Davon geht der Held nicht unter

Clint Eastwoods Film „Sully“ führt den kollektiven Verbund einer verantwortungsvollen Gemeinschaft vor – und wie sich ein aufrechter Mann gegen die Behörden behauptet.
Von Anke Westphal
Der Vorfall erregt als „Wunder auf dem Hudson“ weltweit Aufsehen. Am 15. Januar 2009 landet Captain Chesley Sullenberger, „Sully“ genannt, ein Flugzeug auf dem Wasser des Hudson River und rettet damit das Leben aller 155 Passagiere. Nur kurze Zeit nach dem Abflug vom New Yorker Flughafen LaGuardia sind beide Triebwerke der Linienmaschine mit dem Inlandsziel Charlotte durch Vogelschlag so schwer beschädigt worden, dass sie ausfallen, auf einer Flughöhe von nur 2800 Fuß. So etwas hatte es zuvor noch nicht gegeben.
Sullenberger und sein Co-Pilot Jeff Skiles müssen in Sekundenschnelle eine Entscheidung treffen – in einer Krisensituation, auf die sie niemand vorbereit hatte. Zurück nach LaGuardia oder kalkulierte Wasserlandung? Bekanntlich entscheiden sie sich für Letzteres. War es die beste aller möglichen Entscheidungen?
Diese Frage stellt Clint Eastwood in seiner neuen Regiearbeit „Sully“ nicht. Er geht vielmehr davon aus, dass es die beste war – nämlich die überaus kompetente Entscheidung eines erfahrenen und zutiefst integren Mannes. Wer sich fragt, was einen Hollywood-Veteranen wie Eastwood mit seiner nunmehr sechzigjährigen Karriere in der Traumfabrik an diesem „Wunder auf dem Hudson“ interessiert hat, findet die Antwort in der Figur von Chesley Sullenberger. Der Flugkapitän musste sich nach der Wasserlandung gemeinsam mit seinem Co-Piloten vor einem Untersuchungsausschuss des National Transportation Safety Board (NTSB) und der Federal Aviation Administration (FAA) verantworten – nicht zuletzt war ja ein teures Flugzeug hinüber. Die Behörden argumentierten an Hand von Computersimulationen, dass eine sichere Rückkehr zu nahe gelegenen Flughäfen möglich gewesen wäre. Sullenberger und Skiles argumentierten mit ihrer Kompetenz, aber auch dem unkalkulierbaren situativen Moment und dem menschlichen Faktor. Zu dieser Zeit konnte der Captain auf 42 Jahre Berufserfahrung verweisen.
Der rechtschaffene Mensch, der seinen Ruf gegen die Institutionen verteidigen muss und die Behörden in diesem Prozess der Selbstbehauptung sogar beschämt – das ist ein genuines Thema des Hollywood-Kinos, nicht erst seit Frank Capras Klassiker „Mr. Smith geht nach Washington“ (1939), in dem James Stewart als Pfadfinderführer allein durch seine Wahrhaftigkeit den Senat bloßstellt. Der aufrechte Mann, der die Integrität seiner Entscheidung gegen Institutionen verteidigen muss – das ist auch ein genuines Thema von Clint Eastwood, der in seinem Film indes jedes gefühlsverstärkende Pathos meidet. Seine Inszenierung erinnert vielmehr an den gelegentlich semidokumentarischen Stil eines Paul Greengrass: Die Kamera ist nahe bei den Protagonisten und agiert auch mit Perspektivwechseln.
Semidokumentarischer Stil
Zu Beginn sehen wir, wie Sullenberger mit dem voll besetzten Flugzeug in Manhattans Häuserfluchten kracht – mit diesem später wiederkehrenden Alptraum wird der Kapitän nicht als hehre Heldenfigur, sondern als Mensch vorgestellt, der den tatsächlichen Alp keineswegs unbeschadet überstanden hat. Tom Hanks, der in seiner Karriere schon viele gute Menschen gespielt hat, verkörpert auch diesen guten Mann. Schon wird Sullenberger vor dem NTSB gefragt, wie es eigentlich um seine Ehe stehe und wann er den letzten Drink hatte.
Das ist demütigend genug für den weißhaarigen Herrn, den die Welt bereits zum Helden erklärt hat. Dass Sullenberger jedoch ein Held wider Willen ist, daran lässt der Film keinen Zweifel – immer wieder beruft sich der Kapitän ja auf sein Team, die Gemeinschaft, wobei er die Passagiere einbezieht: Sie hätten die Rettungsmaßnahmen durch Disziplin und gegenseitige Hilfsbereitschaft ermöglicht.
Einige dieser Leute werden kurz vorgestellt: Da ist die Frau mit ihrer alten Mutter im Rollstuhl oder jene Männergruppe, die Last Minute ins Flugzeug steigt. Die Kamera zeigt die Stewardessen gefasst beim Krisenmanagement: „Brace, brace – head down, stay down!“ rufen sie immer wieder, und im Rituellen dieser Anweisung an die Passagiere wird die Katastrophe kanalisiert. Alle, ob Besatzung, Fluglotsen, Rettungskräfte oder Sanitäter, tun ihre Arbeit, die im verantwortungsvollen Zusammenspiel gelingt – es ist Clint Eastwoods Vision eines guten Amerika, eine Feier des kollektiven Verbunds durch den Republikaner.
Natürlich sind die Medien gleich vor Ort. Dieser Film verteufelt sie nicht, zeigt aber deutlich Sullenbergers Unbehagen an der ihm sofort zugeschriebenen Rolle. Die eigentliche Katastrophe des Vogelschlags dauert nur einen Wimpernschlag. „Sully“ steht für ein postdramatisches Kino der Haltung und Menschlichkeit in Zeiten des Posthumanismus, nicht unbedingt für eines der innovativen oder spektakulären Bilder. Bewegend bleibt jene Szene, in der Sullenberger das Flugzeuginnere nach hier möglicherweise verbliebenen Passagieren absucht, während ihm das einströmende Wasser des Hudson schon bis zu den Knien reicht. Er verlässt das Flugzeug als Letzter.
Sully. USA 2016. Regie: Clint Eastwood. 96 Min.