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Dieter Nuhr (ARD): Sein Jahresrückblick hat 2020 gerade noch gefehlt

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Von: Katja Thorwarth

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 Der Kabarettist Dieter Nuhr sitzt bei der Verleihung des Querdenker-Award am 25.11.2014 in der BMW-Welt in München (Bayern) auf einem roten Sofa.
Der Kabarettist Dieter Nuhr sitzt bei der Verleihung des Querdenker-Award in der BMW-Welt in München (Bayern) auf einem roten Sofa. © Tobias Hase/dpa

Das Seuchen-Jahr 2020 neigt sich dem Ende entgegen. Und was noch gefehlt hat, ist ein Jahresrückblick von Dieter Nuhr. Der Komiker bringt gefährliche Nazivergleiche.

Jüngst vermutete Kollege T. auf Twitter, dass der Kabarettist irgendetwas gegen die ARD in der Hand haben müsse. Vermutlich, anders ist sein fester Sendeplatz im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm nicht zu erklären. Und das, obwohl sich Dieter Nuhr ständig über Mundtotmachung beziehungsweise „Cancel Culture“ von Seiten der „Presseöffentlichkeit“ beklagt.

Hätte er mal recht mit seinen Vorwürfen, dann müssten seine Zuschauerinnen nicht Zeuginnen sein, wenn Nuhr 2020 „mit spritzenden Pointen im Boden versinken“ lässt. Das Jahr bekäme, was es verdient: „Es wird ausgelacht!“, frohlockte das Erste im Vorfeld auf seiner Webseite. Nun denn, das Jahr wird sich einen Kehricht um Dieter Nuhr scheren, ein breites Publikum hat er durchaus, weshalb Ignoranz nicht ungeschehen macht, was ist.

 Der Kabarettist Dieter Nuhr sitzt bei der Verleihung des Querdenker-Award am 25.11.2014 in der BMW-Welt in München (Bayern) auf einem roten Sofa.
Der Kabarettist Dieter Nuhr sitzt bei der Verleihung des Querdenker-Award in der BMW-Welt in München (Bayern) auf einem roten Sofa. © Tobias Hase/dpa

Dieter Nuhr (ARD): Corona-Experte Karl Lauterbach hat es ihm angetan

Probleme um die Figur Dieter Nuhr gibt es viele, aber das wichtigste vorab: Er ist einfach nicht lustig. Nullkommanull, um genau zu sein. Das zeigt sich einmal mehr bereits bei seinem Einstieg – „Ich bins Nuhr“ –, also einem Wortspiel mit seinem Namen. Nur Nuhr, wer soll darüber lachen?

„Ich soll Sie zum Lachen bringen, Ihr Glückslevel erhöhen“, steigert er die Erwartungshaltung, um sich sogleich an Karl-Lauterbach-Bashing zu versuchen, der gar nicht merken würde, dass er sämtliche Menschen in den Alkoholismus treibe. Überhaupt Lauterbach. Der hat es Dieter Nuhr angetan, der zieht sich wie ein roter Faden durch den Auftritt vor leeren Rängen – Lauterbach, die personifizierte Spaßbremse in Zeiten von Corona. Ob der nicht am Ende der „Superspreader“ sei, orakelt es gar aus Nuhr heraus. Meint er natürlich nicht ernst, ist ja immer nur Spaß beim Starkomiker des alten weißen Mannes.

„Was braucht der Mensch in der Pandemie? Einen sauberen Hintern“, geht es munter weiter: „So viel Klopapier, so dass ich glaubte, der Deutsche sitzt beim Homeoffice auf der Schüssel.“ Toilettenpapierwitze dürfen bei einem deutschen Jahresrückblick nicht fehlen, selbst wenn Dieter Nuhr die damit einhergehende, offensichtliche Analfixiertheit bestätigt und nicht etwa kabarettistisch entlarvt. Auf die soziale Inkompetenz, die sich in den damaligen Hamsterkäufen offenbarte, geht er gar nicht erst ein. Man sollte es sich bei seinem Stammpublikum natürlich nicht verscherzen.

Dieter Nuhr kommt aus der Sommerpause zurück und hat ein Rassismus, Sexismus und schlechte Witze im Gepäck.
Dieter Nuhr kommt aus der Sommerpause zurück und hat in der ARD Rassismus, Sexismus und schlechte Witze im Gepäck. © Henning Kaiser / dpa / picture alliance

Dieter Nuhr (ARD): 2020 – Das Jahr der Hobbymediziner?

