Franz Rogowski - ein wenig speziell

Es regnet gerade Filme mit dem Schauspieler Franz Rogowski. Ein guter Grund, genauer hinzusehen.
Unser Treffen findet im Zimmer eines Hotels in Berlin-Mitte statt. Im Halbstundenrhythmus wird Franz Rogowski an diesem Tag Journalisten empfangen. Alle wollen ihn jetzt sprechen, denn er ist einer der European Shooting Stars, die das Netzwerk European Film Promotion jedes Jahr während der Berlinale auszeichnet. Und es gibt wahrscheinlich nicht viele, auf die dieser Titel so gut zutrifft, wie auf ihn. Es regnet gerade Filme mit Franz Rogowski.
Zuletzt war er als Sohn von Isabelle Huppert in Michael Hanekes Film „Happy End“ zu sehen und als gestörter junger Mann mit heftigem Sexualtrieb in „Fikkefux“. Im Berlinale-Wettbewerb laufen gleich zwei Filme, in denen er eine Hauptrolle spielt: „In den Gängen“ nach einer Novelle von Clemens Meyer und „Transit“ von Christian Petzold. Später im Jahr wird er dann noch in dem Historiendrama „Radegund“ zu sehen sein, sein Regisseur: Terrence Malick.
An diesem Morgen trägt Franz Rogowski einen roten verwaschenen Kapuzenpulli, schwarze Jeans, ein schwarzes Basecap. Als erstes schlägt er vor, dass wir uns duzen, dann nehmen wir auf dem kleinen Sofa gegenüber dem Hotelbett Platz. „Du bist jetzt sozusagen in meinem Schlafzimmer“, sagt er. Der Typ ist sympathisch. Ich erzähle ihm, dass ich ihn das erste Mal 2013 in „Love Steaks“ gesehen und ihn damals sehr besonders gefunden habe. Er spielt darin einen Masseur in einem Hotel an der Ostsee, und es war verstörend, mit welcher Hingabe er die älteren Frauen bearbeitete, die dort zur Kur waren, mit welcher wahrhaftigen Selbstverständlichkeit er der jungen Frau, in die er verliebt war, die Kotze aus dem Gesicht wischte.
Vielleicht, und das sage ich nicht, ein wenig zu speziell, als dass ich erwartet hätte, dass er groß Karriere macht. Ein Schauspieler, der lispelt und leicht näselt, was von seiner Gaumenspalte kommt, auf die er nicht gern angesprochen wird, wie ich gelesen habe, und von der nur eine feine Narbe zu sehen ist, die sich von der Lippe zur Nase zieht. Also lasse ich das Thema.
Franz Rogowski erzählt, dass es einem Zufall zu verdanken gewesen sei, dass der Regisseur von „Love Steaks“, Jakob Lass, ihn vor die Kamera geholt habe. Er sei in einem von Lass’ Filmen für die Choreografie zuständig gewesen, ein Schauspieler sei ausgefallen. Lass habe ihn danach in jedem seiner Filme besetzt. Dann war er 2015 in „Victoria“ dabei, als härtestes Mitglied der Jungsgang in dem Film von Sebastian Schipper, von da an ging es richtig los. Und immer wirkt er so irritierend sanft, auch in den harten Rollen. Und unglaublich wahrhaftig, vielleicht, weil er nicht wie ein Schauspieler wirkt.
In der Beschreibung, die seine Agentur auf ihrer Seite veröffentlicht, heißt es, Franz Rogowski könne auch Schwäbisch. Unaufgefordert liefert er eine überzeugende Kostprobe. Er ist in Tübingen aufgewachsen. Und das Italienisch, von dem bei seiner Beschreibung die Rede ist, hat er auf einer Clownsschule im Tessin gelernt, auf die er ging, nachdem er die Schule mit 16 geschmissen hatte. „Mir hat es an den beiden Kernkompetenzen gefehlt: stillsitzen und auswendig lernen“, sagt er. Gemocht habe er nur Sport, Ethik und Kunst.
Er war noch auf ein paar weiteren Tanz- und Schauspielschulen in Salzburg, Stuttgart und Berlin. Straßenmusik hat er mal gemacht und in einer Bar in Friedrichshain gearbeitet. Und dann sagt er: „Es gab verschiedene Versuche, das Leben zu formen, und am Ende hat das Leben mich geformt.“ Dabei blickt er mich mit seinen hellbraunen Augen ganz fest an, so wie er es auch in seinen Filmen manchmal macht, und man weiß nicht, ist das jetzt Ernst, ist es Ironie. Der nächste Satz: „Das ist alles auswendig gelernt“, wirkt, als habe er ihn aus Mitleid mit meiner Verblüffung nachgeschoben. Als ich sage, er habe geklungen wie der Superheld, den er in „Lux – Krieger des Lichts“ darstellt, der Essen an Obdachlose verteilt und nachts auf dem Dach über das Leben nachdenkt, freut er sich.
Ob ich finde, das sei ein philosophischer Film. Ja. Und vielleicht ist es diese Rolle, die Franz Rogowski am nächsten kommt. Denn es fallen noch mehr solcher Sätze. Beim Dreh mit Christian Petzold hätten sie in Marseille zusammen Boule gespielt, nebenan habe es einen Streit unter Männern gegeben. Er sei dazwischengegangen und habe eine Kopfnuss kassiert. Und plötzlich ist von fehlendem Gemeinsinn die Rede. „Wir sind alle so damit beschäftigt, unser Leben zu entwerfen.“ Er nicht? Doch. Aber: „Wenn wir etwas zusammen machen würden, könnten wir alles verändern.“ Was denn zum Beispiel? „Das Schulsystem. Es gibt einen Haufen Kinder, die links liegen gelassen werden.“ Franz Rogowski war wahrscheinlich mal eines von ihnen.