Als Neunzigminüter wäre dieses Konzept auf Dauer ermüdend, doch die Filme entwickeln einen ganz eigenen Reiz, weil die Teilnehmer sehr offen über ihre Gefühle und Erfahrungen sprechen. Der Mehrwert der Reihe liegt in den Anregungen, die sie vermittelt, schließlich repräsentieren die Männer eine Generation am Scheideweg: Das traditionelle Rollenbild gilt als antiquiert und für viele womöglich bereits als überwunden, aber ein neues ist noch nicht definiert. Dieser Schwebezustand zeigt sich vor allem in der Väter-Folge, wenn die Gesprächspartner betonen, ihren Kindern ein anderer Vater sein zu wollen.
Für Zuschauerinnen wiederum ist es garantiert interessant, Einblicke in Bereiche zu bekommen, über die Männer nur ungern sprechen, aber für Zuschauer gilt das nicht minder, weil einige der Gesprächspartner einräumen, dass sie über bestimmte Themen mit niemandem reden könnten; auch oder womöglich gerade nicht mit ihren Freunden. Vermutlich hätten einige von ihnen auch anders beantwortet, wenn die Fragen nicht von Frauen, sondern von Männern gestellt worden wären: einerseits, weil beispielsweise der Faktor „soziale Erwünschtheit“ vielleicht eine kleinere Rolle gespielt hätte, andererseits, weil sowohl die Befangenheit wie auch die Unbefangenheit bei gewissen Aspekten (unangenehme Erfahrungen beim Sex, Einfluss von Pornografie) eine andere gewesen wäre.
Dokusereie „Boys“, ab 11.06.2021 in der ZDF Mediathek
Wie dünn das Eis mitunter wird, zeigt sich nicht zuletzt an der Art des Lachens, mit dem die Frauen einige Fragen begleiten. Die mutmaßliche Unsicherheit ist gut nachzuvollziehen, und zwar auf beiden Seiten: Es gehört schon einiges dazu, wildfremde Menschen aufzufordern, auf die zum Teil sehr intimen Themen einzugehen, und das bezieht sich gar nicht mal so sehr auf sexuelle Details; es ist vor allem die Gefühlsebene, die den Gästen mitunter einen seelischen Striptease abverlangt. Umso respektabler ist wiederum deren Bereitschaft, sich auf das Experiment einzulassen.
Apropos: „Boys“ ist eine Produktion von Quantum, dem Formatlabor innerhalb der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel. Zu den vielfach ausgezeichneten Quantum-Sendungen zählen unter anderem „Ion Tichy – Raumpilot“, „Götter wie wir“ und die selbstironische Sitcom „Lerchenberg“. Ein Folgeprojekt drängt sich selbstredend regelrecht auf; entsprechende Pläne gibt es laut ZDF allerdings noch nicht. Sonvilla und Wesemann, die sich beim Studium an der Münchener Filmhochschule kennengelernt haben und seit zehn Jahren zusammenarbeiten, hätten sicher nichts dagegen, auch „Girls“ zu übernehmen. (Tilmann P. Gangloff)