„Charles - Schicksalsjahre eines Königs“ - Hofberichterstattung der ARD
Die ARD-Produktion „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“ zeigt vor seiner Krönung nochmal das Leben des Thronfolgers.
Frankfurt am Main – Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, eine Dokumentation über König Charles III. ausgerechnet am Abend des Tags der Arbeit zu zeigen. Schließlich ist Arbeit gewiss nicht der erste Gedanke, der angesichts eines Königshauses in den Sinn kommt, das Werte in Milliardenhöhe besitzt und dennoch vom britischen Staat mit Millionensummen subventioniert wird.
Angesichts des Titels der 75 Minuten kurzen Dokumentation „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“, der mehr als deutlich an den letzten Teil der Sissi-Trilogie mit Romy Schneider: „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ erinnert, könnte man ohnehin den Eindruck gewinnen, dass auch in den Sendeanstalten der ARD ein gewisses Gespür für Ironie herrscht, doch weit gefehlt: Hier ist alles ernst gemeint.
Dokumentation in der ARD: Hofberichterstattung zum Tag der Arbeit
Bevor kommenden Samstag (6. Mai) in der ARD die Krönungszeremonie in aller Ausführlichkeit übertragen wird (fairerweise sei bemerkt, dass sowohl RTL als auch SAT1 ebenfalls jeden Moment dieses weltbewegenden Aktes übertragen werden) wird in „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“ also noch einmal nachgezeichnet, was sich in den inzwischen 74 Jahren des bunten, abwechslungsreichen Lebens des ehemaligen Prince of Wales zugetragen hat. Auf unbeabsichtigt selbst entlarvende Weise changiert die Sendung dabei zwischen einem gewissen journalistischen Anspruch und einer faszinierten Nabelschau, die dem Begriff Hofberichterstattung alle Ehre macht.

Voller Pathos berichtet etwa die Londoner ARD-Korrespondentin Annette Dittert über den Moment des Todes der Queen, der das Leben im Vereinigten Königreich für einige Tage praktisch vollständig zum Stillstand brachte. Ebenso ehrfurchtsvoll äußert sich Jonathan Dimbleby, der 1994 eine autorisierte Charles Biografie schrieb, die das Image des damaligen Prinzen aufpolieren sollte. Zu diesem Zeitpunkt, zwei Jahre nach der Scheidung von Diana, der sogenannten Königin der Herzen, war das auch bitter nötig.
Skandal um Charles den III.: Er wollte seiner Geliebten als Tampon dienen
Denn Charles hatte seinen Ruf durch Ehebruch und den zwar illegal abgehörten, aber von der weltweiten Boulevardpresse natürlich genüsslich kolportierten Wunsch, seiner Geliebten als Tampon zu dienen, schwer lädiert. Die im Gegensatz zu ihren Kindern stets dem Motto „never complain, never explain“ (sich niemals beschweren, sich niemals erklären) folgende Queen war „not amused“. (nicht begeistert)
Doch all diese Geschichten sind längst bekannt, warum also noch eine Dokumentation über Charles und die Seinen, dazu noch zur besten Feiertagssendezeit? Nun, das Interesse auch der deutschen Massen an royalen Geschichten scheint ungebrochen, wie die zahllosen Sissi-Filme und Serien beweisen, die in den letzten Jahren entstanden, ganz zu schweigen von schier unendlichen Ausfluss an Sendungen über das britische Königshaus (eine sechste „The Crown“ Staffel ist in Arbeit) und vor allem Harry und Meghan, zuletzt der Doppelschlag der Veröffentlichung der wehleidig betitelten Autobiografie „Spare/ Ersatzteil“ und einer Netflix-Dokumentation.
Kolonialismus und das britische Königshaus: Staaten könnten zu Republiken werden
Von der scheint sich „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“ in den journalistisch respektablen Momenten inspiriert haben zu lassen. Die finden sich vor allem dann, wenn es um den Umgang mit dem kolonialen Erbe Großbritanniens geht, der Verflechtung der Krone in den Sklavenhandel. Diesbezüglich hat Charles schon Besserung gelobt, aber ob das ausreicht, um den Commonwealth zusammenzuhalten? Von Neuseeland über Jamaika bis zu den kleinen Inselstaaten Antigua und Bermuda spielen Staaten mit dem Gedanken, eine Republik zu werden.
Viel gravierender wäre für das seltsamerweise immer noch ungebrochen große Selbstvertrauen Britanniens allerdings der Zerfall des Königreiches selbst: In Schottland dürfte ein zweites Referendum über die Abspaltung nur eine Frage der Zeit sein, die Vereinigung Nordirland mit Irland könnte ebenfalls in naher Zukunft erfolgen und selbst dem kleinen, unscheinbaren Wales könnte es gefallen, sich loszulösen.
Der Zerfall des Königreichs? König Charles III. könnte ihn miterleben
Sollte Charles III. so alt werden wie seine Mutter könnte er also als der König in die Geschichte eingehen, unter dessen Ägide das Vereinigte Königreich zerfällt. Ob es dem als Prinz so meinungsstarken, sich oft auf fragwürdige Weise in die Regierungsgeschäfte einmischenden, angesichts dieser Gefahr gelingt, sich der in seiner neuen Rolle nötigen Zurückhaltung zu fügen? Und wie steht es überhaupt mit der Akzeptanz des Königshauses in einem Land, dass immerhin eine der ältesten Demokratien der Welt ist? Relevante Fragen, die in „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“ bestenfalls am Rand gestreift werden.
- „Charles – Schicksalsjahre eines Königs“
- Sender: Das Erste
- Wann? Montag, 1. Mai - 20.15 Uhr
Viel lieber wird die aktuelle Hofberichterstatterin, äh, Adels-Expertin, Leontine Gräfin von Schmettow, Nachfolgerin des legendären Rolf Seelmann-Eggebert, ins Bild gesetzt, die mit sanftem Lächeln ihre küchenpsychologischen Ferndiagnosen über den Gemütszustand Charles verbreitet. Das bewegt sich ungefähr auf dem Niveau von Klatschblättern a là „Das Neue Blatt“ oder „Echo der Frau“ und führt etwa bezüglich Charles gescheiterter Ehe zu Diana zur Aussage: „Beide hatten das große Bedürfnis, sich in jemanden zu verlieben, der Liebe schenken kann.“ Das ist doch schön zu wissen, dass auch qua Erbschaft privilegierte Millionäre am Ende nach nichts anderem verlangen als der gemeine Bürger.
Große Fußstapfen hat König Charles auszufüllen, doch keine Sorge: „Er ist nicht seine Mutter, und nicht Diana, aber er ist Charles III.“ Wenn nach dieser bemerkenswerten Erkenntnis die ARD-Hofberichterstattung mit dem Fazit endet: „Wer auf ein Ende der britischen Monarchie hofft, muss sich wohl noch gedulden“ ist die Erleichterung geradezu zu spüren: Was wäre schließlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ohne regelmäßige Übertragungen von Pferdeparaden, Geburtstagen, Hochzeiten und Krönungszeremonien aus den europäischen Königshäusern... (Michael Meyns)