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Deutscher Filmpreis: Lola im Schatten

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Von: Daniel Kothenschulte

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Schauspielerin Alexandra Maria Lara und Regisseur Florian Gallenberger, Führungsduo der Deutschen Filmakademie.
Schauspielerin Alexandra Maria Lara und Regisseur Florian Gallenberger, Führungsduo der Deutschen Filmakademie. © dpa

Am heutigen Freitag wird der höchstdotierte deutsche Staatspreis verliehen. Doch die Preisvergabe durch die Deutsche Filmakademie steht in der Kritik.

Die soziale Ungleichheit – bei Filmdreharbeiten lässt sie sich besonders gut beobachten. Den einen, die ihren Namen meist „above the line“ lesen können, also im Vorspann, mieten die Filmgesellschaften Nobelhotels. Die anderen, die Setdresser, die Mitarbeiter der Baubühne oder die enorm geforderten Mitarbeiter der verschiedenen Gewerke können oft selbst sehen, wo sie bleiben. Ganz zu schweigen von den Kleindarstellern und Statisten, den modernen Tagelöhnern. Die Til-Schweiger-Debatte hat in den letzten Wochen auch arbeitsrechtliche Missstände zum Thema gemacht: Das meist selbstständige Film-Prekariat ist davon besonders betroffen.

Am Freitagabend werden am Berliner Potsdamer Platz wieder einmal die deutschen Filmpreise vergeben, finanziert aus Steuermitteln in Verantwortung der Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Ausgewählt werden die Preisträger allerdings von einem privaten Verein, der Deutschen Filmakademie. Gewiss werden auch die Arbeitsbedingungen bei der Gala ein Thema sein. Doch wer hier Mitglied ist, braucht sich bei Dreharbeiten um seinen Schlafplatz in aller Regel nicht zu sorgen. Die Sektionen entsprechen den traditionellen Berufsgruppen wie sie auch im Vorspann stehen. Die größte Gruppe unter den rund 2200 Mitgliedern stellen die Schauspieler und Schauspielerinnen. Nicht aufgenommen werden zum Beispiel Experimentalfilmer, Dramaturginnen, Kuratoren und Restauratorinnen, Filmlehrende in Wissenschaft und Publizistik, Verleiher, Archivare, Festivalmacherinnen und Kinobetreiber.

Für ihren Mitbegründer Bernd Eichinger war es entscheidend, dass nicht mehr Expertengremien über den höchstdotierten deutschen Kulturpreis entschieden, sondern die Macherinnen und Macher selbst, also die potentielle Ausgezeichneten.

Seit 2005 steht die Filmakademie deshalb auch in der Kritik. Denn das Prinzip der Abstimmung aller Mitglieder begünstigt dabei naturgemäß die Filme, die die meisten kennen. Oft werden sie gleich in mehreren Kategorien ausgezeichnet, Spitzenleistungen in kleinen Filmen fallen leicht unter den Radar. Mit gleich 12 Nominierungen geht der vierfache Oscar-Gewinner „Im Westen nichts Neues“ – eine Netflix-Produktion, die ohne deutsche Filmförderung ausgekommen ist. Allerdings ist der Triumph nicht ausgemacht.

In einem überdurchschnittlichen Kinojahr mangelt es nicht an Alternativen, auch unter den Publikumserfolgen finden sich herausragende künstlerische Leistungen: „Sonne und Beton“ hat deshalb vielleicht sogar größere Chancen auf den Hauptreis, vielleicht auch „Das Lehrerzimmer“ und „Holy Spider“.

Eines aber ist jetzt schon sicher: Keinen Preis gewinnt ein außergewöhnlicher künstlerischer Publikums- und Festivalerfolg, Christian Petzolds „Roter Himmel“. Nicht zum ersten Mal wurde das Nichtmitglied Petzold von der Akademie, der er kritisch gegenübersteht, schon im Nominierungsprozess übergangen. Er nennt sie „eine Katastrophe“. Als 18 Juroren über die Nominierungen entschieden, flog sein später bei der Berlinale mit dem „Großen Preis der Jury“ ausgezeichneter Film als erster heraus. 16 Akademiemitglieder und zwei Politikerinnen aus dem Kulturausschuss des Bundestages hatten ihm null Punkte gegeben. Zu einer gemeinsamen Sichtung kam es gar nicht mehr. Aber auch der Dokumentarfilmerin Daniela Abke wurde mit ihrem liebenswerten Pariser Caféhaus-Film „Belleville“ keine Nominierung zugestanden. Auch sie ist kein Akademiemitglied. Die Regisseurin Helene Wittmann, deren Film „Human Flowers of Flesh“ im Wettbewerb von Locarno lief, erklärte uns, dass sie ihre Arbeiten gar nicht mehr einreiche, da sie keinerlei Anerkennung erwarte.

