„Die Kairo-Verschwörung“ im Kino – Macht oder Weisheit

Tarik Saleh und sein faszinierender Thriller „Die Kairo-Verschwörung“, der jetzt im Kino anläuft.
Das Wunder des Kinos ist manchmal die Wirklichkeit, häufiger aber ihre Imitation. Was kümmerte es Alfred Hitchcock, wenn ihm einmal ein Land keine Drehgenehmigung erteilte, ihm reichten Studiokulissen und Rückprojektionen.
Gleich zwei Filme führen derzeit in Diktaturen, ohne sie zu betreten: Ali Abbasi wollte seinen iranischen Serienmörder-Thriller „Holy Spider“ ursprünglich in der Türkei drehen; als ihm auch die dortigen Behörden Absagen erteilten, ging er nach Jordanien. Der ägyptisch-schwedische Filmemacher Tarik Saleh hatte in der Türkei mehr Glück. In einem atemberaubenden Zusammenspiel aus Ausstattung (Sila Karakaya) und Kamera (Pierre Aïm) erschuf er für die Leinwand einen der exklusivsten Orte der islamischen Welt, die Al-Azhar-Universität von Kairo.
Hier, im geistigen Zentrum des sunnitischen Islam, hat Adam, ein junger Mann aus einem Fischerdorf, ein Stipendium erhalten. Doch schon als er sein zugewiesenes Bett in einem großen Schlafsaal reklamiert, bekommt er eine erste Ahnung von einem komplexen System aus unausgesprochenen Vorrechten und Seilschaften. Es ist nur der Anfang: Nach dem plötzlichen Tod des Großen Imam findet sich der junge Mann plötzlich inmitten eines lebensbedrohlichen Spiels aus politischen und religiösen Machtinteressen wieder.
Ein weltliches Spinnennetz
Als Adam von einem Agenten der Staatssicherheit für Spitzeldienste angeworben wird, ahnt er noch nicht, dass er damit in die Fußstapfen eines ermordeten Mitstudenten tritt. Sowohl die Militärregierung als auch die Muslimbruderschaft – die Adam auskundschaften soll – sind entschlossen, ihre Kandidaten für die Nachfolge durchzusetzen. Der beliebteste Kandidat, der „blinde Scheich“, ein angesehener Gelehrter, bezichtigt sich kurzerhand selbst des Mordes, um das System vor Gericht bloßzustellen. Tatsächlich aber wird bald klar, dass – abgesehen von der göttlichen Gerechtigkeit – in diesem weltlichen Spinnennetz auf nichts zu bauen ist.
Es ist wohl kein Trost, aber finstere politische Wetterlagen brachten wenigstens schon immer die erstaunlichsten Thriller hervor. Dieser faszinierende Film besitzt die suggestive Kraft großer Agentenfilme aus den siebziger Jahren, inklusive einer gewissen Überkompliziertheit – der man sich beim Zuschauen dann am besten ergibt und ihren abstrakten Mustern folgt.
Die Figur des Staatssicherheits-Beamten Ibrahim (Fares Fares) erinnert schon mit ihrer altmodischen Pilotenbrille an eine jener Außenseiterfiguren, wie man sie gerne in Geheimdiensten vermutet. Es ist ein willkommenes Klischee, das uns den Weg in ein System erleichtert, ebenso wie der vertraute Anfang eines College- und Coming-of-Age-Films. Der Nachwuchsdarsteller Tawfeek Barhom ist jeden Augenblick glaubhaft – vom unbeschriebenen Blatt, über den vor Angst Verstummenden bis schließlich zum notgedrungenen Strategen.
Tatsächlich verschenkt Tarik Saleh, der auch das Drehbuch schrieb, mit den Zugeständnissen an das Genrekino nichts. Einerseits weckt er Szene für Szene die Faszination dieses Jahrhunderte alten Wirkungsorts von Glaube, Wissen und Macht aufs Neue; andererseits findet er immer wieder auch einen überraschend breiten Raum, um sich mit den rechtsphilosophischen Dilemmata von Theokratien auseinanderzusetzen.
Allerdings bleibt dabei am Ende kaum ein Stein auf dem anderen. Die fein mäandernde Ornamentik der Moscheekuppeln wird zur Metapher für die sich eng verzahnenden Glieder eines Machtapparates, der sich religiös legitimiert, aber über Leichen geht.
Tarik Saleh studierte selbst einmal auf einer Kunstuniversität in Kairo, sein Blick ist gleichermaßen kenntnisreich wie distanziert. Wer seine Schauplätze Szene für Szene neu erschaffen muss, durch Umdekorierung ähnlicher Gebäude in der Türkei, verliert sich nicht im abbildhaften Realismus. Was man hier bewundern kann, ist eine künstlerische Umformung der Wirklichkeit, nicht nur ihrer äußeren Ansichten, sondern ebenso ihrer ideologischen Fundamente und Konstrukte. Vielleicht wäre Saleh mit seinem Gespür für filmische Weltschöpfung auch der ideale Regisseur, um die Werke Franz Kafkas zu verfilmen.
Was immer man vom aktuellen Kino halten mag, es entwickelt gerade eine neue erfreuliche Tendenz, das Genrekino mit Nachdenklichkeit zu unterfüttern.
Die Kairo-Verschwörung. Regie: Tarik Saleh. 121 Min.