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Dresden-Tatort „Unsichtbar“: O Schreck, o Graus

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Von: Judith von Sternburg

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Gorniak, Karin Hanczewski, mit einem der Laborleute, Christian Friedel.
Gorniak, Karin Hanczewski, mit einem der Laborleute, Christian Friedel. © MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Der Dresden-Tatort „Unsichtbar“ versucht es mit einer Schauerthrillervariante, kommt aber psychologisch überhaupt nicht hinterher.

Haben wir nicht schon in der Grundschule beigebracht bekommen, uns nicht zu fremden Leuten ins Auto zu setzen? Nachdem es zunächst so aussieht, als wollte das Tatort-Team diesmal dem Wahnsinn der Welt mit so viel Vernunft begegnen, wie im Stress des Alltags möglich ist, gleitet das Geschehen dann doch in gewohnte Bahnen.

Die kluge Polizistin, die in der Schule offenbar trotzdem nicht aufgepasst hat, lässt sich überrumpeln und gerät in schaurige Lebensgefahr, die Hände eines Menschen, der völlig die Übersicht verloren hat. Dabei verfügt dieser Mensch offenbar über bemerkenswerte Talente, die irrwitzig komplizierte Verbrechen ermöglichen. Die Motivation für das Ganze, über die an dieser Stelle leider kein Wort gesagt werden kann – dabei wäre dazu eine Menge zu sagen –, wird nicht in die Annalen der großen Kriminaltatmotivationen eingehen.

Dresden-Tatort am Sonntag: Gemeinsamkeiten zwischen Opfer und Kommissarin

Was Michael Comtesse (Buch) und Sebastian Marka (Regie) aber für ihren Beitrag zur ARD-Krimireihe versuchen, ist immerhin ein großer Schauerthriller. Die beste Phase ist die, in der man total ahnungslos ist. Eine junge Frau stirbt an einem Herzstillstand, der nicht ganz so sehr aus heiterem Himmel kam, wie im ersten Moment gedacht. Nicht nur ist sie gestalkt und massiv bedroht worden, sie hatte auch eine unerklärliche Schmerzsymptomatik, die absolut verblüffenderweise auch bei Ermittlerin Gorniak auftritt.

Es ist verheißungsvoll, wie Karin Hanczewski das spielt: die Erkenntnis, das Staunen über den rätselhaften Zusammenhang, wie sie zudem im Verein mit dem Drehbuch zunächst den Versuch macht, ein paar klassische Tatort-Verwicklungen glatt zu überspringen und erstens zum Arzt geht, zweitens die Kollegin Winkler, Cornelia Gröschel, einweiht und drittens unverzüglich nach Gemeinsamkeiten zwischen sich und der Toten sucht.

Tatort aus Dresden am Sonntag: Der Weg führt in Abgründe und Wissenschaftsklischees

Gleichwohl gerät die Handlung außer Rand und Band. Ein Labsal und sogar ein Grund, sich trotzdem auf diesen Humbug einzulassen, ist Martin Brambach als geerdeter und minimalistisch aufgeregter Chef Schnabel. Das mehrteilige Gefecht mit dem gescheiten Gerichtsmediziner, Ron Helbig, der nicht einmal einen Rollennamen bekommt, ist so gelungen, dass man sich jeweils eine häufigere Dresden-Tatort-Taktung wünscht. Dann aber wieder nicht mehr.

Denn der Weg führt nun in Abgründe, in denen ein Mensch sich titelgebend unsichtbar fühlt. Während er übrigens über die Maßen sichtbar ist. Außerdem führt der Weg in ein Labor, in dem zwei Schauspieler und eine Schauspielerin genussvoll Klischees über die Welt der Forschung vermitteln: der smarte, überspannte Chef, das melancholische Glubschauge, die kühle Überfliegerin, in dieser Reihenfolge Matthias Lier, Christian Friedel, Anna Maria Mühe. Alle tragen mordsmäßige Schutzbrillen.

Modern und doch archaisch: Stärken und Schwächen im Dresden-Tatort

Bevor man begreift, worauf es hinausläuft, ist man trotzdem gepackt. Es ist auch nicht die Tatwaffe, die stört. Im Gegenteil verbindet sie clever ein Hightech, bei dem unsereiner nicht mehr so ohne Weiteres behaupten kann, nichts davon zu glauben, mit archaischen Medea-Methoden (damit ist nicht das Servieren von gekochten Kindern gemeint, sondern das andere). Was in „Unsichtbar“ nicht mitkommt, ist die Psychologie, die auf Inspector-Barnaby-Niveau steckengeblieben ist.

Auf der Grundschule haben wir zwar gelernt, nicht zu fremden Leuten ins Auto zu steigen – niemals, unter keinen Umständen –, aber der „Wutraum“ wurde erst weit später erfunden. Hier kann man Dinge kurz und klein schlagen. Interessant. Ein schöner Moment, wie Gorniaks fürchterlich pubertärer Sohn, Alessandro Schuster, zu seiner Mutter sagt: Hier sei sie also immer gewesen, wenn sie gesagt habe, sie gehe zum Yoga, echt? Vermutlich ist es so, dass sich die Nutzung eines Wutraums den einen Menschen sofort und auf der Stelle erschließt. Die anderen müssen denken, die spinnen. (Judith von Sternburg)

„Tatort: Unsichtbar“, ARD, So., 20.15 Uhr.

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