„Gelobt sei Gott“: Im Herzen der Finsternis

Der französische Regisseur François Ozon beleuchtet in „Gelobt sei Gott“ einen kirchlichen Missbrauchsskandal – und überzeugt mit einem ungewohnt zurückhaltenden Filmstil.
Es gibt keine menschliche Tragödie, kein Verbrechen und keine Katastrophe, zu deren Darstellung sich das Kino nicht früher oder später berufen fühlt. Manchmal geht es lange schief wie etwa beim amerikanischen Genozid an den Ureinwohnern. Oder es dauert eine gewisse Zeit wie etwa beim Vietnamkrieg. Oder es braucht sehr viele sehr unterschiedliche künstlerische Ansätze wie bei der Behandlung der Shoah.
Auch der Kindesmissbrauch durch kirchliche Würdenträger hat in den vergangenen Jahren einige für sich genommen überzeugende Filme inspiriert, ohne dabei auch nur in Ansätzen das ganze Ausmaß der Verbrechen zu repräsentieren. Das irische Rachedrama „Am Sonntag bist du tot“ überhöhte – nicht immer geschmackssicher – ein individuelles Schicksal in fast biblische Dimensionen. Der Chilene Pablo Larrain führte dagegen in „El Club“ auf angemessen gespenstische Weise in eine Wohngruppe von Priestern, die man aus ihren Ämtern entfernt hatte.
Zurückhaltender Ton: „Gelobt sei Gott“
Der erste große Spielfilm jedoch, der überzeugend die Nähe zu konkreten Enthüllungen aus jüngster Zeit sucht, kommt nun ausgerechnet von François Ozon. Wer die oft schwelgerischen, manchmal pathetischen, manchmal ironischen Filme des Franzosen kennt, staunt nicht schlecht über den zurückhaltenden Ton von „Gelobt sei Gott“.
Der Titel findet sich als wiederkehrende Phrase in vielen kirchlichen Antwortschreiben, die ihm das reale Vorbild eines seiner Protagonisten zeigen konnte: Alexandre, gespielt von Melvil Poupaud, ein frommer Katholik und Vater von fünf Kindern, brachte mit 40 Jahren zur Anzeige, was er als Pfadfinder erlitten hatte. Inzwischen werfen siebzig mutmaßliche Opfer dem inzwischen seines Amtes enthobenen Priester Bernard Preynat ähnliches vor. Den Orginaltitel „Grâce à Dieu“, „Gott sei Dank“, assoziiert die französische Öffentlichkeit aber auch mit einem umstrittenen Ausspruch seines Vorgesetzten, dem Erzbischof von Lyon und Primas von Gallien, Philippe Barbarin. „Die Mehrheit der Fälle ist Gott sei Dank verjährt“, sagte dieser bei einer Pressekonferenz.
„Gelobt sei Gott“: Verklärende klerikale Sprache als entscheidendes Stilmittel
In der ersten Einstellung zeigt Ozon den von François Marthouret verkörperten Barbarin auf der Terrasse der Basilika Notre Dame de Fourvière. Würdig blickt er über Lyon, die älteste katholische Gemeinde Frankreichs. Es ist ein Bild der Zeitlosigkeit, Ausdruck einer Ewigkeit potentieller Vertuschung. Barbarin erhielt inzwischen eine Bewährungsstrafe dafür, dass er eines der Verbrechen nicht zur Anzeige brachte.
Es ist vor allem die verklärende klerikale Sprache, die Ozon zum entscheidenden Stilmittel seiner Chronik einer langwierigen Aufklärungsarbeit macht. Wäre dies ein Stück Literatur, hätte man es wohl mit einem Briefroman zu tun. Zwar erhält Alexandre auf seine Emails meist Antworten und die Kirche gibt sich, vertreten durch eine angebliche Psychologin, aufklärungswillig. Doch es bleiben Lippenbekenntnisse; dafür wird wie ein Mantra die Gnade christlicher Vergebung beschworen.
„Gelobt sei Gott“ zeigt eine Vielzahl von Einzelschicksalen
Ein Treffen mit Alexandres Peiniger wird arrangiert, natürlich in kirchlichen Räumen, was ihn noch einmal in die alte Opfer- und Untergebenenrolle rückt. Gemeinsam will man mit ihm das Vaterunser beten, doch der Satz „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ kommt ihm nicht über die Lippen. Ohne viel Aufhebens macht Ozons Film klar, dass nur auf neutralem Boden, im Licht der Öffentlichkeit, den Opfern Genugtuung verschafft werden kann.
Minutiös rekonstruiert Ozon die Aktivitäten der Opfer, die sich – organisiert durch Alexandres Seite im Internet – an die Öffentlichkeit wandten. Dies ist auch ein Film über soziale Netzwerke, der ihre Möglichkeiten zur Aufklärung zur Abwechslung in einem positiven Licht darstellt. In imponierender Ausführlichkeit taucht Ozons Film in eine Vielzahl von Einzelschicksalen ein, wobei nur momenthaft in die Vergangenheit geblendet wird. Die Gegenwart reicht aus, um sichtbar zu machen, wie sich das Erlittene in die Leben der Opfer und ihrer Familien gefressen hat.
„Gelobt sei Gott“ ist möglicherweise François Ozons bester Film
Man ahnt, welche Schwierigkeiten die Natur dieser kaum darstellbaren Verbrechen einem Filmemacher bereitet: Sexuelle Übergriffe an Kindern lassen sich im Bild bestenfalls andeuten, ganz zu schweigen von den zeitlichen Dimensionen, denn oft missbrauchen die Täter ihre Opfer über Jahre.
Nicht weniger detailgenau beleuchtet Ozon die Strukturen der katholischen Kirche, die früh von einzelnen Vergehen wusste, diesen Priester aber nie belangte. Selten hat sich Ozon in der Form so zurückgenommen – und gerade deshalb ist er bei diesem anspruchsvollen Thema über sich hinausgewachsen. Möglicherweise ist es sein bester Film.
Noch kurz vor der vergangenen Berlinale, wo er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, versuchte der Anwalt des beschuldigten Priesters vergeblich, eine Aufführung zu verhindern. François Ozon braucht keine Viertelstunde, um ihm sein verdientes Denkmal zu setzen und zugleich mitten ins schwarze Herz des Dramas hinein zu leuchten. Beim Treffen mit seinem Opfer kommt dem Geistlichen statt einer Entschuldigung nur Selbstmitleid über die Lippen: „Das ist ein Schatten, der über meinem Leben liegt. Ich musste all die Jahre damit umgehen.“
Gelobt sei Gott. F 2019. Regie: François Ozon. 137 Min.