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Christian Petzold und Steven Spielberg bei der Berlinale – Poesie als Traumstoff

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Von: Daniel Kothenschulte

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In einem Sommernachtstraum: „Roter Himmel“ mit Thomas Schubert (v. l.), Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs. Foto: Christian Schulz/Schramm Film
In einem Sommernachtstraum: „Roter Himmel“ mit Thomas Schubert (v. l.), Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs. © Christian Schulz

„Roter Himmel“ von Christian Petzold, „In Water“ von Hong Sangsoo und ein mitteilsamer Steven Spielberg verzaubern auf der Berlinale.

Das also ist der Wettbewerbsfilm, den die deutsche Filmakademie vorab von allen Nominierungen für die kommenden Lolas ausgeschlossen hat. Christian Petzolds „Roter Himmel“ unterlag in der Vorauswahl für den höchstdotierten Staatspreis der Republik nicht etwa knapp. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau gab keiner der 18 Stimmberechtigten aus verschiedenen Gewerken sowie dem Kulturausschuss des Bundestags der Tragikomödie auch nur einen Punkt, er flog schon in der ersten Runde raus. So haben weder Petzolds Regie noch das Ensemble oder Hans Fromms Kamera eine Chance, nominiert zu werden. Vierzig Prozent der Einreichungen kamen dagegen weiter. Es ist eine Schande, ein Skandal, aber vielleicht auch ein Komödienstoff.

Denn ironischerweise handelt dieser Ostsee-Landhausfilm selbst von einem Künstler in der Schaffenskrise, dem es auch im Leben an Empathie gebricht. Umso mehr konnte die internationale Filmkritik bei dieser Berlinale damit anfangen, die den Stammgast Christian Petzold am Mittwoch warmherzig empfing.

Thomas Schubert spielt den jungen Autor, der – den angekündigten Besuch des Verlegers (Matthias Brandt) im Nacken – an seinem zweiten Roman verzweifelt. So ist er einigermaßen blind für alles, was sommerliche Rückzugsorte besonders im französischen Kino so beliebt gemacht hat – und was Petzold hier mit vollen Händen herbeizitiert. Etwa erotische Offerten, denen sich die übrigen Anwesenden umso offener ergeben: Die Hausnachbarin (Paula Beer), ihr Liebhaber – ein Bademeister mit sonnigem Gemüt (Benno Trebs) und der beste Freund des Autors, ein junger Fotograf, der an seiner Bewerbungsmappe arbeitet (Langston Ulibel).

Spitzbübisch schickt Petzold Figuren wie aus zweiter Hand (und damit auch das Publikum) zunächst auf scheinbar ausgetretene Genrepfade, bis sie eine verborgene Wahrhaftigkeit freilegen. Wie jeder Sommernachtstraum, der seinen Namen verdient, ist es Farce und Drama zugleich – nicht erst, als ein sich nähernder Waldbrand und ein Tischgespräch über Heine und Kleist die dichterische Umarmung der Katastrophen selbst zum Thema macht. Und auch wenn die Komödie bereits zum Drama wird, bleibt sie doch in jedem Moment ein Spiel. Corona-Fieberträume, bekennt Petzold in der Pressekonferenz, hätten ihn inspiriert, die Gedichte „sind das Material, um zu träumen“.

Filmfestivals mögen Weltkongresse der Kinoexperten sein, bei Pressekonferenzen merkt man in der Regel nichts davon. Hier geben die Celebrity-Reporterinnen und -Reporter den Ton an, und je prominenter die Gäste, desto oberflächlicher in der Regel ist das, was man von ihnen wissen will. Dann gibt es aber auch wahre Sternstunden, wie am Dienstag zu erleben bei Steven Spielbergs kurzem Berlinale-Besuch zwecks der Entgegennahme eines Goldenen Ehrenbären. Welches Thema auch immer man an den berühmtesten lebenden Filmemacher herantrug – und man muss gerechterweise sagen, aus jeder Frage sprach echte Bewunderung –, seine Antworten verwandelten es gleichsam in Gold.

Als ein Journalist, der in der DDR aufgewachsen war, davon erzählte, wie er seinen Eltern als Kind im Schlafanzug in das Kino folgte, wo sie sich E.T. ansehen wollten, bedankte er sich enthusiastisch. „Sie erinnern mich an ein ganz ähnliches Erlebnis in meiner Kindheit. Meine Eltern gingen alleine in einen Film, den ich unbedingt sehen wollte, John Fords Western ‚Der schwarze Falke‘. Sie glaubten, das sei noch nichts für einen Achtjährigen. Am nächsten Tag holte ich zwei 25-Cents-Stücke aus der Spardose und ging den ganzen Weg allein ins Kino. Es war natürlich verstörend, und ich habe sicher nicht viel davon verstanden. Aber allein mit diesem wirkungsmächtigen Film gewesen zu sein, ist ein Erlebnis, das mich sehr geprägt hat.“

In der begeisterten Menge: Steven Spielberg auf der Berlinale.
In der begeisterten Menge: Steven Spielberg auf der Berlinale. © AFP

Spielberg genoss den Austausch über seine Arbeit derart, dass er sich weigerte, es zum angesetzten Ende dabei bewenden zu lassen. Nebenbei verriet er eine kleine Sensation, seine Produzentenrolle bei einer geplanten Verfilmung von Stanley Kubricks nachgelassenem Drehbuch über Napoleon als Miniserie. Ein perfektes Drehbuch, riet er dem Regie-Nachwuchs, sei ohnehin das A und O beim Filmemachen („If it ain’t on a page, it ain’t on a stage“).

Da wäre der Koreaner Hong Sangsoo möglicherweise anderer Ansicht. Die Darsteller seiner ferderleichten Miniaturen müssen mitunter bis zum Mittag eines Drehtags warten, bis er etwas für sie geschrieben hat. Seine neueste Komödie aus der Filmwelt, „In Water“, läuft diesmal in der Forums-Sektion – und macht die Methode selbst zum Thema. Ein junger Mann, der mit einem Regisseur und einer Schauspielerin befreundet ist, möchte selbst das erste Mal Regie führen. Seine ganzen, bescheidenen Ersparnisse will er in einen Drehtag am Meer investieren. Eine Filmidee allerdings hat er nicht parat, bis er vor Ort ein Erlebnis hat, das ihm verfilmenswert erscheint.

Der nur gut einstündige, selbstreferenzielle Film fügt sich nahtlos in das umfangreiche Werk des Filmemachers und sticht dennoch gleich ins Auge. Statt im gewohnten Schwarzweiß, sind die Aufnahmen diesmal satt farbig – dafür aber unscharf. Nicht immer ist gleich wenig zu sehen, aber nie genug, um die Gesichter der Darsteller auszumachen. Aus dem groben Pointillismus entsteht freilich eine eigene, impressionistische Poesie.

Wie es aussieht, hat das Festival, das am Samstag seine Preise vergeben wird, mehr als gewohnt davon zu bieten.

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