„Die Anstalt“ im ZDF: Vom Ukraine-Kieg und Putin-Verstehern - „Jetzt hassen uns alle“

Eine verwaiste Bühne. Männerstimmen fordern kritisierend „Abschalten!“. Warum? Weil sich „Die Anstalt“ im ZDF mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt.
Mainz – Fast sechs Wochen sind vergangen, seit der russische Präsident Wladimir Putin begann, die Ukraine zu überfallen. Und „Die Anstalt“ war eine der ersten kabarettistischen Sendungen, die – nur sechs Tage später – einen Umgang mit der neuen Weltlage finden musste. Und das vor dem Hintergrund der eigenen Verarbeitung der russischen Außenpolitik der vergangenen Jahre. Ihr Versuch war nicht nur durch die Einladung ukrainisch-stämmiger Comedians gut gelungen. Was folgt dieses Mal?
Das Schluss-Statement von Claus von Wagner sei vorweggenommen: „Ich wollte die Leute doch nur intelligent unterhalten und zum Lachen bringen“, sagt der Co-Gastgeber der „Anstalt“ am Ende der neusten Folge. Und unabhängig davon, ob man den – in dieser Ausgabe der „Anstalt“ dankenswerterweise anteilig reduzierten – kommandieren Sprach-Stil des Max Uthoff gerne hört, haben die zwei Kabarettisten gemeinsam mit den Autoren ihrer Redaktion eine gleichermaßen sehenswerte wie lehrreiche Folge der Satire-Show am Dienstagabend im ZDF abgeliefert. Auf Claus von Wagners Schlussstatement zurückgreifend: Intelligent-unterhaltsam in jedem Fall. Was das Lachen angeht… nun ja. Manchmal ist es der Witz. Manchmal bleibt das Lachen im Halse stecken. Manchmal darf Satire sich mehr trauen. Es herrscht aber nun mal Krieg.
„Die Anstalt“ (ZDF): „Jetzt hassen uns alle“
Die vergangene Kritik zum „Die Anstalt“-Vorleben hallte dennoch zu Beginn des Abends mehr als deutlich nach: „Jetzt hassen uns alle“, stellt Claus von Wagner fest. Egal, wie man es mache, man sei stets Objekt des Anstoßes. Doch Co-Moderator Max Uthoff ist sich sicher: „Genau das ist die Position, die man als Satiriker haben sollte. Das genießen wir jetzt!“. So edgy waren die Putin- Russland-Nato-Nummer in den vergangenen Jahren nun auch nicht. Aber was soll‘s. Vorhang auf:
Willkommen in der Anstalt! Willkommen zum Verfahren gegen die Gastgeber Max Uthoff und Claus von Wagner mit ihren Mitwirkenden: der Sängerin Julia Gámez Martin, der Kabarettisten Frank Lüdecke und dem schon aus der „Anstalt“ bekannte Schauspieler-Duo Ulan & Bator.
„Die Anstalt“ (ZDF) – Zwischen „Appeasement-Politik“ und Ukraine-Krieg
Um was es angesichts des Ukraine-Kriegs nun dieses Mal geht? „Es wird geurteilt“, wie Julia Gámez Martin, die als Richterin im inszenierten Verfahren auftritt, einleitend erklärt: „Ich bin die öffentliche Meinung und heute wird hier ein Urteil über Sie gefällt.“ Es geht um „Putin-Versteher“, „Appeasement-Politik“ und „Pazifismus-Versteher“, die laut der Richterin Gámez Martin einen Angriffskrieg in der Ukraine herbeigeführt haben. Und Ulan & Bator füllen zunächst ihre Rolle in der „Anstalt“ als personifizierte Fakten-Checker aus, deren Arbeit wohl sonst im Internet nachzulesen wäre, während Max von Uthoff immer wieder auf Waffenverkäufe von Nato-Staaten an Russland hinweist.
Gäste bei Die Anstalt im ZDF | |
Julia Gámez Martin | Schauspielerin/Sängerin/Comedian |
Frank Lüdecke | Kabarettist, Autor, Kolumnist, Regisseur und Schauspieler |
Ulan & Bator | Theaterduo (Sebastian Rüger und Frank Smilgies |
„Die Anstalt“ bleibt den ganzen Abend über aber erfreulich informativ und hinterfragt nicht nur den Umgang der „Anstalt“ mit Russland, sondern auch die mittlerweile etablierten Aufhänger der deutschen Presselandschaft und Polit-Kommunikation zur geopolitischen Lage. So ist der Russland-Ukraine-Konflikt entgegen vorherrschender Narrative nicht der erste Konflikt auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Ulan & Bator weisen – ohne damit die aktuelle Situation zu relativieren – auf den Balkan-Krieg und die wiederholten Aggressionen von Armenien gegenüber Aserbaidschan und der demokratischen Region Bergkarabach hin. Auch bleibt das militärische Wirken Russlands in Georgien, in Tschetschenien und im Rahmen des Transnistrien-Konflikts sowie zuletzt im Donbass nicht unerwähnt.
„Die Anstalt“ (ZDF) arbeitet Russland-Narrative auf: „Es gab Gründe“
Dennoch finden immer wieder Uthoff’sche Russland-Narrative, wie sie den „Anstalt“-Zuschauer:innen aus den alten Folgen bekannt sind, nach vier Wochen Kriegsabstinenz wieder Platz. Dieses Mal begrüßenswert kontextualisiert: „Es gab Gründe, weshalb Rücksicht gegenüber Russland walten gelassen wurde“, analysiert Uthoff, ohne der aktuell wirkenden russischen Partei das Wort zu reden. Und er trifft angenehmerweise die richtigen Worte: „Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg furchtbares Leid über Russland gebracht, ohne diese historische Schuld jemals aufgearbeitet zu haben. Nazis haben Millionen sowjetische Kriegsgefangene verhungern lassen, und die Gesellschaft hat das niemals thematisiert.“
Abseits kritischer Selbsterklärung und Aufarbeitung, die „Die Anstalt“ an diesem Abend gewiss nicht nur für sich alleine betreibt, entwickelt sich die Folge noch zu einem aufklärerischen Format und beschäftigt sich angesichts der aktuellen Lage mit der neo-realistischen Theorie des Politikwissenschaftlers John Mearsheimer. Hier wird die gleichermaßen informierende wie streitbare – und in dutzenden „Lanz“-Folgen unbefriedigend besprochene – Leitfrage bearbeitet, „weshalb die Ukraine-Krise die Schuld des Westens ist“. Das Thema ist trocken. Und trotzdem entfaltet „Die Anstalt“ gerade in diesem Moment ihr aufklärerisches Potenzial und zeigt sich an diesem Punkt theoretisch fundiert. Claus von Wagner resümiert: „Die internationale Gemeinschaft braucht nicht nur Menschen, die die Welt beschreiben, wie sie ist, sondern auch Menschen, die die Welt beschreiben, wie sie sein sollte.“ Genau das ist es, was satirische und kabarettistische Formate heute leisten können. Und das ist heute dankenswerterweise ganz ohne moralisch erhobenen Finger gelungen. (Moritz Post)