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Mordfall Luise aus Freudenberg: Die Verantwortung der Gesellschaft

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Von: Tina Waldeck

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Markus Lanz spricht mit seinen Gästen über den Fall Luise aus Freudenberg.
Markus Lanz spricht mit seinen Gästen über den Fall Luise aus Freudenberg. © Screenshot ZDF

Markus Lanz geht nach dem Fall der ermordeten Luise aus Freudenberg im ZDF-Talk der Frage nach, wie extreme Gewalt Kindern entsteht.

Hamburg - Auf den ersten Blick eine seltsame Zusammenstellung zweier gänzlich unterschiedlicher Themen bei Markus Lanz (ZDF). Heizen mit Holz ist „klimaneutraler“? Nicht, wenn es aus den letzten Regenwäldern der Welt kommt: Mit Holz wird mittlerweile genauso viel Geld verdient wie mit Drogen, erklärt Marcus Engert (Investigativreporter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ).

Das Thema, mit einem langen Einspieler geplant, wird jedoch überlagert von dem Fall der ermordeten 12-jährigen Luise aus Freudenberg, – umgebracht von zwei Mädchen im gleichen Alter. Gibt es eine gestiegene Gewaltbereitschaft zwischen Kindern/Jugendlichen und „welche Rollen spielen die sozialen Medien?“ Einblicke geben Prof. Dr. Sibylle Winter (Kinderpsychiaterin an der Charité in Berlin), Birgit Kimmel (Leiterin der EU-Initiative „klicksafe“) sowie Sebastian Fiedler (Kriminalhauptkommissar und SPD-Bundestagsabgeordneter).

Die Gäste bei Markus Lanz (ZDF) am 23. März

Sebastian FiedlerKriminalbeamter
Sibylle WinterKinderpsychiaterin
Birgit KimmelPädagogin
Marcus EngertJournalist

Markus Lanz thematisiert im ZDF-Talk den Fall Luise aus Freudenberg

In den USA gibt es Staaten, in denen schon sechsjährige Kinder für Straftaten eingesperrt werden. Auch in Deutschland wird nun über härtere Maßnahmen diskutiert. Bei dem Jugendstrafverfahren stehen „nur“ die Erziehungsmaßnahmen im Vordergrund, um die Kinder „wieder auf den rechten Weg zurückzuführen“. Das ist aber mehr eine „Norm verdeutlichende Funktion für die Gruppe“ – und damit „eine Abschreckung für die anderen“, verdeutlicht Birgit Kimmel bei Markus Lanz im ZDF. Bei den Täterinnen im Fall Luise wird „eine Schutzglocke darüber gelegt“, weil es eben noch Kinder sind und sie die Möglichkeit bekommen sollen, eine „Wiedergutmachung“ in der Gesellschaft zu leisten.

Politische „Schnellschüsse“ findet Sebastian Fiedler hier auch nicht sinnvoll – auch wenn er überrascht wäre, wenn es sich bei der Tat der beiden Mädchen um die erste Auffälligkeit handeln sollte. Denn bis es so weit kommt, waren meist schon vorher Probleme sichtbar. Da würde er lieber hinterfragen, was die Gesellschaft im Vorfeld machen kann, „um das zu verhindern?“ Aggressives oder stark impulsives Verhalten zeigt sich schon sehr früh, aber es gibt „immer noch Hemmungen“ zum Kinder- oder Jugendpsychiater zu gehen. Dabei entwickeln sich besonders in der Zeit der Pubertät, zwischen 12 und 15 Jahren, soziale Kompetenzen – oder eben auch nicht.

Wie entsteht extreme Gewalt bei Kindern? Markus Lanz und seine Gäste diskutieren

Zwischen 17 und 25 Prozent der Kinder und Jugendliche in diesem Alter waren hier im letzten Jahr von Mobbing/Cybermobbing betroffen. Das steht oft im Zusammenhang mit Gewalt, was „sehr häufig“ in den Elternhäusern vorkommt und immer noch in der Gesellschaft tabuisiert wird, erklärt Sibylle Winter. Hier sieht sie bei Markus Lanz (ZDF) die Gesellschaft verstärkt in der Verantwortung. Denn wenn dieses Verhalten in den Schulklassen analog läuft, geht es auch im digitalen Raum weiter. Da müssten viel mehr Schutzkonzepte entwickelt werden, wo die Betroffenen Hilfe bekommen, – wie bei der Initiative „Jugendliche beraten Jugendliche“ oder auch die „Nummer gegen Kummer.“ Hinsehen wäre hier das Motto, und nicht ignorieren und/oder wegsehen.

Oft dürfen schon Kinder soziale Medien benutzen, „die überhaupt nicht für ihr Alter geeignet sind“, ergänzt Birgit Kimmel. Dabei ist allein WhatsApp international erst ab 16 Jahren freigegeben. Immer früher wird ein Smartphone zum Standardspielzeug, wo es in der Hand der Erziehungsbeauftragten liegt, den Umgang damit zu kontrollieren, zu regulieren und zu überwachen. Die Kinder und Jugendlichen müssten im Umgang damit geschult werden, damit sie auch dort ein angemessenes Verhalten im Miteinander lernen. Eine „Medienkompetenzförderung“, „pro-soziales Verhalten“ sowie die „Selbstregulierung“ von Emotionen, – was teilweise auch die Erwachsenen in den sozialen Medien nicht beherrschen.

Markus Lanz (ZDF): Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat sich verändert

Auch gibt Sibylle Winter bei Markus Lanz (ZDF) zu bedenken, wie sich die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in den drei Jahren von Corona verändert hat. Die kognitiven Fähigkeiten in den Gruppen konnten sich nicht altersgerecht entwickeln und es wurde verstärkt Halt in den sozialen Medien gesucht. Nun kommen viele von ihnen in die Einrichtungen mit Depressionen, Angst- oder Essstörungen. Durch den digitalen Raum sind sie wesentlich mehr Reizen und Einflüssen ausgesetzt, welche sie handhaben und verarbeiten müssen. Zudem sieht sie viele Kinder und Jugendlichen überfordert, sich wieder geordnet in den präsenten Betrieb der Schulen zu integrieren.

Da rufen auch die Institutionen und Einrichtungen nach Hilfe, um das Angebot zu vergrößern, – und es wird „deutlich, wohin die Reise gehen muss“, erklärt Sebastian Fiedler bei Markus Lanz (ZDF). Er findet generell, dass viel mehr Sendezeit investiert werden sollte, damit neu über die strukturellen Maßnahmen in den Systemen verhandelt werden kann. Auch, um über die sogenannte „Umweltkriminalität“ zu diskutieren: Denn die Menschen sägen sich gerade – auf vielerlei Arten und Weisen – „den eigenen Ast“ ab, auf dem sie sitzen. (Tina Waldeck)

Markus Lanz am 23. März

Die Sendung in der ZDF-Mediathek

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