Filme von Aki Kaurismäki, Wes Anderson und Jessica Hausner in Cannes – Satiren in satten Farben

Aki Kaurismäki gelingt mit „Fallen Leaves“ in Cannes eine triumphale Rückkehr – weniger glücklich sind die jüngsten Leinwandsatiren von Wes Anderson und Jessica Hausner.
Scherzfrage aus Cannes: Wie viele Teile hat eine Trilogie? Fünf wie „Indiana Jones“, der nun ohne Steven Spielberg als Regisseur, aber immer noch mit Harrison Ford weiter auf Schatzsuche geht? Oder wenigstens vier wie seit Montag Aki Kaurismäkis berühmte Arbeiterklassen-Trilogie? Es passt zum trotzigen Optimismus seiner humanistischen Tragikomödien, dass bei drei dann doch nicht Schluss sein soll.
Finnlands berühmtester Regisseur hat dem minimalistischen Trio „Im Schatten des Paradieses“, „Ariel“ und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“, das ihn in den 1980er Jahren auf die Agenda des Weltkinos brachte, jetzt „Fallen Leaves“ dazugestellt. Die mehrfach verhinderte Liebesgeschichte zweier Menschen in der zweiten Lebenshälfte beglückt in jede ihrer 81 Minuten. Und das, obwohl in beider Wohnungen aus alten Radios immer wieder Kriegsmeldungen aus der Ukraine vermeldet werden.
Als hätten die Supermarktangestellte Ansa, die wegen der Mitnahme eines abgelaufenen Sandwiches ihren Job verliert, und der schlechtbezahlte, alkoholsüchtige Bauarbeiter, der sich nur mit dem Nachnamen Holappa vorstellt, nicht genug Sorgen. Allerdings reicht es, kurz am Transistorgerät zu drehen, und schon spielt es die traurigsten finnischen Schlager aus den fünfziger Jahren.
Seinen Originaltitel „Kuolleet Leedet“ hat der Film dann auch nach der finnischen Version des ursprünglich französischen Jazz-Standards „Autumn Leaves“. Sein Textautor Jacques Prévert legte als Drehbuchautor des poetischen Realismus einen der Böden, auf denen Kaurismäki wandelt. Auch in der Karaoke-Bar der finnischen Kleinstadt gibt es wenig Lustiges zu hören, dafür schon mal ein Schubertlied.
Zum ästhetischen Überschuss der in dunklen Pastellfarben gemalten Kaurismäki-Welt zählt auch ein Kino mit alten Plakaten im Schaukasten, darunter auch das eines Liebesmelodrams, bei dem sich die Geschichte großzügig bedient, David Leans „Begegnung“. Als sich die beiden geschundenen Wohlstandsverlierer vorsichtig über einer Tasse Kaffee kennenlernen, schlägt der Mann einen Kinobesuch vor. Die Frau willigt ein, wenn er den Film aussuche. Er entscheidet sich zu ihrem stillen Wohlgefallen für Jim Jarmuschs Zombie-Parodie „The Dead Don’t Die“.
Da haben sich zwei gefunden – wenn auch nur, um sich zu verlieren. Kaum hat sie ihre Nummer auf einen Zettel geschrieben, stiehlt der sich aus Holappas Hosentasche, getragen vom Herbstwind aus dem Titelsong. Das grimmige Schicksal lässt auch bei weiteren Zusammentreffen nicht locker. Und als es für Holappa wirklich etwas zu erhoffen gibt, schlägt es erst recht besonders tragisch zu.
Im Universum des von ihm selbst geschaffenen, oft kopierten lakonischen Melodrams bewegt sich Kaurismäki mit schlafwandlerischer Sicherheit. Es ist, wie wenn sich unsere Lieblingsrockband von früher mit einem neuen Album zurückmeldet – was dabei aber höchst selten geschieht: Es ist so gut wie früher.
