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„Hart aber Fair“ in der ARD: „Haben Sie in Paris auch Mülltonnen angezündet, Frau Wissler?“

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Von: Rolf-Ruediger Hamacher

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TV-Talk bei „Hart aber Fair“ vom 27. März 2023
TV-Talk bei „Hart aber Fair“ vom 27. März 2023 © Screenshot ARD

Tagesaktuell geht es in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ um das Thema „Der große Streiktag – Gerecht oder Gefahr für die Wirtschaft?

Köln – Einer neuen Regierung räumt man 100 Tage Schonfrist ein, um sich zu bewähren. Die gegenwärtige Ampel-Koalition geht in die Verlängerung, mit unbekanntem Ausgang. Und auch bei Frank Plasbergs Nachfolger Louis Klamroth zweifelt man, ob er die „Probezeit“ überstehen wird. Aber wenn schon bei der Besetzung des WDR-Intendanten-Postens (Tom Buhrow) und seines Programmdirektors Jörg Schönenborn, der immer noch meint, er stehe vor der Polit-Barometer-Wand – obwohl er sich eigentlich um innovative Programm-Strukturen kümmern sollte – offenbar keine Aufgaben-bezogene Professionalität gefragt war, dürfte sich auch Louis Klamroth seines Postens sicher sein. Inklusive einer WDR-Pension, die lange Zeit nicht viel vom End-Gehalt abwich.

Eine Frage der Gerechtigkeit, um die es ja auch an diesem Abend ging: Nur braucht bei den öffentlich-rechtlichen keiner zu streiken, um von seinem Gehalt leben zu Können! Aber so tief wollten Klamroth und einige seiner Gäste bei „Hart aber Fair“ in der ARD dann doch nicht eintauchen. Übrigens zum ersten Mal – wenn ich mich richtig erinnere – alles Frauen (außer der „Sidekicks“ aus dem Publikum).

„Hart aber Fair“: Janine Wissler auf der Palme

Die Familienunternehmerin Marie-Christine Ostermann stimmt gleich das Lied des systemrelevanten, aber durch die Pandemie und Krieg gebeutelten Mittelstandes an und will endlich wieder Geld verdienen, findet deshalb die Forderungen der Gewerkschaften überzogen. Ist andererseits aber erleichtert, dass gestern nicht das erwartet schlimme Szenario eingetreten ist.

Das bringt Janine Wissler gleich auf die Palme: „Wir reden hier über die Helden und Heldinnen der Coronakrise. Und was haben die Arbeitgeber vorgelegt? Eine Lohnkürzung, obwohl alle Lebensunterhalts-Kosten gestiegen.sind. Die Leute sollten sich nicht über die Streikenden ärgern, sondern über die Arbeitgeber. Der Vorstand der Deutschen Bahn hat sich seine Dividende um 14% erhöht, und versagt seinen Angestellten 10.5 % Lohnerhöhung!“

Gitta Connemann will Marie-Christine Ostermann, ihre Seelenverwandte im Mittelstands-Geist, nicht im Regen stehen lassen und bläst tapfer ins ideologische Horn der Unternehmer. Merkt sie denn nicht, dass sie bei ihrer unreflektierten, parteipolitischen Argumentation Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt und geradezu einer Spaltung des Landes das Wort redet?!

„Hart aber Fair“ Louis Klamroth und seine (Podiums-)Gäste:

Die bayrische Trambahnfahrerin Julia Riemer bleibt ganz souverän, wirbt für die Zukunft des ÖPNV, für den die Streikenden schließlich kämpfen und bezweifelt, dass man in München mit einem Einstiegsgehalt von 2.600 Euro überleben kann? Netto oder Brutto, fragt man sich vor dem Bildschirm. Klamroth offensichtlich nicht!

„Hart aber Fair“: Klamroth stoppt Geschwafel nicht

Während Anja Kohl diagnostiziert, dass das erstmalige Zusammengehen der Gewerkschaften Verdi und EVG die „Lebensader unserer modernen Gesellschaft trifft und sie damit eine neue Macht bekommen“, jammern Ostermann und Connemann weiter darüber, dass auch sie unter der Inflation leiden und überhöhte Lohnforderungen keine Lösung sind. Connemann versteigt sich sogar zu der Behauptung, dass die Gewerkschaften ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen. Während Klamroth diesem populistischen Geschwafel mit gezielten Nachfragen keinen Einhalt gebietet, übernimmt Janine Wissler den kritischen Part und erzählt von einem Transparent bei einem Pflegepersonal-Streik. „Nicht unser Streik gefährdet die Patienten, sondern der Normalzustand!“