Apropos Stammpublikum: 2020 sei auch „das Jahr der Hobbymediziner“ gewesen, was durchaus als zärtlicher Seitenhieb auf seine Klientel gewertet werden kann. Aber nur als ein ganz kleiner, denn immerhin habe selbst ein Christian Drosten die Trennung zwischen Politik und Virologie nicht immer „so ganz im Blick“ gehabt. Womit Dieter Nuhr suggeriert, dass vor dem Grasen auf fremdem Terrain selbst ein Starvirologe nicht gefeit ist, weshalb sich in dieser Hinsicht ein ‚Manfred Meier‘ also keinen Kopf zu machen braucht. Das unterstreicht das kumpelhafte Augengezwinker, das den Zuschauer einerseits in Schutz, andererseits in Sippenhaft nimmt.

Überhaupt zwinkert Dieter Nuhr gerne und häufig, gerade wenn er seine Anekdote über Männer an den Mann bringt, die trotz Lockdown mit Prostituierten in einem Kölner Hotel abgestiegen und – welch ein Jammer – erwischt worden seien. Strafe hätten sie zahlen müssen, weil das Hotel verbotenerweise touristisch genutzt geworden sei. So witzig war das, als die Männer ihren Frauen beichteten, sie hätten „Tourismus“ gehabt … Hahaha. Die „Matratze Hammerfick“ passt sprachlich nur zu gut, denn ob schlüpfrig oder anal: Das sind die Schenkelklopfer, die Lachgaranten für all jene, die die „Bild“-Zeitung immer nur wegen des Sportteils kaufen.

Dieter Nuhr (ARD): Der Jahresrückblick für den „alten weißen Mann“

Zu seinem Herzensthema kommt Dieter Nuhr schließlich, als er 2020 als „das Jahr der Empörung“ ausruft. Wer ständiges Ziel der Empörung sei, dürfte nicht verwundern. Das sind die „alten weißen Männer“, also quasi Typen wie er. Die sollen angeblich überhaupt nicht mehr mitreden dürfen, werden diskriminiert von morgens bis morgens, marginalisiert, diskreditiert. Um genau zu sein, kommen alte weiße Männer überhaupt nicht mehr vor, weder in den Medien, noch in der Wirtschaft, noch in der Politik. Ähm, Herr Nuhr, merken Sie selbst, gell?

Dass bei den Indianern die Alten diejenigen seien, die um Rat gefragt würden, ist nichts mehr als der Versuch, das Klischee des alten weisen Mannes vor dem Wigwam auf den alten weißen Mann auf dem Sofa zu übertragen. Nice try, aber ein bisschen billig. Beziehungsweise ein bisschen mehr, als nur ein billiger Witz. Ähnlich wie der hier: „Wer im Karneval als Schornsteinfeger ging, der war Rassist“, sagt Nuhr, der hoffentlich Schornsteinfeger nicht mit Blackfacing verwechselt hat. Oder etwa doch? Sicher kann man sich nicht sein.

Dieter Nuhr (ARD): Geschmacklose bis gefährliche Nazivergleiche

Natürlich ist Satire, wenn Dieter Nuhr das Gendersternchen mit dem Hitler-Gruß in Zusammenhang bringt. „Das machte man früher in Diktaturen, wer Guten Tag, statt Heil Hitler sagte, war raus.“ Ähnlich erginge es jetzt demjenigen, der verbal nicht gendere. Der kommt also potenziell ins KZ? Da scheint er btw bei der AfD abgeschrieben zu haben. Gegenderte Sprache als diktatorische Maßnahme zu behaupten, ist selbst für Nuhr-Verhältnisse geschmacklos bis gefährlich.

Aber da geht noch mehr: „Wie konntest du mit Eltern leben, die als Mann und Frau binär zusammenlebten?“, setzt er verschmitzt noch eins drauf, und quasselt sich formvollendet vom Mitglied einer privilegierten Mehrheitsgesellschaft zur diskriminierten Minderheit. Wo kommt er her, dieser Zwang, das allgegenwärtige Normativ als in irgendeiner Form bedroht umzudeuten? Das ist nicht witzig und hat mit Satire so viel zu tun, wie der Gag über die Klempnerin, die potentiell den Wasserhahn in der Wand ablehnt, weil phallisch.

Dieter Nuhr (ARD): 2020 war das Jahr der Humorlosigkeit

Dieter Nuhr reicht es eben nicht, unlustig zu sein. Vielmehr zeichnet ihn eine Besserwisserei aus, die nichts weiß und auch gar nichts wissen muss – vielmehr genügt die Anbiederung an den ‚alten weißen Mann‘. Daher wird auch alles, was ihn aus- und ihm Spaß macht, als bedroht und ergo schützenswert kommuniziert. Und die Legende von „Cancel Culture“, die Kritik mit Sanktion verwechselt, weiter gestrickt.

„Es war nicht alles schlecht, die Bayern holten das Triple“, soll mit 2020 versöhnen, aber irgendwann ist es dann mal gut. Final hat Nuhr in einem unbedingt recht: Es sei das Jahr, in dem „die Humorlosigkeit die Macht übernahm“. Richtig, zumindest im Ersten, und zwar donnerstags um 22.50 Uhr. (Katja Thorwarth)

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