Inzwischen sind sich Claudia Roth und der Akademievorstand darin einig, das Auswahlverfahren zu verändern. Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung wurde entschieden, die Vorauswahl abzuschaffen. Aber würde sich so Transparenz herstellen lassen? Würden nicht so kleinere Filme, die wenige Mitglieder gesehen haben, weiterhin benachteiligt? Und würde die Abwertung von Nichtmitgliedern oder gar jenen, die diese Institution kritisieren, nicht weitergehen?

Unabhängigkeit lässt sich nur auf einem Weg herstellen: Die Vergabe dieser wichtigen Fördermittel – immerhin 250 000 Euro nur für eine Nominierung zum Hauptpreis – muss wieder durch eine unabhängige Jury erfolgen. So wie es bei Kunstpreisen in allen anderen Sparten alltäglich ist. Als eigenständiger Preis neben den – dann undotierten – Lolas der Akademie. Für die Schauspielerin Alexandra Maria Lara, die gemeinsam mit dem Regisseur Florian Gallenberger der Akademie vorsteht, gilt allerdings mit Blick auf Petzold: „Tatsächlich finde ich es aber problematisch, diese Diskussion an einem Beispiel festzumachen.“

Tatsächlich nutzte Akademie-Lobbyist Eichinger seinerzeit ein ähnliches Versäumnis des damaligen, vom Kulturstaatsminister Nida-Rümelin bestellten Gremiums, um die Geldvergabe in die Hände des Vereins zu bekommen: 2001 war das Skinhead-Drama „Oi! Warning“  nicht nominiert worden – ein seriöser Publikumsfilm, dem freilich von einigen Seiten vorgeworfen wurde, er verkläre seine Protagonisten.

Nun sollte die Zeit reif sein, es vergleichbaren Instituten in den USA, Frankreich oder Spanien gleichzutun: Oscars, Césars oder Goyas – all diese renommierten Preise werden von den nationalen Akademien als undotierte Ehrenpreise vergeben. Was hindert die Filmakademie daran, den Makel des Selbstbedienungsladens abzustreifen? Wäre die reine Ehre nicht vielleicht am Ende sogar die größere? Und an der Kasse wie die Oscars bares Geld wert? Und würde die „Lolas“ nicht vielleicht sogar an Unabhängigkeit gewinnen?

Und wäre es bei der Gelegenheit nicht sinnvoll, sich wie die vielzitierte Academy internationaler aufzustellen? Immerhin hat man dort gerade einem ausländischen Film vier Preise gegeben. Und beruft jährlich neue Mitglieder aus aller Welt. Bei der Deutschen Filmakademie kann eine Mitgliedschaft kaum als besondere Auszeichnung betrachtet werden – es reicht, zwei Fürsprecher unter den Mitgliedern zu finden, deren Empfehlungen in aller Regel dann der Vorstand folgt. Und den jährlichen Beitrag von 300 Euro zu überweisen.

Aber es gibt weiterhin Gründe, warum sich dieser führende Lobbyverein der deutschen Filmwirtschaft mit Händen und Füßen dagegen wehrt, die Hoheit über die Geldvergabe zu verlieren. Anders als in anderen Filmnationen herrscht in der deutschen Filmbranche eine eher feindselige Haltung gegenüber der Kritik. Während es in allen anderen Kunstsparten selbstverständlich ist, dass öffentlich finanzierte Preise durch einen unabhängigen Evaluierungsprozess vergeben werden, will sich die deutsche Filmindustrie nicht in die Karten gucken lassen. Dazu passt der Ruf nach automatisierten Förderungen, bei denen keine Qualitätskontrolle im Drehbuchstadium mehr stattfindet.

All das darf natürlich keinen Schatten auf die vielen herausragenden Künstlerinnen und Künstler werfen, die auch in diesem Jahr zu den Nominierten zählen. Sie haben alles Recht auf eine unbeschwerte Preisverleihung.

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