Genauso unaufgeregt waren die meisten - Verständnis zeigenden - Antworten, die Klamroths Assistentin Brigitte Büscher zum Beginn des Berufsverkehrs in Köln eingefangen hat: „Eigentlich hat sich das Frühaufstehen für mich nicht gelohnt.“

Anja Kohl wirft noch einmal ihr geballtes Finanzwissen in die Runde, fordert gestaffelte, intelligentere Tarifabschlüsse. Geißelt das Versagen der Notenbanken, deren aggressives Reagieren. Sieht eher die Gefahr einer Lohnpreis-, als die einer Inflations-Spirale. Jetzt ist richtig Zunder in der Hütte, einige reden völlig undiszipliniert dazwischen. Selbst Anja Kohl vergisst, dass sie eigentlich ein Medienprofi ist, Louis Klamroth dagegen bemüht sich erst gar nicht, einer zu sein, „blickt stumm auf dem ganzen Tisch herum.“

„Hart aber Fair“: Klamroth mit ziemlich dämlicher Frage

Janine Wissler möchte lieber von einer Profitpreis-Spirale und Spekulationsgewinnen sprechen, die vor allem die Mieten steigen lassen. Aber davon wollen ihre beiden Mittelstands-Verfechterinnen auf dem Podium nichts wissen – und Klamroth eigentlich auch nichts. Denn er zeigt einen Einspieler von einer Demo in Paris und versucht Wissler mit der ziemlich dämlichen Frage, „Haben sie auch Mülltonnen angezündet?“, aus der Reserve zu locken. Die verweist auf das Recht der Bürger, für ihre Rechte zu demonstrieren, das aber Connemann bei Streiks nur den Gewerkschaften zubilligt. Ehe Connemann die Diskussion wieder chaotisiert, holt sich Klamroth den ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam zu Hilfe.

Der versucht es dann mit Fakten statt halbgaren Argumenten und antwortet auf Klamroths Frage, „Darf es einen politischen Streik wie in Frankreich in Deutschland eigentlich geben?“, mit der klaren Aussage: „Nein, in Deutschland ist eine Bedingung für einen legalen Streik, dass man für Ziele streikt, die man in einem Tarifvertrag regeln kann. Der Ausgangspunkt ist aber immer das vom Grundgesetz garantiere Recht auf Streik, auf Arbeitskampf. Was ja schon ausdrückt, dass das auch mal „wehtun“ kann. Es gibt aber rechtliche Grenzen der Verhältnismäßigkeit, die gestern vom Landesarbeitsgericht in Hamburg auch eingefordert wurden: Im Elbtunnel musste ein Notdienst vorgehalten werden.“

Connemann gibt daraufhin in der Runde zwar ein Lippenbekenntnis fürs Streikrecht ab, reitet aber zwischen den Zeilen weiter auf Einschränkungen herum. Anja Kohl ist genervt von ihrem penetranten „Aufsagen“ des CDU-Parteiprogramms und verbietet sich diese „Nebel-Diskussion“. Wissler pflichtet ihr bei: „Hände weg vom Streikrecht.“ Auch unsere wackere Trambahnfahrerin ist fassungslos über die peinliche Betroffenheit-Dudelei von Connemann, die partout nicht von ihrem parteipolitischen Ross hinuntersteigen und eine eigene Haltung einnehmen will. Immerhin attestiert sie dem Finanzminister „klebrige Finger“. Das präzisiert dann Anja Kohl süffisant: „Der Bund hat Milliarden Steuereinnahmen mehr als im vergangenen Jahr und Herr Lindner profitiert von der Inflation“ Dann erklärt sie der Runde die Welt und Deutschland – schwingt sich schließlich zu einem Plädoyer für das Streikrecht auf, das sie als Kronjuwel der Gesellschaft lobt.

Marie-Christine Ostermann erkennt noch immer nicht die gesellschaftlichen Zusammenhänge der Situation. Aber ihr inhaltloses Gejammere ist nun selbst Klamroth zu viel und er bindet zum Ende schnell noch den Lieferando-Fahrer Fabian Schmitz ins Gespräch ein, der von der prekären Beschäftigungslage in der Branche berichtet, in der Gewerkschaften die Ausnahme sind. Er will den 12Euro Mindestlohn überwinden und eine faire Bezahlung erreichen, die einen nicht abhängig macht von Nebenjobs. Auch für den sympathischen jungen Mann wurde am Montag gestreikt, auch wenn das einige in der Runde nicht wahrnehmen wollten! (Rolf-Ruediger Hamacher)

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