Gegenentwurf sind die medizinischen Herausforderungen, bei denen es regelmäßig um mehr geht als nur um den jeweiligen Notfall: Eine alte Frau (Ursula Werner) fürchtet sich vor einem Lebensabend auf dem Abstellgleis, ein junger Mann (Lukas von Horbatschewski) wollte sich aus Liebeskummer das Leben nehmen, einer jungen Frau (Soma Pysall) droht der Verlust des Augenlichts, eine Mutter (Katrin Röver) will ihrem elfjährigen Sohn, der an einem unheilbaren Gen-Defekt leidet, unvergessliche letzte Momente bescheren und kriegt gar nicht mit, dass der völlig erschöpfte Junge nur ihr zuliebe mitmacht. Das dramaturgische Konzept folgt somit dem bewährten Schema, das auch ARD-Freitagsreihen wie „Die Eifelpraxis“ oder „Praxis mit Meerblick“ prägt.
Mitunter mag die eine oder andere Dialogzeile nach Kalenderspruch klingen, aber aus dem Mund des längst auch international gefragten Merab Ninidze, der zuletzt unter anderem an der Seite von Benedict Cumberbatch in dem Thriller „Der Spion“ (2020) geglänzt hat, klingen sie wie Weisheiten. Die weiteren darstellerischen Leistungen sind gleichfalls ausnahmslos vorzüglich. Auch bei der Inszenierung durch Felix Ahrens und Florian Gottschick gibt es keinerlei Qualitätsunterschiede zur ersten Staffel.
Ahrens, 2016 im Rahmen der Student Academy Awards mit dem Kurzfilm-„Oscar“ ausgezeichnet, hat bereits bei der sehenswerten Vox-Serie „Tonis Welt“ vortreffliche Arbeit geleistet. Bemerkenswert ist auch die Bildgestaltung (Jana Lämmerer, Lukas Steinbach), und das nicht nur wegen des viel Geborgenheit ausstrahlenden sanften Lichts. Viele Aufnahmen sind von warmen, erdigen Brauntönen geprägt, die sich auch in der Ausstattung wiederfinden. Wenn sich Forster und der Doktor, den alle nur Ballouz nennen, abends zum Bier an der Tanke treffen, wirkt die entsprechende Einstellung, als sei sie einem Gemälde von Edward Hopper nachempfunden.
28. April, ZDF, 20.15 Uhr: „Doktor Ballouz“. Die Sendung in der ZDF-Mediathek.
Ihre Beliebtheit dürfte die Serie nicht zuletzt den inhaltlichen Rahmenbedingungen verdanken. Die Klinik scheint keine anderen Patienten zu haben als die jeweiligen Episodenfiguren, weshalb sich das Personal alle Zeit der Welt nehmen kann. Dass sich die Ärztinnen und Ärzte auch um die seelischen Wunden ihrer Schutzbefohlenen kümmern, versteht sich von selbst. Wie der Doktor das Vertrauen der Menschen gewinnt, ist ohnehin formidabel ausgedacht und umgesetzt. „Doktor Ballouz“ ist wegen der positiven Botschaft genau das richtige Rezept in schwierigen Zeiten: Das Leben ist trotz allem schön; es lohnt sich, jeden Tag dafür zu kämpfen. Das ZDF zeigt die Serie, die bereits komplett in der Mediathek abgerufen werden kann, donnerstags in Doppelfolgen. (Tilmann P. Gangloff)