Douglas Sirk: Was der Himmel erlaubt

Solange es Filme gibt: Lernen von Douglas Sirk bei der Festival-Retrospektive in Locarno.
Als Rainer Werner Fassbinder sechs Filme von Douglas Sirk – ehemals Detlef Sierck – gesehen hatte, stellte er fest: „Es waren die schönsten der Welt dabei“. Kurzentschlossen pilgerte er an den Alterssitz des großen Regisseurs im Schweizerischen Lugano. Das können wir nun auch tun. Im nahen Locarno feiert das größte Schweizer Filmfestival – aus Anlass des 125. Geburtstags Sirks – sein Gesamtwerk. Und wenn es fast scheint, als seien nicht nur die Filme lebendig geblieben, dann weil er sich selbst großzügig interviewen ließ. Die wichtigsten Interviewfilme schufen zwei Filmemacher, die ihn bewunderten: Eckhart Schmidt („Nach Hollywood – Douglas Sirk erzählt“) und Daniel Schmid („Mirage de la vie“).
Diese unschätzbaren Einblicke in die Kunst des politischen Ästheten des Melodrams, lassen uns Fassbinders Eindrücke nacherleben: „Er war halt ganz anders, als ich mir bis dahin einen Hollywood-Regisseur vorgestellt hatte, er war so, wie ich es gewünscht habe. Ich wollte gerne, dass jemand, der Hollywood-Filme macht, nicht unbedingt nur Micky-Maus-Hefte liest und Kaugummi kaut, sondern dass man mit dem auch über Arnold Bronnen und Brecht sprechen kann. Sirk hat es geschafft, die Bedürfnisse des Systems zu erfüllen und trotzdem persönliche Filme zu machen. Nachdem ich zehn Filme gemacht hatte, die sehr persönlich waren, kam der Punkt, wo wir gesagt haben, wir müssen eine Möglichkeit finden, Filme fürs Publikum zu machen – und da kam für mich die Begegnung mit den Filmen und dem Douglas Sirk persönlich. Das war unheimlich wichtig für mich.“
Unter den deutschen Filmimmigranten im klassischen Hollywood war Douglas Sirk wohl der einzige, dem Amerika wirklich etwas bedeutete. Immer wieder kam er auf seine frühe Bewunderung für die amerikanische Literatur zu sprechen. Und obwohl er selbst nur einen einzigen Western (den 3D-Film „Taza, der Sohn des Cochise“) gedreht hatte, verglich er das Genre ohne Herablassung mit den epischen Qualitäten der Ilias. Entsprechend schockierte ihn die Verachtung, die er im Exil bei deutschen Kollegen für die Kultur spürte, die sie so großzügig empfangen hatte.
„Immer wieder darüber zu reden, wie unkultiviert, ungebildet, wie schrecklich und hässlich Amerika sei – und sie sahen nichts, überhaupt nichts“, klagte er 1978 dem US-Kritiker James Harvey. „Oh, aber hier kennt doch keiner Dante, sagten sie dann. Das hört man oft von Leuten, die selber nie Dante gelesen haben, und das hatten sie nicht. Nein, nein, bald blieb ich weg. Ich musste mich fernhalten von ihrer Attitüde.“
Etwas allerdings trennte ihn von seinen amerikanischen Freunden: Deren unerschütterlicher Optimismus. Seine anhaltende Beschäftigung mit der amerikanischen Mittelschicht war geprägt vom Erleben der Nazi-Diktatur, deren Nährboden er im Kleinbürgertum ausgemacht hatte. Seine späten Meisterwerke wie „Was der Himmel erlaubt“, „In den Wind geschrieben“ und der krönende Abschluss seiner Melodramen für Universal, „Solange es Menschen gibt“ handelten von der Doppelmoral aufstrebender Gesellschaftsschichten. Sein wichtigstes Requisit war dabei der Spiegel, den er in den meisten Filmkulissen unterbrachte. Dass sich das amerikanische Publikum genau diesen von ihm vorhalten ließ, lag wiederum an Sirks positivem Menschenbild. Er liebte seine gebrochenen Heldinnen und Helden, später war er sogar überzeugt, keine Heiligen als Hauptfiguren verwendet zu haben.
Dagegen ließe sich vielleicht „Schlussakkord“ anführen, sein vierter Ufa-Film von 1936. Eine junge Frau emigriert darin nach New York, weil ihr Mann vor dem Gesetz fliehen muss. Sie gibt ihr Kind zur Adoption frei und sucht später, zurück in Deutschland, den Kontakt als Kinderfrau. In diesem meisterhaften Melodram ist der Sirk-Stil schon komplett: Leichthändige Kamerafahrten, vom Expressionismus geprägte Lichtinszenierungen und ein stets offenes Auge für das Soziale. Schon seine ersten Filme bezeugen eine besondere Kenntnis des amerikanischen Films. Sein Debüt, „April, April“ (1935) – eine seiner wenigen Komödien – erinnert deutlich an George Cukors zwei Jahre zuvor entstandene sophisticated comedy „Dinner at Eight“.
Entdecker Zarah Leanders
Als er mit seiner jüdischen Frau, der Schauspielerin Hilde Jary, in der Weihnachtsnacht aus Deutschland floh, hatte er der Ufa einen Schatz zurückgelassen: Die Schwedin Zarah Leander war unter Sirks Regie zum größten weiblichen Star des deutschen Films aufgestiegen. Es muss ein Spiel mit dem Feuer gewesen sein – ein derart unorthodoxes Rollenbild in derart kosmopolitischen Filmen ist einzigartig im NS-Kino.
Das gilt auch für seine frühe Lagerlöf-Verfilmung „Das Mädchen von Moorhof“. Häufig als Heimatfilm verkannt, ist es ein bäuerliches Sozialdrama von der visuellen Kraft des Weimarer Kinos. Seit den frühen Stummfilmtagen hatte sich das Melodram zum wichtigsten dramaturgischen Muster entwickelt – auch wenn man es auf den ersten Blick mit Liebesfilmen, Western, Kriminalfilmen oder sogar Chaplin-Komödien zu tun hatte. Obwohl Sirk keine Stummfilme drehte, verstand er deren Bildsprache so gut, dass sein Werk das der Pioniere des Melodrams – Frank Borzage und John M. Stahl (dessen Stoffe er mehrfach neu verfilmte) weiterschrieb.
Bei Sirk trafen ein unkorrumpierbarer Humanismus und ein Blick für das Soziale auf ein analytisches Verständnis für die populären Kino-Genres. Das Wiedersehen mit seinem Werk bringt sie augenblicklich zurück, diese Faszination der ersten Begegnung mit dem Idol der Nouvelle Vague.