Disneys „Arielle“ im Kino: Träume sind Schäume

Sind Menschen am Ende doch die besseren Meerjungfrauen? Disney hat seine „Arielle“ in digitalen Wasserwelten neu verfilmt.
Astar is born. Ob Mensch, ob Wasserwesen, in welcher Welt auch immer dieses Gesicht zu Hause ist, es wird alle Blicke auf sich ziehen. Und gerade weil die heute 23-jährige Halle Bailey so ein Ereignis ist, ein Charme- und Gesangswunder, hat Disneys Neuverfilmung von „Arielle, die Meerjungfrau“ gleich zu Anfang ein Problem. Eine Zeichnung kann alles bedeuten, ein fotografierter Mensch muss erst einmal darstellen, eine Meerjungfrau zu sein, die unbedingt noch werden will, was er doch in der Realität längst schon ist: ein Mensch und noch dazu von ganz besonderer Schönheit.
Die digitale Unterwasserwelt macht in Rob Marshalls Inszenierung den Kontrast zur natürlichen Ausstrahlung ihres Stars noch größer – in süßlichen Neonfarben, die manchmal leuchten wie im UV-Licht einer Disco. Kein Wunder, dass ihr die krakenhafte Wasserhexe Ursula (Melissa McCarthy) – in dieser Version ist sie auch die Schwester von Arielles Vater, dem Wasserkönig Triton (Javier Bardem) – voller Eifersucht begegnet.
Aber was ist das für eine Menschenwelt, in die es Arielle so sehr zieht, dass sie dafür sogar Ursulas vergiftete Fahrkarte annimmt? Bei einer im Vergleich zum Original um mehr als eine Dreiviertelstunde verlängerten Laufzeit gibt es reichlich Zeit, Hintergrundgeschichten auszuführen. Es ist eine unbestimmte Andersen-Zeit, eine kolonialistische Epoche, in der prächtige Segelschiffe durch die Karibik kreuzen. Können wir angesichts des gepflegten Prinzen (Jonah Hauer-King), den Arielle nach einem Schiffbruch rettet, vergessen, welch ausbeuterische Missionen die christliche Seefahrt damals verfolgte? Denkt man nicht auch an die tödlichen Krankheiten, die sexuell ausgehungerte Seeleute über ganze Inselreiche brachten?
Wie schon in Disneys Neuverfilmung von „Susi und Strolch“, wo es im New Orleans des frühen 20. Jahrhunderts statt Rassentrennung gemischte Ehen gibt, ist auch hier Rassismus ein Fremdwort. Man kann die Absicht des Disneystudios verstehen, mit einer möglichst diversen Besetzung für Diversität zu werben – gerade in einem globalen Markt.
Hans Christian Andersens Märchen ist ein Gleichnis über Ausgrenzung und den Wunsch nach Überschreibung kultureller Grenzen. Aber tut man den Nachfahren und Nachfahrinnen der Opfer des Kolonialismus einen Gefallen damit, ihre Geschichte zu verklären? Meerjungfrauen haben keine Hautfarben. Aber in der realistisch ausgeführten Welt des Prinzen Eric ist es schon eine Aussage, wenn er das Adoptivkind eines schwarz-weißen Königspaars ist. Es ist schon verrückt: Der einzige Rassismus, den es in dieser Welt zu geben scheint, liegt in den streng bewachten Grenzen zwischen den Wasserwesen und den Menschen. Nun, es ist doch nur ein Märchen, mag man einwenden. Allerdings, es ist ein Märchen.
Tatsächlich sind es die eher spielerischen Fantasien, an denen es hier mangelt. Die liebenswerten Sidekicks aus der Erstverfilmung, die Krabbe Sebastian, der Fisch Fabius und die Möwe Scuttle, haben als Digitalfiguren viel von ihrem Charme verloren. Und die ordentlichen Fischformationen, die sich zum großen Song „Under the Sea“ bewegen, füllen jetzt eher lieblos die Leinwand.
Es ist bekannt, dass sich Disneys Zeichner einst einen Spaß daraus machten, beim „König der Löwen“ Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ unübersehbar zu zitieren. Hier denkt man unfreiwillig an das Abschiedswerk der Regisseurin, „Impressionen unter Wasser“.
Disneys Erstverfilmung, die Ron Clements and John Musker 1989 fertigstellten, ist ein Schlüsselwerk der Trickfilmgeschichte. Die Produktion ging zurück auf Entwürfe, die der dänische Zeichner Kay Nielsen in den 1930er Jahren bei Disney geschaffen hatte. Junge Meisteranimatoren wie der Deutsche Andreas Deja erweckten diese nach dem Tod des Firmengründers vernachlässigte Kunst in den 1980ern wie einen Phoenix aus der Asche.
Man muss kein Kulturpessimist sein, um den heutigen Verlust der Handzeichenkunst bei Disney zu betrauern. Doch so sehr man verführt ist, nach dieser Neuverfilmung im DVD-Regal oder im Streamingkanal nach dem Original zu suchen – etwas gibt es hier doch, das es dort nicht gibt: einen Star wie Halle Bailey. Einmal aufgetaucht aus den Fluten wird noch viel von ihr zu sehen sein.
Arielle, die Meerjungfrau . Animationsfilm. Regie: Rob Marschall, 130 Min.