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Gerd Ruge: Chronist gegensätzlicher Welten

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Von: Harry Nutt

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Gerd Ruge steht im Jahre 1987 am Roten Platz in Moskau.
Gerd Ruge steht im Jahre 1987 am Roten Platz in Moskau. © dpa

Erinnerungen zum Tod des Journalisten Gerd Ruge. Oft im Jeanshemd und Pullover auftretend, sah er seine Aufgabe vor allem darin, andere zum Sprechen zu bringen.

Russland, USA, China – für einen politischen Journalisten gilt es als wichtiges Merkmal seiner Weltläufigkeit, in wenigstens einem dieser riesigen Länder vorübergehend als Korrespondent gearbeitet zu haben. Der 1928 in Hamburg geborene Gerd Ruge war in Washington, Moskau und Peking vor Ort, wenn weltpolitische Entscheidungen vorbereitet und getroffen wurden. Mehr aber als auf die Macht und deren Umgebung war sein journalistischer Blick stets auf die Menschen gerichtet, die unmittelbar von dieser betroffen waren.

So drehte er, nachdem er zwischen 1956 und 1959 der erste in Moskau akkreditierte deutsche Journalist der ARD war, eine bis heute legendäre Reportage über die gesellschaftlich gespaltenen USA nach der Ermordung des Predigers und Bürgerrechtlers Martin Luther King im Jahre 1968. In eindringlichen Bildern registrierte Ruges behutsam-neugieriger Blick dabei nicht zuletzt die zerstörten Hoffnungen eines ganzen Landes auf die friedliche Überwindung des Rassismus.

Die US-amerikanische Hauptstadt war für Gerd Ruge aber nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch eine wichtige familiäre Station. Seine Kinder Boris und Elisabeth Ruge, die spätere Verlegerin des Berlin Verlags, wuchsen ihr erstes Lebensjahrzehnt in Washington auf, ehe sie zu Beginn der 70er Jahre nach Deutschland zurückkehrten, wo Ruge vorübergehend die Leitung des Hauptstadtstudios des WDR in Bonn übernahm. Schon bald aber zog es ihn wieder fort, im Auftrag der Tageszeitung „Die Welt“ verlegte er seinen Wohnsitz nach Peking, wo er zwischen 1973 und 1976 von der aufstrebenden Weltmacht berichtete.

Den „Weltspiegel“ initiiert

Trotz des beruflichen Ausflugs in den Zeitungsjournalismus war Gerd Ruge ein Fernsehmann – und blieb es. Viele politische Sendeformate tragen seinen Stempel. Zusammen mit dem späteren Regierungssprecher Klaus Bölling hatte er 1963 den „Weltspiegel“ initiiert, der den ARD-Korrespondenten die Gelegenheit gab, jenseits der Tagesaktualität über Land und Leute zu berichten. Zu Beginn der achtziger Jahre moderierte Ruge mit sympathisch näselnder Stimme das Polit-Magazin „Monitor“, das wegen seiner vermeintlichen Linkslastigkeit immer wieder einmal zum Gegenstand parteipolitischer Anfeindungen wurde.

Dabei war Gerd Ruge alles andere als ein Eiferer. Oft im Jeanshemd und Pullover auftretend, sah er seine Aufgabe vor allem darin, andere zum Sprechen zu bringen anstatt selbst eine Meinung hinauszuposaunen. Haltungslos war er deswegen nicht. Bereits 1961 hatte Ruge zusammen mit der Journalistin Carola Stern die deutsche Sektion von Amnesty International gegründet, zudem war er Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Die größte Anerkennung beim Publikum aber erhielt Gerd Ruge mit seinen Auslandsreportagen, die er bereits als Pensionär produziert hatte. Mit dem liebevollen Blick eines alten Freundes reiste er noch einmal durch jene Länder, in denen seine Karriere begonnen hatte und berichtete über Menschen, die jenseits der politischen Großwetterlagen versuchten, mit den sozialen Verhältnissen zurechtzukommen. Am Freitag ist Gerd Ruge im Alter von 93 Jahren in München gestorben.

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