1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

Dokumentarfilm „Miyama Kyoto Prefecture“: Erzählungen unter dem Regenmond

Erstellt:

Von: Daniel Kothenschulte

Kommentare

In der Grundschule in Miyama. Rainer Komers
In der Grundschule in Miyama. © Rainer Komers

Warum ist das ländliche Japan ein solcher Sehnsuchtsort? Der Dokumentarfilmer Rainer Komers vermittelt eine Ahnung: „Miyama Kyoto Prefecture“.

Wahrscheinlich weiß man in Japan gar nicht, was für einen Sehnsuchtsort man da eigentlich bewohnt. Deutsche Jugendliche pilgern zu Tausenden in die Heimat des so beliebten Anime und finden dort eine wohlvertraute Fremdheit. Denn das konnten die Japaner:innen schon immer: Filme machen, durch die man eine für den westlichen Blick oft rätselhafte Kultur so gut zu kennen glaubt, dass es einen magisch anzieht. Obwohl ihre großen Regisseur:innen dabei nie ein westliches Publikum im Blick hatten. Nicht Ozu, nicht Mizogushi oder Naruse, nicht einmal Shakespeare-Fan Kurosawa. Dabei sind es weniger die Kinobilder der Metropole Tokio, die diese Sehnsucht wecken, als die aus der Provinz. Das gilt auch für den Anime. Selbst wenn sie von der Postapokalypse erzählen, finden ihre Schöpfer:innen immer Zeit für liebevolle Aquarellhintergünde von einsamen Bushaltestellen.

Rainer Komers, der Lyriker des topographischen Dokumentarfilms, nennt seine Filme gern nach den Orten, an denen sie spielen. „Erinnerungen an Rheinhausen“, „Kobe“ oder „Milltown, Montana“. Aber schon sein letzter Kinofilm „Barstow, California“ war weniger das Porträt eines Ortes als das eines Menschen, des lebenslänglich inhaftierten Dichters „Spoon“ Jackson.

Auch „Miyama, Kyoto Prefecture“ handelt vor allem von den Bewohner:innen dieser kleinen ländlichen Stadt. Auf dem Filmplakat zeigt Komers, der stets sein eigener Kameramann ist, freilich noch nichts davon. Eine Holzbrücke führt in das tiefe Grün der bewaldeten Berggegend. Eine Einladung ins Unbekannte. Tatsächlich sind Grün und Grau die vorherrschenden Farben des Films, die meisten Aufnahmen entstanden während der Regenzeit. Japanische Filmemacher:innen bis hin zu Hayao Miyazaki lieben den Regen, der sich im Kino so gemütlich beobachten lässt und sofort eine Verbindung schafft zu den Menschen, die im Trockenen zusammenfinden.

Die Leute, die hier ein ganz normales Leben führen, verstehen sich wie selbstverständlich als Teil der Natur. Zentraler Protagonist ist ausgerechnet ein Deutscher, Uwe Walter, der seit drei Jahrzehnten mit seiner japanischen Frau in Miyama lebt. Ihr Haus hat er mit eigenen Händen und dem Holz der Gegend selbst gebaut, und auch ihren Reis bauen die beiden selbst an. Wie Komers stammt er aus dem Ruhrgebiet, was etwas mehr als vielleicht dramaturgisch nötig durch den typischen lakonischen Humor bewiesen wird.

Der ewige Fremde im Dorf ist zugleich ihr personifiziertes Kulturinstitut; ist der beste Vermittler einer japanischen Lebensart, die dem Überfluss misstraut und über den technischen Fortschritt die Natur nicht vergessen will. Zugleich ist er ein Meister der Shakuhachi-Flöte, deren weichen, luftigen Klang er sich mit größtem Respekt für die japanische Klassik zu eigen macht. Alle aktuellen Debatten über kulturelle Aneignung laufen an der Kunst dieses Wahljapaners ins Leere, der eben nichts aus einer fremden Kultur für die unsere abschöpft, sondern im Gegenteil selbst mit ihr verschmolzen ist. Wer ihn einmal live erlebt hat wie am vergangenen Dienstag bei der Kölner Premiere, bedauert fast, dass die Ernsthaftigkeit seiner Philosophie und Kunst bei aller Präsenz im Film doch etwas zu kurz kommt, ganz zu schweigen von seiner Kennerschaft des No-Theaters. Aber es muss ja nicht der letzte Film über ihn bleiben.

Niemand versteckt sich

Ein anderer Dorfbewohner lehrt junge Menschen aus der Stadt das Jagen. Ein kommunistischer Politiker durchquert den Ort mit einem Lautsprecherwagen – und stößt auf wenig Widerspruch. Niemand scheint sich vor der Kamera zu verstecken, was wohl auch das Verdienst von Komers’ wichtigster Mitarbeiterin ist, seiner Lebensgefährtin, der japanischen Künstlerin Hiroko Inoue. Sie konnten die Kinder in der Zwergschule filmen und hatten Zutritt bei einem Treffen alter Damen, die sich köstlich bei einer Variante des Stein-Schere-Papier-Spiels amüsieren.

Vielleicht gibt es eine Menge Orte wie Miyama in den Bergen nördlich von Kyoto, vielleicht ist es aber auch das Paradies auf Erden. Oder es ist zumindest ein Ort, wo man lernen kann, sich das Leben nicht länger zur Hölle zu machen. Wer immer schon das Gefühl hatte, eine gewisse Sehnsucht nach dem japanischen Landleben zu verspüren, findet in diesem Kunstwerk von einem Dokumentarfilm jedenfalls tausend Gründe dafür.

Miyama Kyoto Prefecture. Deutschland, Japan 2022. Regie: Rainer Komers, Mitarbeit & Assistenz: Hiroko Inoue. Ton: Michael Klöfkorn. 97 Min.

Auch interessant

Kommentare