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Filme der Berlinale: Eine Tür ins Jenseits, ein Turm ohne Schatten

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Von: Daniel Kothenschulte

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Ein Kinderstuhl steht der Hauptfigur zur Seite in „Suzume“ von Makoto Shinkai. „Suzume“ Film Partners
Ein Kinderstuhl steht der Hauptfigur zur Seite in „Suzume“ von Makoto Shinkai. „Suzume“ Film Partners © „Suzume“ Film Partners

Letzte Berlinale-Wettbewerbsfilme aus Japan, China und Deutschland.

Noch einmal, hoffentlich zum letzten Mal, ruft sich bei einer Berlinale das Corona-Virus in Erinnerung, wo man vielen Filmen ansehen kann, dass sie während der Pandemie entstanden sind. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in Berlin gerade um sechs Prozent gestiegen, und kann doch kaum noch schrecken. Vielleicht ist die Angst ja dort angekommen, wo man sie noch am besten gebrauchen kann – in der Kunst. Wettbewerbsteilnehmer Christian Petzold sieht seine Tragikomödie „Roter Himmel“ unzweifelhaft als Produkt der Pandemie, die ihn vier Wochen ans Bett fesselte: „Ich hatte Fieberträume, die es mit dem Wettbewerb von Cannes aufnehmen konnten.“

Jugendliche, die unter der Einsamkeit der Lockdowns besonders leiden mussten, werden sich eher im japanischen Wettbewerbsbeitrag wiedererkennen. Auch wenn „Suzume“, Makoto Shinkais epischer Anime, seine direkte Inspiration im Erdbeben vor zwölf Jahren fand, findet er zugleich einen metaphorischen Ausdruck für unsichtbare Bedrohungen im Allgemeinen – und erzählt zugleich von ebenso unerkanntem, jugendlichem Heldenmut.

Die 17-jährige Titelfigur trifft auf dem Schulweg einen jungen Mann, der sich in einem Ruinengrundstück an einer Tür zu schaffen macht. Aus Neugier folgt sie ihm ins jenseitige Dahinter – und entfesselt dabei eine Bedrohung, die nur die beiden sehen können: Einen gigantischen Wurm, der sich wie ein Gespinst aus Windrosen in den Himmel bohrt und Erdbeben auslöst. So muss sie in Ordnung bringen, was sie unschuldig ins Chaos stürzte. Zur Seite steht ihr dabei ein lebendig gewordener Kinderstuhl, eine der originellsten Trickfiguren in der Geschichte des Mediums. Von großem Charisma auch ein zwiespältiges Wesen, das aus einem Stein lebendig wird – ein gleichermaßen liebenswertes wie unheimliches Kätzchen.

Unter den Nachfahren des großen Miyazaki ist sein Bewunderer Shinkai einer der großen Emotionalisten des Mediums. Der Regisseur des weltweit erfolgreichen Anime-Melodrams „Your Name“ ist seit Miyazakis Berlinale-Gewinner „Chihiros Reise ins Zauberland“ der erste japanische Trickfilmschöpfer im Berliner Hauptwettbewerb. Tatsächlich setzt sein Beitrag, der schon im April ins Kino kommt, einen absoluten Höhepunkt am Ende dieses Festivals. Keine Sekunde vergeht ungenutzt in dieser zweistündigen tour de force des Trickfilms. In der Gruppe der Publikumsfilme im Wettbewerb ist es bei weitem das größte Kunstwerk.

Umso rätselhafter ist die Aufnahme eines ästhetisch bedeutungslosen Animationsfilms aus China. Mit „Art College 1994“ kehrt der Animationsfilmer Liu Jian nach seinem Gangsterfilm „Have a Nice Day“ von 2017 zurück auf das Festival. Auch so können zwei Stunden Trickfilm vergehen – verwendet auf spärlich illustriertes Debattieren über Heroen der westlichen Moderne wie Van Gogh, Picasso und Duchamp und nostalgische Hochschul-Anekdoten. Ihr Einfluss auf die in den 80er und 90er Jahren bereits weltweit reüssierende chinesische Kunst spielt keine Rolle. Dabei bleiben die philosophischen Kunstdebatten den Studenten vorbehalten, während sich die von ihnen umworbenen Kommilitoninnen aus der Musik-Fakultät vornehmlich über Lifestyle und Eheschließungen austauschen. Die Frauenfeindlichkeit ist ebenso schwer erträglich wie die verharmlosende Behandlung der kommunistischen Zensur.