Auch Wes Anderson hat einen Personalstil, den man auf den ersten Blick erkennt: Der Wettbewerb erlebt die Weltpremiere von „Asteroid City“. Seine wie aus Pappe ausgeschnittenen Kulissen führen diesmal, zunächst in Schwarzweiß, auf eine Theaterbühne der 50er Jahre, von wo ein Live-Fernsehspiel gesendet werden soll. Noch tippt dessen Autor fleißig in seine Schreibmaschine, was Anderson wiederum erlaubt, die erblühenden Ideen in Breitwand und Farbe auszubreiten – immer wieder unterbrochen von schwarzweißen Back-Stage-Augenblicken.
In einem Wüstendorf von Arizona treffen sich Klischees aus Hoch- und Trivialkultur, wenn Figuren wie aus einem Tennessee-Williams-Stück rund um ein Tankstellen-Motel zusammenfinden – und durch einen Alien-Besuch weiter in ihren Reiseplänen aufgehalten werden.
Die Besetzung ist dabei so prominent zusammengewürfelt, wie man es sich damals nur bei den ganz großen Ensemblefilmen leistete. Aber anstelle der Rasanz von „In 80 Tagen um die Welt“ tritt Andersons Theaterparodie genüsslich auf der Stelle. Jason Schwartzman spielt mit Fidel-Castro-Bart einen Robert Capa nachempfundenen Kriegsfotografen. Mit drei Kindern und der Asche seiner Frau ist er unterwegs zum von Tom Hanks gespielten Schwiegervater. Im Motelfenster gegenüber präsentiert sich dafür Scarlett Johansson seinem geübten Auge als Schauspielerin, die bereits am Drama probt, dessen Rohstoff wir gerade sehen. Zwischendurch gewährt sie dem Fotografen einen gestellt-intimen Augenblick. Da ihm auch noch der Außerirdische vor die Linse kommt, sollte er für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben.
Ebenso intelligent wie emotionsfrei rettet sich Andersons Film von einem Starauftritt zum nächsten, darunter Tilda Swinton, Edward Norton, Adrian Brody und Jeff Goldblum. Wer einen roten Teppich zu füllen hat, liebt Wes Anderson. Andere fühlen sich eher wie beim Durchblättern einer erlesen gedruckten Graphic Novel, deren Referenzen an gesellschaftskritische Bühnenkunst und Method-Acting so trocken wirken wie der Wüstensand. Gedreht wurde in Spanien – gerne wüsste man, was Andersons Film mit den deutschen FFA-Fördermitteln angefangen hat, der Abspann nennt Berliner Modellbau-Spezialisten.
Eine andere deutsche Koproduktion im Wettbewerb ist „Club Zero“, nach „Little Joe“ der zweite Film, den die Österreicherin Jessica Hausner in Großbritannien drehte. Australiens Weltstar Mia Wasikowska spielt eine Ernährungsspezialistin, die es an eine luxuriöse englische Privatschule geschafft hat. Dort soll sie Heranwachsenden ihre Philosophie des „bewussten Essens“ unterbreiten, die sich bald als esoterischer Fanatismus entpuppt. Mit warmen Worten stürzt sie eine Gruppe von Heranwachsenden in einen Hungerrausch.
Während „Little Joe“, Hausners dystopische Farce um eine genmanipulierte Pflanze, mit starken Bildideen zugleich wohligen Schauer verbreitet, wirkt „Club Zero“ ebenso unscheinbar wie belanglos. Der als Co-Produzent involvierte Ulrich Seidl widmete sich dem Thema Essstörungen von Jugendlichen wiederholt in seinen eigenen Filmen mehr oder weniger äußerlich – und tiefer wagt sich jetzt auch Hausner nicht in die Materie. Die Jugendlichen wirken wie Platzhalter in einer überorchestrierten Satire über Öko- und Lifestyle-Dogmatismus. Gerne hätte man das ernährungswissenschaftliche Ideal des „Weniger ist mehr“ auch für diesen Stoff empfohlen: Man hätte einen guten Kurzfilm daraus machen können.
