1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

„Feinde“ in der ARD: Folter als letztes Mittel – Finden Sie das ungerecht?

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Sylvia Staude

Kommentare

Der Kommissar darf gehen.
Der Kommissar darf gehen. © ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan R

„Feinde“, ein zweiteiliger Film von Ferdinand von Schirach, greift das Thema Folter auf. Der Fall dürfte nicht nur Frankfurter Zuschauer:innen bekannt vorkommen.

Der Strafverteidiger und Autor Ferdinand von Schirach hat sich nach „Terror“ und „Gott“ ein weiteres Mal ans ethische und juristische Reißbrett gesetzt. Die ARD hat die Varianten des Stoffes – es geht um „verschärfte Vernehmungsmethoden“, also Folter – plus eine halbstündige Doku am Sonntag zur Tatort-Zeit kompliziert programmiert. Im Ersten ist um 20.15 Uhr „Feinde – Gegen die Zeit“ zu sehen, die Sicht des Ermittlers; in allen Dritten um 20.15 Uhr „Feinde – Das Geständnis“, die Sicht des Verteidigers. Dazwischen folgt (aber nicht in sämtlichen Dritten) jeweils die Doku. Danach, quasi überkreuz, der je andere 90-minütige Spielfilm. Ausschließlich für die Mediathek, für „andere Sehgewohnheiten“, wie es heißt, gibt es eine 45-minütige „Feinde“-Fassung. Geht also offenbar, interessant.

Folter im Rechtsstaat: „Feinde“ (ARD) greift realen Fall auf

Ohnehin sind in den zwei Langfilmen die Anfangsminuten – das Familienfrühstück, dann die Entführung der Zwölfjährigen – sowie der „Prozess“ überschriebene, lange Schlussteil, das Argumente-Duell zwischen Polizist und Verteidiger vor Gericht, so gut wie identisch. So dass es eher eine Fleißaufgabe ist, sich beides plus die recht magere „Doku“ anzusehen, für die man unter anderem zu einer Voraufführung eingeladene Polizisten, Juristen und Juristinnen sowie Eltern hat abstimmen lassen, ob sie das Urteil „gerecht“ finden. Die ARD jubelt trotzdem, hier werde „das lineare Fernsehen“ neu erdacht.

Der reale Fall, der hinter Ferdinand von Schirachs Idee und Konstruktion für die ARD steht, wird nicht nur Frankfurter Zuschauerinnen und Zuschauern bekannt vorkommen: Die Entführung und Ermordung des elfjährigen Jakob von Metzler durch Magnus Gäfgen im Jahr 2002; vor allem aber die Androhung von Folter durch den damaligen Polizeivizepräsidenten. Der Junge war zu dem Zeitpunkt bereits tot.

In „Feinde“ (ARD) greift Kommissar bei dem mutmaßlichen Täter zu Folter

In „Feinde“ (ARD) ist es der von Bjarne Mädel gespielte Kommissar Nadler, der dem Mann, den er für den Täter hält (Beweise hat er nicht), Schmerzen nicht nur androht, sondern tatsächlich frühmorgens in der Haftanstalt zum Waterboarding, also zur Folter, schreitet. Sein Gegenspieler (und ohne jeden Zweifel der Vertreter Schirachs in diesem Recht-und-Gerechtigkeit-Showdown) ist Klaus Maria Brandauer als Strafverteidiger Konrad Biegler.

Wenn man sich die Frage, ob Folter jemals legitim sein kann, Ja oder Nein, auf einer Waage vorstellt, so haben Schirach und Regisseur Nils Willbrandt (mit Jan Ehlert und Schirach auch Buch) auf der Seite des Nein einiges mehr an Gewicht hinzugefügt.

Vor allem ist ihr Entführer, in „Feinde“ (ARD) gespielt von Franz Hartwig, kein Magnus Gäfgen: Man sieht, dass er im Versteck alles für das Wohlbefinden der Zwölfjährigen getan hat, Matratze, Zudecke, Plüschtier, Computerspiel, Essen, Trinken sind vorbereitet, es gibt einen Ofen und Kohlebriketts. Eines wirft das Mädchen auch gleich nach, es ist Winter. Unglücklicherweise draußen auch windig, so dass ein Stück Plastikplane sich über das Ofenrohr legt und es verschließt. Ein Vorgang, der sehr demonstrativ gezeigt wird.

Folter erlaubt? Intuition sagt Kommissar in „Feinde“ (ARD), dass der Mann der Täter ist

Aber Kommissar Nadler fürchtet in „Feinde“ in der ARD, Lisa könne irgendwo draußen eingesperrt sein und erfrieren. Außerdem hat er selbst eine Tochter in dem Alter. Darüber hinaus sagt ihm seine „Intuition“, dass der junge Mann schuldig und „ein durch und durch verkommener Mensch“ ist. Oha.

Zum Nachschauen

„Feinde – Gegen die Zeit“ und „Feinde – Das Geständnis“ sowie die 30-minütige Dokumentation können in der ARD-Mediathek abgerufen werden.

„Ihre Intuition?“ fragt also Biegler und da Brandauer ein so guter Schauspieler ist, hört man die hochgezogenen Augenbrauen mit. Vor Gericht wird er den Kommissar, der wegen eines Bauchgefühls folterte, argumentatorisch schnell schachmatt setzen. Durchaus folgt man seinen Zügen mit Interesse, auch wenn der Ausgang berechenbar (und in beiden Filmen derselbe) ist.

So dass es eher keine Frage ist, ob nicht ein 90-Minüter vollauf genügt hätte. „Feinde – Gegen die Zeit“ (ARD) ist zu zwei Dritteln ein konventioneller Krimi über einen Kommissar, der sich nicht ans Recht hält. „Feinde – Das Geständnis“ hat darum sichtlich Mühe, die Geschichte abendfüllend aus dem Blickwinkel des Juristen zu erzählen.

Folter im Rechtsstaat erlauben? „Feinde“ in der ARD liefert Meinung aus der Bevölkerung

Man sieht also Biegler, wie er zum Arzt geht, Samuel Finzi (beide Filme sind exzellent besetzt) ihm ins Gewissen redet, er müsse gesünder leben („deine Arterien sind völlig verkalkt“), er solle sich mehr bewegen, zum Beispiel mit dem Rad fahren. Man sieht, wie Biegler sich allerdings im Auto und sogar im Gespräch mit seinem Mandanten eine Zigarette nach der anderen anzündet.

Danach enthüllt die Dokumentation in der ARD, dass Schirachs Überzeugung – unter keinen Umständen darf der Rechtsstaat Folter erlauben, jemand, der unter Folter gestanden hat, muss darum freigesprochen werden – trotz einiger sanfter Einflussnahme bei allen Befragten nur 46 Prozent Unterstützung findet. Unter Polizisten sogar noch ein bisschen weniger. (Sylvia Staude)

Erst vor wenigen Wochen wurde nach dem 90-Minütigen Film „Gott“ in der ARD den Zuschauern eine Moralfrage gestellt. Auch hier hatte Ferdinand von Schirach seine Finger im Spiel.

Auch interessant

Kommentare