Für den künstlerischen Leiter Carlo Chatrian bezieht diese Festival-Ausgabe Stellung „für die, die darum kämpfen, ihre Gedanken frei äußern zu dürfen“. Der Wettbewerb gibt davon wenig Ausdruck. Während russische Künstlerinnen und Künstler (anders als zuletzt in Cannes) gar nicht eingeladen wurden, ist China gleich zweimal vertreten. In der Vergangenheit hat die Berlinale selten Probleme dabei gehabt, Filme aus Diktaturen wie China und Iran zu zeigen, auch wenn sie im eigenen Land strenger Zensur unterworfen sind. Das erlaubt einerseits ein breites Panorama des Weltkinos, hilft anderseits den propagandistischen Interessen von Regierungen, die im Ausland gerne als toleranter wahrgenommen werden wollen, als sie sind.

Entschieden werden sollte das wohl immer an den einzelnen Bewerbungen. Während „Art College 1994“ schon aus künstlerischen Gründen in keinen Wettbewerb gehört, hätte man den zweiten chinesischen Wettbewerbsbeitrag kaum verpassen wollen. „The Shadowless Tower“ von Zhang Lu hat sich während der letzten Tage zum Favoriten der meisten Journalistinnen und Journalisten gemausert. In jedem Fall besitzt das 144-minütige, melancholisch-heitere Beziehungsstück mit seiner universellen Ansprache das Zeug zum Klassiker – ohne sich dabei Konventionen unterzuordnen.

Ebenso wenig wie die titelgebende buddhistische Pagode aus dem 13. Jahrhundert in Pekings Xicheng-Bezirk, von der es heißt, sie werfe keinen Schatten, drängt sich nichts auf an diesem Film, der gerade dadurch zu Herzen geht. Das zeitlose, aber nicht unbedingt besonders attraktive Gebäude hat es dem Protagonisten besonders angetan, der als Restaurantkritiker und Teilzeit-Vater in der Hauptstadt lebt.

Xin Baiqing spielt mit sanftem Charisma diese so ungewöhnliche Figur. Das Lebensmodell – die kleine Tochter lebt glücklich bei seiner Schwester und ihrem Mann – wird erfrischend wenig problematisiert. Zu seinem eigenen Vater hat er seit seiner Kindheit keinen Kontakt, seit ihn die Mutter nach einer möglicherweise falschen Anklage aus dem Haus geworfen hatte. Nun, nach ihrem Tod, sucht er den Kontakt und lernt einen ungebrochenen Menschen kennen.

Auch wenn es keine politische Anklage war, die seinen Vater zum Ausgestoßenen gemacht hat, sondern eine angebliche Belästigung in einem Bus, ist er doch ein Opfer des politischen Systems. Es gibt sentimentale Referenzen an vergangene Zeiten, die im Leben des Mannes und einer neuen, liebenswerten Bekannten eine Rolle spielen: Heimatlieder über Peking oder auch einmal ein Mao-Zitat. „Es ist einfach, Gutes zu tun, aber es ist schwer, ein Leben lang Gutes zu tun.“ Eine verschachtelte Dramaturgie kommt dabei so kunstvoll und makellos daher wie eine alte Elfenbeinschnitzerei.

Es ist einfach, einige gute Filme im Wettbewerb zu finden – aber scheinbar unmöglich, sie in einem ganzen Wettbewerb zu haben. Als letzter Beitrag – und fünfter deutscher – komplettierte Christoph Hochhäuslers Neo-Noir-Film „Bis ans Ende der Nacht“ vor der Preisverleihung am Samstag das Programm. Bis zuletzt hatte der Berliner daran gearbeitet, und vielleicht sollte man noch etwas abwarten, ob er auch wirklich fertig ist. Die ungewöhnliche Beziehungsgeschichte zwischen einer ehemaligen Straftäterin auf Bewährung, die zuvor ein Mann war, und einem Ermittler hat eine exzellente Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider auf ihrer Haben-Seite. Sie und ein Chanson- und Schlager-Soundtrack zwischen Zarah Leander, Hildegard Knef und Howard Carpendale schaffen eine Verbindung zwischen emotional nie ganz stimmigen Konstellationen. Deutlich von Fassbinder beeinflusst, ist es ein Film, der große Gefühle beschwört, ohne sie doch wirklich zu treffen; unverbindlich wie das immer gleiche Lächeln, das Hauptdarstellerin Thea Ehre – fraglos beeindruckend – so großzügig an ihren Verehrer verschenkt. Kälter als der Tod ist dieser merkwürdige Liebeskrimi zwar nicht, aber er vermag auch nur zu streifen, was er gern berühren würde. Dazu passt es, dass die Schlagerplatten, die in den Szenen laufen, so merkwürdig sauber klingen, als habe man sie noch eilig hineingemischt.

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