„Der Fall Collini“ (ARD): Franco Nero und Elyas M‘Barek können den Krimi nicht retten

Die Kinoadaption von Ferdinand von Schirachs Roman „Der Fall Collini“ gerät zum schwachen Abklatsch US-amerikanischer Justizkrimis.
Frankfurt - Der junge Anwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) praktiziert im Berliner Kiez in einem Eckladen mit Graffitifassade. Nach Feierabend drischt er auf den Sandsack ein. Ein Jurist, der von unten kommt, der sich, so suggerieren die symbolischen Bilder, durchgeboxt hat. Viele Mandanten scheint er nicht zu haben und ist wohl nicht unfroh darüber, dass ihm seitens des Gerichts eine Pflichtverteidigung übertragen wird.
Sein Klient ist der seit dreißig Jahren in Deutschland lebende gebürtige Italiener Fabrizio Collini (Franco Nero). An seiner Tat gibt es keinen Zweifel, die Zuschauer waren Augenzeugen: Collini hatte sich als angeblicher Journalist bei dem hochbetagten Industriellen Jean-Baptiste – alias Hans – Meyer (Manfred Zapatka) avisiert und war von diesem in einer Hotelsuite für ein Interview empfangen worden. Collini gab drei Schüsse auf den Greis ab und zertrat obendrein dessen Gesicht. Dann wartete er stoisch auf das Eintreffen der Polizei. Ein Verbrechen mit Vorsatz und erkennbarem Hass. Dem Verteidiger bleibt nicht viel mehr, als ein niedriges Strafmaß auszuhandeln.
„Der Fall Collini“ in der ARD: Verfilmung nach Ferdinand von Schirach
Aber Collini macht es Leinen denkbar schwer, schweigt, stiert nur verstockt vor sich hin. Einer von Leinens früheren Professoren, der Star-Anwalt Richard Mattinger (Heiner Lauterbach), vertritt als Nebenkläger die Gegenseite. Er empfiehlt seinem früheren Studenten, Collini zu einem Geständnis zu überreden. Im Gegenzug könne er den Staatsanwalt (Rainer Bock) bewegen, die Anklage von Mord auf Totschlag zu reduzieren.
Staatsanwalt und Nebenkläger sind offensichtlich im Bunde. Womöglich war bereits die Vergabe des Mandats an den unerfahrenen Strafverteidiger Leinen Bestandteil einer konzertierten Intrige.
Rolle | Darsteller:in |
Caspar Leinen\t | Elyas M'Barek |
Johanna | Alexandra Maria Lara |
Richard Mattinger\t | Heiner Lauterbach |
Hans Meyer\t | Manfred Zapatka |
Hans Meyer (jung)\t | Jannis Niewöhner |
Oberstaatsanwalt Reimers\t | Rainer Bock |
Vorsitzende Richterin\t | Catrin Striebeck |
Nina | Pia Stutzenstein |
Bernhard Leinen\t | Peter Prager |
Fabrizio Collini\t | Franco Nero |
„Der Fall Collini“ (ARD): Historische Verbrechen
„Der Fall Collini“ (ARD) basiert auf dem gleichnamigen Roman des Juristen und Schriftstellers Ferdinand von Schirach. Schirach erinnert darin an ein umstrittenes Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte. 1968 wurde das weitreichende „Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ verabschiedet, das die Neuordnung von Bagatelldelikten und Entlastung der Gerichte zum Zweck hatte, zugleich aber die vorzeitige Verjährung von NS-Verbrechen bewirkte. Für die einen eine Panne im Gesetzgebungsprozess, für andere ein geschickt geplantes Vorhaben. Eine beachtliche Personalie: An der Ausarbeitung des Gesetzes war mit Eduard Dreher ein früherer NS-Staatsanwalt beteiligt.
