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„Electric Girl“: Superheldinnen im Nachtprogramm - Zeugnis der Mutlosigkeit der ARD

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Von: Jendrik Walendy

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Mia (Victoria Schulz), das Electric Girl.
Mia (Victoria Schulz), das Electric Girl. © WDR/NiKo Film

Ziska Riemann gelingt bei ihrem Debüt „Electric Girl“ ein Gleichgewicht zwischen Superheldinnen-Komödie und Psychogramm.

Eine Party in einem hippen Loft, irgendwo in Hamburg. Musik füllt den Raum, Menschen stehen zusammen, reden, tanzen. Mia (Victoria Schulz) zieht ihre Begleitung durch die Menge, grüßt Bekannte, stellt Jakob (Björn von der Wellen), den Sie hierhergebracht hat, ihrer Freundin Lissy (Svenja Jung) vor. Es folgt Geplänkel, wer wen woher kennt, Gesprächsfetzen über Alltägliches. Doch Mia kann sich in die Situation nicht einfinden, beobachtet das Geschehen wie ein Außenstehende. Sie ist ruhelos, hat eine andere Wahrnehmung der Umwelt und tritt schließlich unbemerkt von den Umstehenden auf eine Brüstung. Ein kurzes Zögern noch und sie springt in die Tiefe.

Jakob und Lissy sehen den Sprung im letzten Moment und stürzen auf den Abgrund zu. Doch Mia ist nicht gestürzt, sondern steht auf der Feuerleiter des Nebengebäudes. Wie sie dorthin gekommen ist, lässt Ziska Riemanns Film Electric Girl so offen, wie viele Fragen, die sich dem Zuschauer stellen. Kommt Mia, die als Synchronsprecherin unter der Regie von Jakob die Rolle der japanischen Superheldin Kimiko übernimmt, durch einen Stromschlag selbst zu übernatürlichen Fähigkeiten? Ist es die Trauer um ihren todkranken Vater, die sie nach einer alternativen Realität suchen lässt? Oder steigert sie sich in eine Illusion hinein, um der Banalität des Alltags zu entkommen?

„Electric Girl“ (ARD): Überraschende Szenen und Wendungen

Geschickt hält der Film alle Deutungen im Gleichgewicht und entwickelt mit Mia eine Figur, die weniger zur Identifikation zwingt, als dass sie den Zuschauer mit ihrer Energie durch den Film reißt. Dabei schaffen es das Autorenteam um die Regisseurin und die Ko-Autorinnen Dagmar Gabler, Angela Christlieb und Luci van Org einerseits einen klaren Handlungsbogen zu schaffen: Mia kämpft wie ihr Vorbild Kimiko für die Rettung ihrer Heimatstadt vor (imaginären) Ungeheuern. Andererseits strukturieren sie den Film durch oft überraschende Szenen und Wendungen, in denen Mia stets dem Publikum vorauseilt, ohne es jedoch zu verlieren. Ihre Unberechenbarkeit wird zum Motor einer gebrochenen Superheldenerzählung, die den Film von den schematischen Narrativen ihrer amerikanischen Pendants abhebt.

Zum Film

„Electric Girl“. 82:29 Minuten. Am Mittwoch, 06.07.21, um 01:30 Uhr in der ARD.

Bis 07.07.2021 in der Mediathek verfügbar.

Mit Victoria Schulz in der Hauptrolle stellt Electric Girl zudem eine Schauspielerin ins Zentrum, die noch nicht in den Rollenklischees deutscher Schauspielkarrieren erstarrt ist und die den Mut hat, ihrer Figur auch Seiten zu verleihen, die nicht nur ihre Umwelt, sondern auch das Publikum vor den Kopf stoßen kann.

„Electric Girl“ (ARD): Elektrizität als Ungeheuer aus Kimikos Welt

Als Jakob Mia seinen Freunden vorstellt, deren Unterhaltungen um die neusten Apps und Cloud-Anwendungen kreisen, konfrontiert die Protagonistin die Runde mit deren Fixierung auf alles Technische. Während Mia in der Elektrizität die Ungeheuer aus Kimikos Welt aufscheinen sieht, wird hier auch Kritik an einer Gesellschaft angedeutet, die zunehmend an ihre technischen Geräte gebunden ist und in deren Gesprächen sich Belanglosigkeiten einrichten, während es für Mia um existenzielle Fragen geht. Schulz versteht es zudem, in ihrem Spiel den schmalen Grat darzustellen, auf dem Mia zwischen ihrer neu gefundenen Bestimmung als Superheldin und dem Abdriften in einen gefährlichen Größenwahn balanciert.

Electric Girl gelingt es, ein Gleichgewicht zwischen Superheldinnen-Komödie und Psychogramm zu inszenieren, in seinem Witz eine Alternative zum oftmals platten Humor im deutschen Film aufzuzeigen und seine Figuren ernst zu nehmen, ohne sich vor deren Widersprüchen zu fürchten. Dass so ein Film von der ARD ins späte Nachtprogramm geschoben wird, ist ein Zeugnis der Mutlosigkeit der Programmverantwortlichen. (Jendrik Walendy)

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