung an die Macht gewählt, oder gibt es im Gegenteil einen Umschwung zu den Hardlinern? Ist das Atomabkommen mit dem Iran noch zu retten oder war es von Anfang an zu lasch formuliert?
„Hart aber fair“ diskutiert Rolle Deutschlands und Europas im Nahen Osten
Die abschließende Frage, welche konstruktive Rolle Deutschland und Europa in diesem Durcheinander in Zukunft spielen können, bringt dann wieder die unterschiedlichen Persönlichkeiten hervor: Hacke lamentiert das europäische Duckmäusertum, das keine „smart power“ ist und sich die internationalen Regeln diktieren lässt. Altai sieht das nicht so düster: Man könnte schon, man will ja anscheinend nur nicht – obwohl die iranische Bevölkerung durchaus die Unterstützung der EU gebrauchen könnte. Röttgen sieht sogar eine gute Ausgangsposition, weil das Chaos der anderen globalen Mächte eine Chance für Europa darstellen könnte, endlich ein eigenes internationalen Engagement aufzubauen. Und auch Crane erkennt eine ungewöhnliche Einigkeit von Briten, Franzosen und Deutschen, die vielleicht eine gemeinsame Außenpolitik möglich machen würde.
Dank dieser hervorragenden Sendung wird das Publikum in den kommenden Wochen besser beurteilen können, ob Hacke mit seinem Defätismus oder Röttgen mit seiner vorsichtigen Zuversicht richtig lagen. Und „Hart aber fair“* könnte sich ruhig öfters mal mit außenpolitischen Themen befassen.
Von D.J. Frederiksson
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