Schirachs komplexe Vorlage wurde vom Autorenteam Christian Zübert, Robert Gold, Jens-Frederik Otto für die Kinoadaption durch Regisseur Marco Kreuzpaintner immens vereinfacht, das Personal reduziert. Auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Der Mord an einem namhaften Industriellen wie Jean-Baptiste Meyer in der deutschen Hauptstadt würde in der Realität Schlagzeilen machen, TV-Nachrichten und das Tagesgespräch beherrschen. Trotzdem erkennt Anwalt Leinen erst mit Verspätung, um wen es sich bei dem Opfer handelt. Erst recht erstaunlich, weil Meyer für Leinen eine Art Pflegevater war. Er hatte Caspar das Studium ermöglicht, der Nachwuchsjurist fährt noch immer den Oldtimer, den der Autonarr Meyer ihm zum bestandenen Abitur geschenkt hatte.
Mit Meyers Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara) hatte Caspar in jungen Jahren eine Affäre, die wieder auflebt, nachdem Johanna zum Prozess aus London anreist. Völlig abwegig also, dass Caspar Leinen ausgerechnet der gewaltsame Tod seines Mentors entgangen sein soll.
„Fall Collini“ (ARD): Plumper Handlungsdreh
Aus einem Romanstoff mit historischen und ethischen Implikationen wurde unter Missachtung der deutschen Prozessordnung ein Justizkrimi US-amerikanischer Prägung. Das Modell ist nicht nur aus Verfilmungen von John-Grisham-Romanen bekannt: Frischlinge treten gegen abgebrühte Koryphäen an, unerfahrene Berufseinsteiger behaupten sich trotz ihrer Unerfahrenheit durch Mut und Cleverness gegen übermächtige Gegner und ein verschworenes System. David gegen Goliath.
Dem „Fall Collini“ fehlt es dabei an der Finesse, die bessere Justizkrimis auszeichnet. Beispielsweise wundert sich Caspar Leinen über die seltene und schwer zu beschaffende Tatwaffe, dann fällt ihm aus heiterem Himmel ein, dass auch sein Ziehvater Meyer über ein solches Modell verfügte. Dieser Dreh in der Handlung gerät so plump, dass er einem Illusionsbruch gleichkommt. Selbst in deutschen Anwaltsserien wie „Liebling Kreuzberg“, „Edel & Starck“ und „Danni Lowinski“ hat es solider gebaute Plots gegeben.
Zur Sendung
„Der Fall Collini“, Montag, 2.8., 20:15 Uhr, ARD (Wiederholung um 2:45 Uhr)
Im „Fall Collini“ (ARD) wird das Urteil dem Publikum überlassen
So wird die Möglichkeit verschenkt, über die detektivische Feinarbeit Spannung zu generieren. Stattdessen bedienen sich die Beteiligten der einfachsten dramaturgischen Tricks. Sie enthalten dem Publikum entscheidende Informationen vor, lassen zum Finale Überraschungszeugen auftreten. Ein ums andere Mal bleibt die Logik auf der Strecke, beginnend schon damit, dass Collini hartnäckig schweigt, obwohl es ihm doch ein Anliegen sein müsste, die Schuld Meyers und das Versagen der deutschen Rechtssprechung öffentlich zu machen. Das Interesse der Öffentlichkeit wäre ihm gewiss.
Gegenüber dem Roman übrigens wurden die in Rückblenden gezeigten deutschen Kriegsverbrechen abgemildert, Vergewaltigung und Brandschatzung gestrichen. Im Finale bleiben die Drehbuchautoren der Vorlage treu. Das Urteil wird nicht im Gerichtssaal gefällt, sondern dem Publikum überlassen. Der auch inszenatorisch nicht immer überzeugende Film aber stellt dafür nicht die nötigen Voraussetzungen bereit, weil eine läppische Erzählroutine und vordergründige Mache den Blick auf die rechtlichen Grundlagen und moralischen Fragen verstellen und verzerren. (Harald Keller)